Expansion im Shopping-Geschäft Wie Google Amazon auf die Pelle rücken will

Der Wettbewerb mit Amazon und Facebook um Anzeigen verschärft sich. Google geht jetzt neue Wege und baut künftig seinen Shopping-Service noch weiter aus. Quelle: REUTERS

Die Werbeeinnahmen sind es, die Google vornehmlich dick ins Geschäft gebracht haben. Nun bietet der Konzern neue Anzeigenformate und greift mit einer stärkeren Expansion ins Shopping-Geschäft Amazons Domäne an.

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Philipp Schindler röhrt wie ein Boxpromoter. Vor Googles obersten Verkaufschef sitzen in San Franciscos Moscone Konferenzcenter am Dienstagmorgen auf der Google Marketing Live Messe Tausende seiner wichtigsten Geschäftskunden und lauschen gespannt. Sie sind es, die den Konzern aus dem Silicon Valley mit ihren Werbeausgaben am Prosperieren halten. „Conversion“ ist hier das magische Wort, wie man die Beworbenen dazu bringt, nicht nur Anzeigen wahrzunehmen, sondern auch auf sie zu klicken und dann auch noch tatsächlich einzukaufen.

Schindlers röhrende Tonlage ist der Situation angemessen. Google ist zwar immer noch der Champion bei digitaler Werbung. Mehr als hundert Milliarden Dollar Umsatz haben Schindlers Leute im vergangenen Jahr an Land gezogen. Doch die Konkurrenz von Facebook und Amazon tänzelt immer dichter heran. Der Wettbewerb drückt die Anzeigenpreise und auch den Kurs der Google-Aktie. Der Konzern wächst noch immer. Aber nicht mehr so stark wie früher, wie sich bei der Präsentation der jüngsten Quartalsergebnisse zeigte.

Schindler, der ranghöchste Deutsche im Google Hauptquartier, muss den Druck mit mehr Aufträgen kompensieren. Eine Woche zuvor hat Google-Chef Sundar Pichai auf der Google-Entwicklerkonferenz die Parole ausgegeben, aus dem Konzern stärker „einen Helfer zu machen, der Dinge erledigt.“ Und nicht wie früher nur aufzeigt, was es für Angebote im Netz gibt. Ähnlich will es Schindler handhaben: „Wir wollen, dass der Kunde stärker entdeckt.“ Gelingen soll das mit Anzeigenformaten, die den Adressaten stärker involvieren, bis hin zur Auslieferung der gewünschten Produkte. Während Amazon seine Aktivitäten im Geschäft mit Werbebanner ausweitet, dreht Schindler den Spieß um und expandiert stärker ins Shopping-Geschäft, der Domäne von Amazon.

Google zieht damit Facebook nach. Das Zuckerberg-Unternehmen hatte kürzlich ebenfalls angekündigt, über Instagram und WhatsApp Waren und Dienstleistungen zu vermarkten. Angeblich ist dafür sogar eine eigene digitale Währung geplant.

Hinzu kommt: Google will den Kunden stärker am Händchen halten. Das ist auch deshalb notwendig, damit die Digitalen Sprachassistenten wirklich Sinn machen und tatsächlich – wie schon so oft versprochen – für ihren Nutzer Einkäufe erledigen können, Reisen oder Tickets buchen. Solche Transaktionen sind wertvoller als Klicks. Sie bringen zusätzliche Provision. Das klappt nur mit der richtigen Infrastruktur und dem passenden Köder.

Dafür hat ein Heer von Google-Experten neue Anzeigenformate entwickelt, die vor allem für das Werben auf dem Smartphone zugeschnitten sind. Dort ist es wahrscheinlicher, dass die Umworbenen sich tatsächlich zu Impulskäufen hinreißen lassen. Je einfacher das auf dem beschränkten Display des Smartphones organisiert ist, umso höher die Chance, dass der Kauf oder die Buchung auch durchgezogen wird.

Eines dieser vorgestellten Formate sind die sogenannten „Discovery ads“. Sie tauchen im Neuigkeiten-Feed der Apps von Google, Youtube oder Gmail auf und sind auf vermeintliche Interessen der Nutzer abgestimmt. Bis Ende des Jahres sollen dazu sogenannte „Gallery ads“ hinzukommen, eine Art Mini-Schaufenster, die auf der Seite mit den mobilen Suchresultaten thronen. In ihnen können Fotos der beworbenen Produkte platziert werden, die sich mit Fingerwisch abrufen lassen. Der dritte Wisch zählt dann wie ein Klick, den sich Google entlohnen lässt.

