Riedls Dax-Radar Der Erfolg von Tesla wird zum Motor für die Börse

Cybertruck von Tesla Quelle: imago images

Entspannung auf politischer Ebene und die Hoffnung auf eine wirtschaftliche Stabilisierung treiben die Kurse. Einen immer wichtigeren Schub bekommt der Dax dabei von technologischen Umwälzungen – um neue Energien, neue Mobilität und neue Bezahlsysteme.

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Binnen weniger Wochen hat sich das politische Umfeld für den Dax aufgehellt. Das Teilabkommen zwischen den USA und China ist für die Börse ein Meilenstein. Während politische Kommentatoren gern kritisieren, was alles nicht geschafft worden sei, zählt für die Börse etwas anderes: Entscheidend ist, dass beide Großmächte mit dem Teilabkommen einen Waffenstillstand geschlossen haben – mindestens bis in den Herbst hinein, bis zur US-Präsidentenwahl. Vorher dürfte von politischer Seite nichts grundsätzlich Neues, für die Börse potenziell Bedrohliches kommen. Überraschende Tweets von Trump sind nicht ausgeschlossen, aber mitten im Wahlkampf dürfte der US-Präsident nicht an einer ernsten Auseinandersetzung mit China interessiert sein.

Der zweite, für die Börse wichtige Erfolg ist der Wahlsieg Boris Johnsons in Großbritannien. Der ist zwar ebenfalls nur eine Etappe, doch die Märkte können sich nun auf die neue Richtung einstellen. Der Kantersieg Johnsons bedeutet gleichzeitig eine krachende Niederlage der Labour-Party und ihrer Ideen zu Verstaatlichungen. Das hätte vor allem Infrastrukturunternehmen und Energiekonzerne betroffen, im Dax besonders E.On mit seinem britischen Ableger NPower. Nun wollen die Tories das britische Energienetz vielmehr ausbauen. Dahinter steckt Großbritanniens führende Rolle bei Windenergie, die im großen Stil eben nur dann funktioniert, wenn es ein flächendeckendes und leistungsfähiges Stromnetz gibt. Kein Wunder, dass E.On eisern am britischen Markt festhält.

von Anton Riedl, Frank Doll, Heike Schwerdtfeger

Der Brexit könnte für die Märkte noch auf andere Weise inspirierend wirken. Großbritannien hat nun die Chance, zu beweisen, wie sich mit weniger übernationaler und bürokratischer Regulierung ein Land wirtschaftlich nach vorne bringen lässt. Ob das den politischen Kräften gelingt, ist die eine Seite der Medaille. Auf der anderen, der der Unternehmen und der Wirtschaft, ist dieser Prozess schon angelaufen, wie sich an der Aufbruchsstimmung britischer Unternehmen zeigt, die vom Brexit ganz besonders profitieren (zum Beispiel Netzbetreiber National Grid).

Gutes Omen durch Kaufsignal im TecDax, Wirecard blüht auf

Eine wichtige Stütze für den Dax kommt vom kleinen Bruder TecDax. Der hat mit dem nachhaltigen Anstieg über 3000 Punkte ein starkes Kaufsignal gegeben. Seit seiner Umstellung ist der TecDax nicht mehr eine Randerscheinung für technologische Spezialisten; seitdem Schwergewichte wie SAP, Infineon, Wirecard (und sogar die Deutsche Telekom) seinen Takt bestimmen, hat er an Gewicht und Aussagekraft gewonnen. Das jüngste Hoch im TecDax ist eine Bestätigung, dass die weltweiten Technologietrends nun auch am deutschen Markt angekommen sind – mit Verzögerung, weil im Dax die große, klassische Autobranche in der Krise steckt und das den Index in den vergangenen Jahren im internationalen Vergleich alt aussehen ließ.

Die Dax-Werte des TecDax jedoch sprühen vor Energie. Das gilt derzeit sogar für den Bezahldienstleister Wirecard, bei dessen jüngstem Kursanstieg sich manche Anleger die Augen reiben mögen. Unbegründet aber sind die Kursavancen nicht.

Wirecard hat von September bis Dezember vergangenen Jahres mehr als ein Drittel seines Werts verloren, weil das Unternehmen mit seiner Buchführung und seinen Geschäftsabläufen schwer in die Kritik geraten ist und bei Investoren Vertrauen verspielt hat. Damit wurde gleichzeitig eine relativ hohe Aktienbewertung abgebaut. Parallel entstand dazu eine große Shortspekulation, die auf einen deutlichen Rückfall der Aktie unter das Niveau von 100 Euro gesetzt hatte.

Die spannendsten Aktien der Woche

Nun aber konnte die Aktie diesen entscheidenden Kursbereich erfolgreich verteidigen. Zugleich sind Bezahldienstleister weltweit auf dem Vormarsch. Die Aktie des Konkurrenten Adyen, die noch viel höher bewertet ist als Wirecard, hat vor kurzem mit einem neuen Hoch ein abermaliges Kaufsignal gegeben. Da Wirecard-Aktien durch ihren letztjährigen Kurscrash die Probleme des Unternehmens schon in großem Maße verarbeitet haben dürften, lag zumindest eine Zwischenerholung in der Luft. Wegen der massiven Shortspekulation und den nun stattfindenden Eindeckungen und Rückkäufen fällt diese Erholung umso heftiger aus.

Wirecard wird deshalb nicht von heute auf morgen ein solides, planbares Investment. Dennoch dürften nach der intensiven Diskussion um Unregelmäßigkeiten nun zunehmend wieder der Verlauf des operativen Geschäfts in den Vordergrund rücken. Durch das dynamische Wachstum der Branche hat Wirecard hier Rückenwind.

