Bauernproteste Das Ende der 65-Milliarden-Euro-Mär von den ökoschädlichen Subventionen

Bauern protestieren in Berlin mit Traktoren gegen die Ampel auf der Straße des 17. Juni Quelle: imago images

Für die Grünen ist es bitter: Jahrelang kämpfen sie mit exorbitanten Zahlen gegen Umweltsünder – um ihre eigene Agenda zu finanzieren. Nun offenbaren die Trecker-Kolonnen in Berlin, dass da nicht viel zu holen ist. Schlimmer noch: Viele Subventionszahlen sind abenteuerlich zusammengeklaubt.

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So schnell hat die Regierung selten die Fahnen wieder eingerollt. Kaum tuckerten hunderte Traktoren auf der schnurgeraden Straße des 17. Juni (die an den Volksaufstand in der DDR 1953 erinnert) zum Brandenburger Tor, da stellten SPD, Grüne und FDP den Agrardiesel-Beschluss gleich zur Disposition.

Keiner will mehr wirklich die Steuerbegünstigung für Landwirte streichen. Konkret geht es um rund 470 Millionen Euro bei Diesel sowie die Kfz-Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge in gleicher Höhe. Auf diese Weise sollten die Bauern zur Konsolidierung des Bundesetats für 2024 beitragen.

Dass die knapp eine Milliarde Euro nun im Bundeshaushalt als Sparbeitrag fehlt, ist für die Ampelregierung schon schmerzhaft. Noch viel schlimmer und schmerzhafter wiegt jedoch eine weitere Erkenntnis: Die sogenannten ökologisch schädlichen Subventionen, zu denen das Umweltbundesamt auch die beiden Agrarbeihilfen zählt, lassen sich selbst in Krisenzeiten nicht abbauen. Es geht insgesamt um eine astronomische Summe von 65 Milliarden Euro. Also um noch mehr Geld als die 60 Milliarden Euro, die von der Ampelregierung 2021 vom Corona-Hilfsfonds in den Klima- und Transformationsfonds KTF verschoben wurden – in verfassungswidriger Weise, wie Karlsruhe vor einem Monat feststellte. 

Wurst, Käse und Fleisch auf der schwarzen Liste

Ein Blick in die 65 Milliarden Euro schwere Liste des Umweltbundesamtes zeigt, wie absurd und lebensfremd die 1800 Mitarbeiter starke Behörde nach eigenem Gusto angebliche oder tatsächliche Subventionen zusammengeklaubt hat. 

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Auf der zuletzt 2021 aktualisierten Liste, die für viele Grüne und Genossen eine Art dritte Moses-Tafel bedeutet, stehen allein im Bereich der umweltschädlichen Agrarsubventionen noch „mindestens“ 5,2 Milliarden Euro Mehrwertsteuerermäßigung für tierische Produkte. Gemeint ist, dass Wurst, Käse und Fleisch wie andere Nahrungsmittel nur mit sieben statt regulär 19 Prozent besteuert werden. Außer bei Veganern dürfte allerdings eine drastische Verteuerung vieler Lebensmittel in der Bevölkerung ähnlich schlecht ankommen wie die Dieselverteuerung bei Landwirten.

Auch sozialer Wohnungsbau als schädlich eingestuft

Bizarr wirken auf der UBA-Liste umweltschädlicher Subventionen auch die 3,1 Milliarden Euro  im Bereich des Bau- und Wohnungswesens. Die soziale Wohnraumförderung schlägt hierbei allein mit 1,2 Milliarden Euro zu Buche, ein KfW-Programm mit 1,7 Milliarden. Eine gewisse Ironie drängt sich beim Lesen der energetischen Subventionen auf, die das UBA kürzlich auf gut 25 Milliarden Euro bezifferte. Ironie deshalb, weil der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in den vergangenen anderthalb Jahren ein regelrechtes Feuerwerk an neuen Maßnahmen zur Verbilligung von Strom und Gas zündete, insbesondere zugunsten der Industrie.



Eine Lanze für die Pendlerpauschale

Den größten Block auf der Liste bilden laut Umweltbundesamt die Verkehrssubventionen: 30,8 Milliarden Euro. Allein auf Dienstwagen- und Pendlerpauschale entfallen gut neu Milliarden. Allerdings ist umstritten, ob es sich hier überhaupt um Subventionen handelt. Für die FDP und für Bundesfinanzminister Christian Lindner handelt es sich nicht um begünstigende Privilegien, sondern um unbürokratische Pauschalen. Und der grüne Finanzminister Danyal Bayaz aus Baden-Württemberg sagte vor einer Woche im Interview mit der WirtschaftsWoche zur Pendlerpauschale, „dass es hier eine soziale Komponente gibt für die, die sich kein Eigenheim im Ballungsgebiet leisten können und tagtäglich zwischen Wohnung und Arbeitsstätte hin- und herpendeln müssen“. Erstaunlicherweise tauchen im UBA-Papier neben der Energiesteuerbefreiung für Binnenschiffer (mindestens 141 Millionen Euro) und für den Flugverkehr (8,4 Milliarden) auch Biokraftstoffe mit fast einer Milliarde auf.

Lindners alternative Liste

Das Bundesfinanzministerium hat sich nie die UBA-Liste zu eigen gemacht. Statt dessen kursiert im Hause Lindner eine Studie des finanzwissenschaftlichen Forschungsinstituts an der Universität Köln: Die Wissenschaftler kamen auf  Subventionen in Höhe von 7,4 Milliarden Euro, insbesondere für Strom und andere Energie. Mit dabei: Agrardiesel und die Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge. Diese Liste scheint viel näher an der Lebenswirklichkeit zu liegen als die des UBA.

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Für die Grünen bedeutet dieser Herbst 2023 ein ernüchterndes Rendezvous mit der finanzpolitischen Realität. Nicht nur 60 Milliarden Euro aus dem KTF sind weggebrochen. Die 65 Milliarden Euro angeblich umweltschädlicher Subventionen entpuppen sich als Popanz, der einem Wirklichkeitscheck in Regierungsverantwortung nicht standhält.

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