US-Einreisestopp wegen Corona Lufthansa am Abgrund

Der US-Einreisetopp fordert die Lufthansa aufs Äußerste - und auch härter als andere Airlines. Insgesamt könnte die Lufthansa derzeit pro Woche rund 200 Millionen Umsatz verlieren. Quelle: imago images

Der US-Reisebann wird den Flugverkehr zwischen der EU und Nordamerika stoppen. Das trifft vor allem die Lufthansa. Warum sie Staatshilfe benötigen könnte, die Fluglinie aber gestärkt aus der Krise hervorgehen dürfte.

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Selbst als die Lufthansa gestern weitere rund 1000 Flüge pro Tag strich, hielten es noch viele für eine Übertreibung: Lufthansa-Chef Carsten Spohr hatte in der vergangenen Woche ein Eindampfen des Flugplans auf bis zur Hälfte verkündet. Zwar flogen aus Angst vor dem Coronavirus und seinen Folgen schon da viele Maschinen halb leer und drückten die Lufthansa tief in die Verlustzone. Doch am Ende vermuteten Insider, dass Spohr vor allem zwei Dinge erreichen wollte. Er verkündete lieber einen großen Einschnitt als ständig nachkürzen zu müssen, wenn sich die Krise verschärfen sollte. Zudem sahen Insider darin ein Signal an die Belegschaft, dass die Krise Lufthansa endgültig zu tiefen und lange verschobenen Änderungen zwingt. „Weite Teile der Arbeitnehmer stehen nach zehn Jahren Aufschwung und Rekordgewinnen den Veränderungen trotz des aktuellen Einbruchs kritisch gegenüber, statt mit dem Unternehmen an einem Strang zu ziehen“, so ein Konzernkenner.

Doch seit US-Präsident Donald Trump ein Einreiseverbot für alle Reisenden aus der EU ab Freitag verkündet hat, ist klar: Spohr hat mit seinem Radikalplan nicht übertrieben, sondern wahrscheinlich noch untertrieben. „Die Erfahrung aus einem ähnlichen Bann in Richtung Asien legt nahe, dass bis zu 90 Prozent der Flüge ausfallen“, sagt Daniel Roeska vom New Yorker Brokerhaus Bernstein Research. „Wir erwarten, dass der Bann Flugreisen zwischen den Schengen-Staaten und den USA zum Erliegen bringt.“

Das trifft die Lufthansa im Kern. Zwar war bereits der Rückgang auf den Routen nach Asien und in Richtung Italien ein herber Rückschlag. Doch die Bedeutung der USA geht darüber hinaus. „Die Flüge in die USA sind für Lufthansa der wichtigste Markt“, so ein Insider. Und sie waren angesichts der aktuellen Flugkürzungen durch Corona der letzte Rückhalt der Lufthansa. „Darum bringt uns der Bann praktisch an den Abgrund“, so ein Insider. „Nun dürften wir allmählich kaum noch ohne Staatshilfe auskommen.“ Doch er sieht auch eine Hoffnung: „Wenn wir jetzt richtig agieren, stehen wir am Ende der Krise deutlich stärker und gesünder da.“

Fast die Hälfte des Wochenumsatzes könnten wegfallen

Finanziell ist Lufthansa bislang eine der solidesten Fluglinien der Welt. Sie hat zuletzt Rekordgewinne geschrieben. Dazu hat sie in der Bilanz viele Reserven. Die wichtigste ist die eigene Flotte. Weil ihr rund zwei Drittel der Maschinen gehören, hat die Lufthansa nicht nur einen hohen Vermögenswert, den sie notfalls zu Geld machen kann. Sie kann die Flieger in Krisen wie jetzt auch am Boden lassen und muss – anders als andere Airlines – nicht auch noch weitere Leasingzahlungen leisten.

Doch der US-Bann fordert die Linie aufs Äußerste – und auch härter als andere. Insgesamt könnte die Lufthansa derzeit pro Woche rund 200 Millionen Euro Umsatz verlieren. Der Konzern ist Marktführer auf den Strecken zwischen den Schengen-Staaten und den USA. Laut einer aktuellen Studie von Bernstein führt die Lufthansa-Gruppe inklusive der Töchter Swiss, Austrian Airlines, Brussels und Eurowings hier mehr als jeden fünften Flug durch.

Zusammen mit den Partnern aus der Star Alliance wie United Airlines aus den USA oder SAS aus Skandinavien sind es gar 43 Prozent. Damit sorgen die Nordamerikalinien bei Lufthansa inklusive aller Zubringer zu den Drehkreuzen in Frankfurt, München, Zürich, Wien und Brüssel bereits bisher für rund 40 Prozent des Flugumsatzes von gut 20 Milliarden Euro. Jetzt dürfte die Bedeutung sogar bei fast der Hälfte des Flugumsatzes liegen. Denn der Asienverkehr macht angesichts der vielen Flugabsagen auf den Rennstrecken nach China oder Hongkong deutlich weniger als die bisherigen 20 Prozent vom Flugumsatz aus.