Neue Energien, E-Mobilität und Wasserstoff befeuern die Kurse

Der nächste Motor für den Dax ist elektrisch. Das mag auf den ersten Blick verwundern, wenn man das Siechtum der Autoaktien vor Augen hat, die im Dax immer noch gut ein Fünftel des gesamten Index ausmachen. Während der Niedergang der Autoindustrie und ihrer Zulieferer im Zentrum vieler Analysen stehen, ist für Anleger die Elektrisierung des Dax durch die neuen Technologien viel wichtiger.

Das gilt besonders für einen der erfolgreichsten Indextitel, den Industriegasekonzern Linde, der mit 105 Milliarden Börsenwert hinter SAP und noch vor Siemens die Nummer zwei im Dax ist. Auch hier konzentriert sich die Diskussion gern auf die Frage, ob es durch die Fusion mit Praxair bei Linde zum Ausverkauf eines deutschen Industrieunternehmens gekommen sei. Für Anleger ist dieser Blickwinkel wenig hilfreich – gehört Linde doch mit plus 38 Prozent im vergangenen Jahr zu den Top-Performern im Dax.

Als nun weltweit führender Industriegasekonzern profitiert Linde ganz besonders von der enorm steigenden Nachfrage nach Wasserstoff, der für Brennstoffzellen eingesetzt wird. Linde kommt dabei seine starke, internationale Marktstellung zugute, die durch die Fusion mit Praxair noch ausgebaut wurde. Zudem besteht auf dem Weltmarkt – im Gegensatz zur hiesigen Diskussion um E-Auto versus Wasserstoffwagen – auch kein Widerspruch zwischen Brennstoffzellen und Akkus. Wasserstoff in Brennstoffzellen für Häuser und Industrie ist groß im Kommen. Weitsichtige Unternehmen wie Panasonic in Japan bieten deshalb Kernprodukte für beide neue Energielösungen an.

Volkswagen mit cleverer Volte, Comeback für E.On und RWE

Zu den besten Performern der vergangenen Monate gehört eine der wegweisendsten Aktien, die es weltweit derzeit gibt: Die Aktie des Autobauers Tesla. Ihr massiver Anstieg mag als Menetekel für die deutsche Autoindustrie betrachtet werden. Für Anleger viel wichtiger ist, dass der starke Kursanstieg der Tesla-Aktie die Bestätigung des Marktes für eine der größten technologischen Umwälzungen der vergangenen Jahrzehnte ist. Dieser Anstieg geht einher mit realen Verkaufserfolgen von Tesla und dem geplanten Bau eines neuen Tesla-Werks in Brandenburg.

Zu den Automanagern, die hierin enorme Chancen sehen und die technologische Revolution voranbringen und nicht bekämpfen, gehört VW-Chef Herbert Diess. Und auch Dax-Anleger sind dabei: VW-Aktien haben im vergangenen Jahr 27 Prozent Kursplus eingefahren, mit Dividende also rund 30 Prozent. Im Umfeld der Autobranche ist das ein hervorragendes Ergebnis – und ein Vertrauensvorschuss für die neue Saison.

Die von Tesla entfachte Dynamik bringt auch andere Dax-Werte in Bewegung. Die Energieversorger E.On und RWE, die ebenfalls einen säkularen Bruch ihres Geschäftsmodells hinter sich haben wie die Fahrzeugbranche, haben die Zeichen der Zeit dabei durchaus erkannt. Der Deal, dass sich RWE auf erneuerbare Energien konzentriert und E.On auf die lukrativen Netze, ist ein genialer Schritt, der beiden Energiemultis das Comeback ermöglicht.

Die alten Leiden um Kohlekraftwerke werden zwar die Nachrichtenlage immer wieder prägen, an der Börse aber zählt die Zukunft. Und hier avanciert E.On zum führenden Netzkonzern in Europa und RWE zu einem Big Player bei der Erzeugung erneuerbarer Energien. Beide stehen damit im Zentrum der technologischen Revolution um neue Mobilität und neue Energien.

Mit 44 Prozent Kursplus im vergangenen Jahr gehörte der einstige Underdog RWE zu den Top-Werten im Dax. E.On hängt noch hinterher, dürfte aber bei einem Anstieg der Kurse über die Grenze von 10 Euro bald ein Kaufsignal liefern. Dass E.On zuletzt für einige Milliarden mithilfe neuer Green Bonds eine supergünstige Finanzierung hinbekam, zeigt, wie sich der Wandel vom alten Kraftwerkskonzern zum neuen Öko-Image auszahlt.

Fazit für den Dax: Auch wenn Deutschlands führender Index sein altes Hoch bei 13.560 Punkten noch nicht erreicht hat, dürfte dies nur noch eine Frage der Zeit sein. Die wirtschaftliche Grundtendenz sollte durch die politische Entspannung wieder in Bewegung kommen, die großen technologischen Trends (inklusive der Technologiebörsen) sind im Laufen, immer mehr klassischen Unternehmen gelingt der Wechsel hin zu neuen, wieder lukrativen Geschäftsmodellen.

Der Dax notiert weit oberhalb seiner 200-Tage-Linie, die derzeit bei 12.442 Punkten verläuft und steil nach oben zeigt. Der Abstand des Dax zur 200-Tage-Linie hat sich in den vergangenen Monaten noch ausgeweitet, das ist ein typisches Zeichen für eine dynamische Hausse-Verfassung. Kurzfristige Korrekturen sind durchaus möglich, sollten aber spätestens im Bereich um 13.000 Punkte aufgefangen werden.

Auch wenn die mittelfristige Anstiegsphase im Dax nun bald fünf Monate dauert, ist es für Anleger wenig sinnvoll, sich gegen den großen Hausse-Trend zu stellen.

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