Peter Altmaier, Thea Dorn, Thomas Ostermeier "Die Welt macht uns schwindlig"

Die Welt ist aus den Fugen geraten. Wer hat die Macht, sie wieder einzurenken? Ist die Politik heute ohnmächtig? Antworten von Autorin Thea Dorn, Kanzleramtschef Peter Altmaier und Bühnenregisseur Thomas Ostermeier.

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Kanzleramtschef Peter Altmaier, Autorin Thea Dorn und Bühnenregisseur Thomas Ostermeier im Gespräch. Quelle: Werner Schuering für WirtschaftsWoche

Am Anfang ist die Dame. Schriftstellerin Thea Dorn, bekannt als Autorin von „Die deutsche Seele“ und Ensemblemitglied des „Literarischen Quartetts“, kommt zuerst ins Renger-Patzsch in Berlin-Schöneberg. Sie wohnt ganz in der Nähe. Thomas Ostermeier erreicht sein Lieblingsrestaurant ein paar Minuten später, winkt voraus, begrüßt im Nebenraum aber erst einmal den Schauspieler Sebastian Koch. So viel Zeit muss sein. Der Künstlerische Leiter der Schaubühne am Ku’damm hat in den vergangenen Jahren besonders schöne Shakespeare-Inszenierungen („Hamlet“, „Richard III.“) vorgelegt. Unerwartet und angenehm unstandesgemäß rollt dann der letzte Gast des Abends mit dem Fahrrad vor. Der Politiker Peter Altmaier, Kanzleramtschef, enger Vertrauter der Bundeskanzlerin und Mitverfasser des CDU-Wahlprogramms, hat für den kurzen Weg aus seiner Charlottenburger Wohnung auf den Dienstwagen verzichtet.

Um Macht soll es mit ihnen an diesem Abend gehen, aber auch um Ohnmacht – also darum, was die Welt in dieser turbulenten Zeit zusammenhält. Oder etwa nicht? Wie machtvoll sind Politiker, die „systemrelevante Banken“ retten müssen und uns laufend „Alternativlosigkeiten“ auftischen? Kann das Theater im Sinne Schillers noch ein besserer Ort des Gegenentwurfs, eine „moralische Anstalt“ sein? Und welchen Einfluss haben „public intellectuals“ in einer Öffentlichkeit, auf deren demoskopische Vermessung im Wochentakt wiederum die Politik reagiert? Große Fragen, die sich auch mit Spargel, Perlhuhn und Weißwein nicht lösen, wohl aber leidenschaftlich diskutieren lassen.

WirtschaftsWoche: Frau Dorn, Herr Ostermeier, Herr Altmaier – hier am Tisch sitzen eine sprachgewaltige, streitbare Publizistin, ein auf der ganzen Welt gefeierter Theatermacher und der wohl wichtigste, weil einflussreichste Vertraute der Bundeskanzlerin. Wer von Ihnen ist am mächtigsten?

Dorn: Mächtig? Ich als freiberufliche Schriftstellerin sicher nicht.

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Aber Ihre Bücher sind Bestseller, Ihre Essays werden viel gelesen und breit diskutiert. Millionen sehen Sie im Fernsehen. Ist das keine Macht?

Dorn: Macht ist, klassisch definiert, die Fähigkeit, seinen Willen gegen Widerstände durchzusetzen. Das vermag ich nicht. Im Gegensatz zu Herrn Altmaier beispielsweise. Es stimmt, ich kann Debatten befeuern. Aber dann habe ich vielleicht etwas, das ich Einfluss nennen würde.

Altmaier: Bevor ich mich gegen den Vorwurf des Machthabers hier am Tisch wehre, würde ich zuerst gerne eine feine Linie zwischen Macht und Allmacht ziehen. Allmächtige Politiker würden mir Angst machen. Glücklicherweise kenne ich auch keine. Unsere Macht als Politiker in Deutschland ist begrenzt, das muss auch so sein. Und doch gilt: Politiker, die gar nichts zu ändern vermögen, sind fehl am Platz. Im Übrigen, Frau Dorn, will ich Ihnen aus Überzeugung widersprechen: Über das, was wir politisch gestalten sollten, wird in der Gesellschaft debattiert. Dabei haben Kunst und Kultur, Filmemacher, Theaterregisseure und Intellektuelle, die sich einmischen, einen gewaltigen Einfluss. Das ist selbstverständlich eine Form von Macht.

Herr Ostermeier, Sie wollen sicher Einspruch erheben.

Ostermeier: Allerdings. Ich habe keine politische Macht. Und bin auch sehr froh drum. Der große Schauspieler Gert Voss hat mal gesagt: Der Mensch ist nicht für die Macht gemacht. Von Shakespeare können wir das plastisch und drastisch lernen: Macht deformiert den Charakter, bricht die menschliche Moral. Immer droht der Missbrauch. Lesen Sie mal „Maß für Maß“, Herr Altmaier. Da ist das alles durchdekliniert: Verlotterung durch Macht, Verkümmerung, Abstieg – alles.

Altmaier: Genau deshalb habe ich eben von den Grenzen gesprochen, die uns gesetzt sind. Das hat einerseits mit Verfassung und Demokratie zu tun. Aber andererseits auch mit kontrollierender, kritisierender Öffentlichkeit und gesellschaftlichem Comment. Was ich sagen will: Politik lebt von Kräften und Einflüssen, die wir selbst nicht in der Hand haben.

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