Die wirtschaftliche Bedeutung geht jedoch noch darüber hinaus. Denn der Nordatlantik ist traditionell die wichtigste Gewinnquelle der Lufthansa. Rund die Hälfte des Überschusses stammt laut Schätzungen aus Strecken über den großen Teich.

von Philipp Frohn, Andreas Macho, Jürgen Salz

Zum einen buchen hier anders als innerhalb Europas Geschäftsreisende und ein guter Teil der Touristen noch reichlich Tickets der First Class, Business oder zumindest Premium Economy. Darum stammen hier bis zu 40 Prozent der Einnahmen aus den Nobelabteilen, wo pro Kunde ein Vielfaches an Umsatz reinkommt und ein deutlich höherer Anteil als Überschuss bleibt.

Dazu stellen hier nach dem Aus der isländischen Wow Air und den Problemen von Norwegian die Billigflieger nur vier Prozent des Angebots. Und auch Emirates sowie die anderen Fluglinien vom Persischen Golf, die für die sinkenden Erträge vor allem im Premiumverkehr nach Asien sorgen, spielen mit einem Anteil von einem Prozent der Flüge schon gar keine Rolle.

Zwar fliegen bislang immer noch ein Dutzend Fluglinien gen USA. Doch anders als in anderen Branchen sorgt die hohe Zahl kaum für große Konkurrenz. Denn die meisten Airlines haben sich mit Erlaubnis der Wettbewerbshüter zu drei großen Gruppen zusammengeschlossen, die Flugpläne und Preise absprechen dürfen. Lufthansa etwa betriebt die Strecken im Rahmen eines Atlantic++ genannten Joint Ventures mit United Airlines Air Canada und in Teilen mit der skandinavischen SAS. Air France-KLM hat mit Delta Airlines und Alitalia einen ähnlichen Verbund. Ebenso die Iberia aus dem British-Airways-Konzern IAG mit American Airlines und Finnair. Diese drei Gruppen machen gut 80 Prozent des Verkehrs aus und sogar gut 90 Prozent des Geschäftsreiseverkehrs, weil Manager innerhalb der Verbünde ein breites Angebot an Alternativen zum Umbuchen haben, wenn sich ihre Reisepläne ändern und sie schnell nach Hause oder zu Kunden wollen.

Der Druck auf Lufthansa steigt zudem kurzfristig noch dadurch, dass der Bann nicht für ganz Europa gilt. Noch darf – neben Linien aus Bulgarien und Rumänien – Lufthansas wichtigster Rivale auf dem Atlantik weiterfliegen: IAG mit ihren Marken British Airways und der irischen Aer Lingus. „Die haben den Markt praktisch für sich“, so ein Lufthanseat bitter.

Wie lange, ist unklar, glaubt Analyst Roeska: „Angesichts der Ausbreitung des Virus und der Art wie die USA reagieren, könnte Großbritannien später ebenfalls Opfer eines Reisebanns werden.“ Die Flugerlaubnis für die britischen Inseln, so ein Insider der Lufthansa, sei eher eine Gefälligkeit an den britischen Premier Boris Johnson und dürfte spätestens dann verschwinden, wenn im Vereinten Königreich die Corona-Fälle steigen, Bürger aus dem Schengenraum vermehrt durch Umsteigeverbindungen über London und Dublin in die USA einreisen wollen oder gar eine Infektion auf Reisende aus diesen Drehkreuzen zurückzuführen ist.

Somit dürfte Konzernchef Spohr nun bald weitere Kürzungen verkünden. Und er wird wohl in einem weiteren Punkt anders auftreten. Noch vorige Woche auf einem Gipfeltreffen des Branchenverbands A4E in Brüssel hatte er stolz gesagt: „Wir wollen keine Staatshilfe.“ Das ist seit heute Nacht wahrscheinlich anders. „Wenn wir nun mehr als Hälfte unserer Flüge streichen müssen und auf einen Bruchteil unseres Umsatzes schrumpfen, wird das Überleben ohne Staatshilfe schwer – besonders wenn andere Staaten für unsere Wettbewerber das Scheckbuch zücken.“

Die Krise als Chance

Doch am Ende sehen führende Lufthanseaten die Krise auch als eine Chance, die Branche und das Unternehmen zu modernisieren. Die Hoffnung ist vor allem, dass die Krise das Gemeinschaftsgefühl im Konzern wieder stärkt. Zwar gelten Lufthanseaten als besonders stolz auf ihr Unternehmen. Aber davon war in den Kämpfen um die Reformen der vergangenen Jahre mit vielen Streiks wenig zu spüren. „Wir hatten eben zu wenige echte Notsituationen wie nach den Terroranschlägen des 11. September 2001, der Lungenseuche Sars oder der Finanzkrise nach 2008“, so ein Insider. „Aber damals haben wir alle an einem Strang gezogen und in Rekordzeit nicht nur die Krise bekämpft, sondern auch die Grundlage für den späteren Aufschwung gelegt.“

Das, so die Hoffnung, passiert jetzt auch. Denn am Ende wird die aktuelle Krise wohl nicht nur die Lufthansa, sondern die ganze Flugbranche verändern. „Gerade, weil die Rettung der Airlines für alle Länder teuer wird, erkennen hoffentlich viele, dass es jetzt Zeit für eine Konsolidierung zu größeren europaweiten Verbünden ist.“ Und damit – so die stille Hoffnung in der Lufthansa-Hauptverwaltung am Frankfurter Flughafen – für eine stärkere Rolle des Kranichkonzerns.

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