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A flag of Germany waves next to the dome of the Reichstag building where the German federal parliament Bundestag meets, in Berlin, Germany, Wednesday, Feb. 12, 2020. (AP Photo/Michael Sohn) Quelle: AP

Das politische System braucht ein Time-out

Beat Balzli
Beat Balzli Ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Zur Kolumnen-Übersicht: Balzli direkt

Wenn ausländische Politikbetriebe zum Sanierungsfall werden, heuern sie für eine Übergangsphase Experten an. Das sollte sich Berlin zum Vorbild nehmen.

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An Karneval war eigentlich alles gesagt. Was viele nach dem plumpen Putzfrauen-Pogo ahnten, bestätigten in der Folge die Umfrageergebnisse für Annegret Kramp-Karrenbauer. Die CDU hatte keine Vorsitzende, sondern eine bemühte Platzhalterin im Schatten ihrer Vorgängerin. Damit ist nun Schluss. Als Nachbeben zu Thüringengate, wo sich CDU und FDP mithilfe der AfD beinahe eine Regierung erschlichen hätten, gab AKK ihren baldigen Rücktritt bekannt. Dass in derselben Woche der Gewinn bei Daimler einbrach, passt ins Bild. Laut einer Umfrage glauben 80 Prozent der Deutschen, dass Mercedes-Fahrer CDU wählen, viel verdienen und wenig für Klima übrig haben.

Den Blues im verstaubten CDU-Kosmos genießt die Konkurrenz. Die AfD, weil ihr Oberfaschist als Ursache dafür geadelt wurde. Die SPD, weil ihr Abrutschen in die Bedeutungslosigkeit gerade keinen interessiert. Die Grünen, weil sich noch niemand Gedanken über die Regierungsfähigkeit ihrer Spitze macht. Die FDP, weil es von der FDP ablenkt. Die Linken, weil ihre Enteignungsträume im Trubel untergehen.

Alle sitzen nun beim Schaulaufen der Kandidaten für die AKK-Nachfolge in der ersten Reihe. Wer wird nächster Kanzlerkandidat?, fragen sie sich. Merz, Laschet oder Spahn? Muss Merkel weg? Und die GroKo auch? Doch das sind nicht die richtigen Fragen. Warum sollte das immerselbe Personal in neuen Konstellationen alles besser machen? Ist nicht der mangelnde Leistungsausweis das Kernproblem? Das Missachten der Wählerbedürfnisse? Sind am Ende alle betriebsblind, nicht nur die von der CDU?

Für die Österreicher war die Ibiza-Affäre ein Segen. Neben der Pulverisierung der Rechten hat sie dem Land vorübergehend eine Expertenregierung gebracht. Prompt und ohne Parteienhickhack kam gleich eine Steuerreform, der Ausbau der Ökostromnetze et cetera. Es war wie ein Timeout für das zähe Regierungsspiel. Auch andere Nationen kennen Technokratenphasen, die zwar nicht als Sternstunde der Demokratie in die Geschichte eingehen, aber für eine Übergangszeit erfreulich konkrete Ergebnisse bringen.

Das könnte auch Deutschland guttun. Der Berliner Betrieb braucht eine Art McKinsey-Truppe, die während eines Nothalts die wichtigsten Dossiers abarbeitet. Damit lässt sich Glaubwürdigkeit gewinnen und Zeit für die Altparteien, um sich vor der drohenden Disruption neu aufzustellen – statt mit Politikroutiniers hektisch das Weiter-so zu verwalten und auf ein Wunder zu hoffen.

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