Google Shopping wird grundlegend überholt. Es ist ungewöhnlich, dass ein Silicon Valley Konzern ein Produkt zunächst in Europa testet, um es dann in den USA einzusetzen. Doch genau das geschieht gerade: In Frankreich hat der Suchkonzern seine Preisvergleichsmaschine so erweitert, dass deren Nutzer direkt mittels ihres Google-Kontos Produkte einkaufen können, ohne sich direkt beim Anbieter registrieren zu müssen. Der Händler liefert dann aus. Google garantiert, dass der Anbieter legitim ist und die Waren auch wieder zurücknimmt. Außerdem wird klarer aufgelistet, ob das gewünschte Produkt auch lokal zum Abholen bereitsteht. „Das läuft so erfolgreich, dass wir es auch in die USA bringen“, sagt Oliver Heckmann, Vice President of Engineering für Shopping und Travel im Hauptquartier in Mountain View.

Wann der überholte Einkaufskanal auch in Deutschland offeriert wird, steht noch aus. Hier ist Google immer noch unter Beschuss, weil ihm der Missbrauch seiner Produktvergleichsseiten vorgeworfen wird.

Einkaufen über YouTube-Videos soll kommen

In den USA lässt Heckmann derweil eine Funktion testen, über die seit einer Dekade immer wieder spekuliert wird: das Einkaufen von Produkten direkt aus YouTube-Videos heraus. Demnächst soll es nun Realität werden. Welche YouTube-Anbieter es nutzen können und zu welchen Konditionen, darüber schweigt sich Heckmann noch aus.

Stattdessen lässt Google keine Gelegenheit aus, um seine Fortschritte beim maschinellen Lernen und der Künstlichen Intelligenz zu bewerben. Wie die sogenannten „Smart Shopping Campaigns“. Bei diesen schlägt Google vor, wie die Anzeigen innerhalb des Google-Imperiums am besten platziert werden und wo sie die besten Erträge bringen. Das hat der Konzern zwar schon im vergangenen Jahr angekündigt. Laut Schindler hat sich die Funktion nun aber durchgesetzt. Sie soll demnächst auch genutzt werden, um Kunden in Ladengeschäfte zu bringen – durch das Anzeigen von Produkten, die in der Nähe des Interessenten sofort verfügbar sind.

Für die Händler sind die Angebote zweischneidig. Sie haben mehr Möglichkeiten, ihre Offerten über Googles Reich zu publizieren. Doch das kostet und macht sie von ihrem Werbepartner noch abhängiger. Vor allem, wenn dieser nicht nur erste Anlaufstelle für die Käufer ist, sondern sogar die Abwicklung des Kaufs übernimmt. Der Händler wird damit noch stärker zum Logistiker oder zur Warenabholstelle und Rücknahme.

Andererseits ist es gut, wenn Amazon beim Shopping finanzkräftige und technologiestarke Konkurrenz bekommt.

Klar ist: Wie seine Werbekunden muss auch Google Wachstum vorweisen. Der Suchkonzern hat zusätzliche Einnahmequellen nötig. Neue Android-Telefone, selbstfahrende Autos, die Expansion der Google Cloud, Künstliche Intelligenz und Therapien gegen vorzeitige Alterung mögen die Schlagzeilen bestimmen. Die finanzielle Grundlage für all das liefern jedoch noch immer die Klassiker. Etwa 85 Prozent des Umsatzes von Google stammt aus Einkünften mit Werbung, hauptsächlich von der Suchmaschine Google und dem Video-Netzwerk YouTube. Es ist ein zyklisch anfälliges Geschäft. Wenn das Wirtschaftswachstum schwächelt, werden oft als erstes die Werbeausgaben gekürzt. In der Vergangenheit wirkte sich das auf Google kaum aus, denn bei digitaler Werbung führte kein Weg an Google und YouTube vorbei. Nun wird der Kuchen neu aufgeteilt, auch wenn die größten Stücke weiterhin an Google, Facebook und Amazon wandern und sich der Rest des Marktes um die Krümel balgt.

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