Bundesetat Warum es in Deutschland keinen Shutdown wie in den USA geben kann

Quelle: imago images

Zwar kloppen sich die Ampel-Koalitionäre um den Etat für 2024, doch unabhängig von einer Einigung bleibt der deutsche Staat handlungsfähig.

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Die Finanzwelt schaut nach Washington und hält den Atem an. Zwar haben sich US-Präsident Joe Biden und der Republikaner Kevin McCarthy im Streit um die Schuldenobergrenze geeinigt, in trockenen Tüchern ist der Deal aber noch nicht. Scheitert er, droht laut US-Finanzministerin Janet Yellen ab dem 5. Juni die Zahlungsunfähigkeit des mächtigsten Staates der Welt. Auch in der Bundesregierung tobt ein Haushaltsstreit – doch außerhalb Deutschlands versetzt dies kaum jemanden in Aufregung. 

Denn auch ohne regulären Etat könnten die Bundesregierung und die Bundesbehörden im nächsten Jahr weiter die meisten Zahlungsverpflichtungen erfüllen. Das hängt mit Artikel 111 Grundgesetz zusammen, erklärt Ulrich Hufeld. Der Jurist ist Professor für Öffentliches Recht und Steuerrecht an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg. „Artikel 111 verhindert genau das, was in den USA mit dem Shutdown droht.“

Der Verfassungsartikel regle das Haushaltsgebaren der Bundesregierung und der Verwaltung „im etatlosen Zustand“ – quasi als Nothaushaltsrecht der Regierung im Vorgriff auf das spätere Budgetgesetz.

Die Schuldengrenze ist seit mehr als 100 Jahren Teil des amerikanischen Systems. Doch zum regelmäßigen politischen Spielball ist sie erst vor einigen Jahren geworden. Ein Blick in die Geschichte.
von Julian Heißler

„Etatloser Zustand“

Eine derart „etatloser Zustand“ ab dem 1. Januar 2024 ist nicht mehr gänzlich unwahrscheinlich, seit der federführende Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) zuerst im März auf die Bekanntgabe von Eckpunkten für die einzelnen Ministerien verzichtete und nun auch die Zuleitung des Haushaltsentwurfs ins Kabinett zum 21. Juni 2023 verschob, und zwar ohne Nennung eines neuen Datums. Der Grund: Viele Ministerien wollen deutlich mehr Geld, als die festgelegte Neuverschuldungsgrenze hergibt. Um 20 Milliarden Euro zu hoch seien die Forderungen, heißt es aus dem Bundesfinanzministerium

Initiativmonopol contra Königsrecht

Also wird zunächst innerhalb des Bundeskabinetts weiterverhandelt. Und zwar unter Federführung von Lindner, der theoretisch auch ein Vetorecht im Kabinett hat. Doch davon machte noch kein Finanzminister in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch. Auch diesmal ist nicht daran zu denken – wohl aber, dass sich der Haushaltsstreit noch munter in die Länge zieht. Erst in der Regierung und dann im Bundestag und vielleicht auch noch im Bundesrat. 
Obwohl der Bundestag das eigentliche Haushaltsrecht hat – auch „Königsrecht des Parlaments“ genannt, ist zunächst die Bundesregierung am Zug. Gemäß Artikel 110 Grundgesetz habe die Regierung das Initiativmonopol beim Haushaltsgesetz, erklärt Professor Hufeld. Das liege daran, dass die Abgeordneten des Bundestages weder über die Informationen noch über die Ressourcen verfügten, um die Myriaden an Haushaltsdaten zusammenzutragen.



Die Zeit drängt

Allerdings sind die Bundesregierung und der Bundesfinanzminister damit auch in der Verantwortung, beizeiten in die Puschen zu kommen. Einigen sich die roten, grünen und gelben Minister erst nach der Sommerpause auf einen Haushaltsentwurf, könnte es in der Folge mit den notwendigen Beratungen im Bundestag eng werden. Üblicherweise beschließt der Bundestag in zweiter und dritter Lesung im Dezember über den Etat des folgenden Jahres. 

Und falls nicht? Dann geht das öffentliche Leben anders als in den USA weiter, sagt Hufeld. Wenn auch nur in den Grenzen von Artikel 111 Grundgesetz. Danach sind die unbedingt notwendigen Tätigkeiten zu leisten. Dazu zählt, dass gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten und gesetzlich beschlossene Maßnahmen durchzuführen sind, dass die rechtlich begründeten Verpflichtungen des Bundes zu erfüllen sind und dass Bauten, Beschaffungen und sonstige Leistungen fortzusetzen sind, für die bereits Mittel bewilligt worden sind. 

Nachträgliche Finanzierung

Bei einem etatlosen Zustand darf die Regierung jedoch keine neuen Ausgaben tätigen, betont Hufeld. Trotzdem können letztlich neue Aufgaben nachträglich finanziert werden, wenn der Haushalt dann endlich verabschiedet ist. Das geschieht häufiger, nämlich grundsätzlich nach den Bundestagswahlen. So trat der Haushalt 2022 erst im Frühsommer desselben Jahres in Kraft, nachdem sich die neue Regierung konstituiert und dann auf einen eigenen Haushaltsentwurf verständigt hatte.

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Zweischneidig für Lindner

Für Bundesfinanzminister Lindner ist die Rechtslage ein zweischneidiges Schwert. Als gestaltungsstarker Politiker möchte er gewiss gerne mit einem rechtskräftigen Etat 2024 ins nächste Jahr starten. Andererseits kann er auch pokern und die ebenfalls gestaltungswilligen Ressortkollegen beizeiten zum Einlenken bei ihren Budgetforderungen drängen. Wie streitlustig es auch immer in Berlin weitergeht, zumindest droht für das öffentliche Leben in Deutschland kein Shutdown à la USA.

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