Mehr als Sprachkurse Wie die Anstellung ukrainischer Flüchtlinge gelingt

Ana-Cristina Grohnert, Tatjana Kiel und Magdalena Rogl diskutierten mit WiWo-Chefredakteur Beat Balzli (v.l.). Quelle: Willi Nothers

Mehr als 600.000 Menschen sind aus der Ukraine nach Deutschland geflohen und müssen in den Arbeitsmarkt integriert werden. Wie Unternehmen das schaffen und welche Rolle der Fachkräftemangel dabei spielt.

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Magdalena Rogl zählte im Frühjahr zu den zahlreichen Freiwilligen in Deutschland: Sie nahm einen Monat lang drei Geflüchtete aus der Ukraine bei sich zu Hause in München auf. Die drei Menschen, erzählt Rogl, seien nach wie vor in München, wohnten inzwischen in einem eigenen Appartement und seien „sehr gut“ in Deutschland angekommen. Aber: Sie wüssten nicht, wie es weiter geht. Planen? Können sie nicht.

Unter ihnen aber seien zwei „extrem gut ausgebildete“ Diplomingenieurinnen. Rogl, die bei Microsoft in Deutschland die Themen Diversität und Inklusion verantwortet, hätte da eine Idee: Sie würde sich natürlich freuen, wenn die zwei Frauen eines Tages ihre Kolleginnen werden würden. Rogl weiß aber auch: „Nicht alle Menschen wollen unbedingt bei Microsoft arbeiten – und das ist auch vollkommen in Ordnung so.“

Rogls Erfahrungsbericht war einer von vielen auf der Konferenz „Work in Progress“, die die WirtschaftsWoche und das Handelsblatt am 1. und 2. Juni im Verlagsgebäude in Düsseldorf veranstalteten. In der Diskussion wollte WiWo-Chefredakteur Beat Balzli mit Rogl, Tatjana Kiel von Klitschko Ventures und Ana-Cristina Grohnert, Chefin der Charta der Vielfalt, die Frage klären, wie Geflüchtete aus der Ukraine auch auf dem Arbeitsmarkt integriert werden können. Schließlich sind seit dem Angriff Russlands mehr als 600.000 Menschen aus der Ukraine nach Deutschland geflohen.

Und angesichts neuer Erkenntnisse der Bundesagentur für Arbeit (BA) drängt sich die Frage noch stärker auf. „Seit Kriegsbeginn ist die Zahl der Arbeitslosen mit ukrainischer Staatsbürgerschaft spürbar gestiegen“, sagte BA-Chef Detlef Scheele erst am Dienstag bei der Präsentation der neuen Arbeitsmarktzahlen. Allein von April auf Mai sei diese Zahl um fast 6000 nach oben gegangen. Scheele erwartet für die nächsten Monate einen weiteren spürbaren Anstieg. Künftig werden die Flüchtlinge aus der Ukraine nicht mehr nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, sondern im Sozialgesetzbuch (SGB) II erfasst, also als Hartz-IV-Empfänger. Damit gehen sie auch in die Arbeitslosenstatistik ein, können aber nach Scheeles Darstellung auch leichter qualifiziert und vermittelt werden.

Ana-Christina Grohnert, Chefin der Arbeitgeberinitiative Charta der Vielfalt, betonte auf der Konferenz „Work in Progress“, dass das ein richtiger Schritt sei. „Man hat erkannt, dass eine vielfältige Gesellschaft und ein Einwanderungsland etwas Gutes sind“, sagte sie.

Tatsächlich dürfte sich der deutsche Arbeitsmarkt als extrem aufnahmefähig erweisen. Eines der größten Probleme ist derzeit der Mangel an Fachkräften. Laut Analysen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) waren Anfang des Jahres mehr als 1,7 Millionen Stellen in Deutschland ausgeschrieben. Vor einem Jahr waren es noch 1,1 Millionen. Gut 2,2 Millionen Menschen hatten im vergangenen Monat keinen Job. 50.000 weniger als im April. 428.000 weniger als im Mai des Vorjahres. Der Fachkräftemangel beeinträchtigte im zweiten Quartal 2022 das Geschäft von 44 Prozent der Unternehmen, die das Ifo-Institut und die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) im Rahmen einer regelmäßigen Untersuchung befragten. „Fachkräfte sind damit erheblich knapper als vor der Coronakrise“, heißt es in der Analyse.

Wenn es nach Grohnert ginge, so könnte die Integration von Menschen aus Ukraine auch auf dem Arbeitsmarkt dazu beitragen, die Personalsorgen der Unternehmen zu lindern. Auf die Frage, ob der Fachkräftemangel ein Treiber des Engagements von Unternehmen sei, antwortete sie auf der Bühne entschlossen: „Absolut!“ Sicherlich gehe es für viele Unternehmer auf den ersten Blick darum, Investoren zufriedenzustellen und „unterm Strich“ noch etwas zu verdienen. Doch die junge Generation werde nicht mehr bei Unternehmen anheuern, die nur noch für den Profit arbeiteten. Auch innerhalb der Wirtschaft beobachtet Grohnert eine Veränderung: Arbeitgeber würden inzwischen für mehr als nur die „Optimierung der individuellen Boni“ agieren – und die Verantwortung für Gesellschaft und die eigene Belegschaft stärken.

Eine große Hürde bei der Integration sind sprachliche Barrieren, welche die Politik mit Sprachkursen abbauen wollte. Doch das dauert. Geflüchtete brauchen Begleitung bei Behördengängen und der Ausgestaltung von Miet- oder Arbeitsverträgen. Ihre Berufsausbildungen müssen anerkannt werden.

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Tatjana Kiel, Geschäftsführerin von Klitschko Ventures, die jeden Tag mit Wladimir Klitschko darüber spricht, welche Hilfsgüter die Menschen in der Ukraine aktuell benötigten, meint: „Die meisten Ukrainer“ können sehr gut Englisch sprechen. Deswegen gebe es bei der Integration wenig Barrieren. Das Engagement mancher Firmen stoße häufig aus ganz anderen Gründen an seine Grenzen: Bei vielen Ukrainerinnen und Ukrainern sei nicht klar, wie schnell sie wieder zurück wollten. Viele seien deshalb „sehr zurückhaltend“, wenn Unternehmen ihnen einen langfristigen Arbeitsvertrag anbieten, sagt Kiel.

Mit Material von dpa

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