Selbst der Marktführer wurde überrascht, das müssen die Experten von Immoscout24 bei ihrer traditionellen Pressekonferenz zum neuen Wohnbarometer zugeben. Einmal im Quartal bieten sie einen Einblick in die Daten, die sie aus den hunderttausenden Immobilienanzeigen auf ihrem Portal generieren. Es geht stets nach demselben Schema: Wie ist die Lage auf dem Kaufmarkt, wie sieht es bei den Mieten aus und, stets zum Schluss, wie wird sich all das weiter entwickeln?
Nur dass Immoscout sich diesmal nicht zutraut, die Prognose mit konkreten Daten zu unterfüttern, zumindest nicht für Kaufimmobilien. „Die Einflussfaktoren sind zu mannigfaltig, hier geben wir diesmal keine Prognose in Prozentzahlen ab“, entschuldigt Geschäftsführer Thomas Schroeter.
Für den Mietmarkt wiederum hat Immoscout die Prognose aus dem Vorquartal deutlich korrigiert – und zwar nach oben. Fast überall werden die Mieten steigen, heißt es nun, und das um bis zu neun Prozent (Hamburg), allein bis Ende des Jahres, wohlbemerkt.
Der Immobilienmarkt steht Kopf, das zeigt sich bei Kauf- und Mietimmobilien gleichermaßen, wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise. Oder, wie es Schroeter formuliert: „Der Immobilienmarkt befindet sich in einer Anpassungsphase an die neue ökonomische Realität.“
Diese Realität besteht vor allem aus steigenden Preisen und Unsicherheit. Die Inflation steigt, getrieben vor allem von den Energiepreisen, die wiederum nicht nur die Lebenshaltungskosten aller Deutschen treiben, sondern auch die Baupreise. Glaubt man ersten Schätzungen, dürfte die Lage sich gen Winter noch deutlich verschlimmern.
Während die Europäische Zentralbank mit der Zinswende noch zögert, sind die Bauzinsen längst enteilt, von etwa einem Prozent für ein Standarddarlehen mit zehnjähriger Zinsbindung auf nunmehr deutlich über drei Prozent, Tendenz weiter steigend. Für Käufer sind die Folgen desaströs.
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Am Beispiel durchschnittlicher Immobilien in Hamburg oder München rechnen Schroeter und Kollegen erneut vor, wie stark die monatliche Belastung allein durch den Zinsanstieg explodiert ist: In beiden Fällen um etwa 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, und das, obwohl die Immobilien selbst in den Beispielrechnungen sogar günstiger geworden sind.
In absoluten Zahlen heißt das, dass Käufer für besagte Standardimmobilie plötzlich 1000 Euro (Hamburg) oder gar bis zu 1800 Euro (München) im Monat zusätzlich zahlen müssen. Die Raten liegen nun also bei 2000 bis gut 4000 Euro, und das bei einer eher geringen Tilgung von zwei Prozent und einer Zinsbindung von gerade einmal zehn Jahren.
„Es wird für viele schwer, sich solche Objekte kaufen zu können“, sagt Schroeter. Die Zinsen und mit ihnen die Belastung stiegen mit einer seit langem nicht gekannten Geschwindigkeit. Das Resultat: „Was ich mir letzte Woche noch leisten konnte, kann ich mir oft diese Woche schon nicht mehr leisten.“
Wer den Traum von der Immobilie trotzdem nicht aufgeben will, für den sieht Schroeter nur eine Lösung: mehr Eigenkapital, um die Zinsen zu drücken. „Eigenkapital ist der einzige Ausweg.“ Wer nicht auf ein Erbe oder eine großzügige Schenkungen hoffen kann, dem bleibt als Alternative, auf günstigere Immobilien auszuweichen, um seinen Eigenkapitalanteil erhöhen zu können.
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Oder er legt den Traum vom Haus gleich ganz aufs Eis. Das tun offenbar derzeit sehr viele Deutsche, wie die Immoscout-Daten zeigen. Kletterten in den letzten Wohnbarometern die Kaufpreise stets weiter, während der Mietanstieg sich deutlich abkühlte, so ist die Lage nun genau andersherum.
Während die Nachfrage nach Kaufimmobilien im zweiten Quartal um mehr als ein Viertel einbrach (27 Prozent), stieg die nach Mietimmobilien um 48 Prozent an. Die Leute seien so unsicher, ob sich der Immobilienkauf lohne, dass sie lieber Mieter blieben, „bis sich der Markt beruhigt hat“, sagt Schroeter. Das könne jedoch noch dauern und sich die Situation auf dem Mietmarkt deshalb immer weiter anspannen; daher die nach oben korrigierte Prognose der Mietsteigerungen.
Wenn die Menschen nun scharenweise in Mietverhältnisse streben, öffnet das für die verbliebenen Kaufwilligen nicht neue Möglichkeiten? Sicher, es gibt erstmals seit langem wieder etwas Spielraum, über Preise zu verhandeln. Und die Angebotspreise sind jetzt schon mancherorts niedriger als im ersten Quartal.
Von einem Einbruch der Nachfrage, ja gar einem Käufermarkt, in dem es wieder echte Schnäppchen gibt, kann indes keine Rede sein. Zwar klingt die Zahl 27 (Prozent), um die die Nachfrage nach Kaufimmobilien dem Portal zufolge eingebrochen ist, imposant. Die Zahl der Kaufwilligen liegt absolut betrachtet jedoch immer noch auf Rekordniveau, zeigen die Immosccout-Zahlen, ja gar über dem Wert von 2019. Und von wenigen Ausnahmen abgesehen steigen demnach auch die Kaufpreise weiter, nur eben weniger stark als vorher.
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