Deglobalisierung, Insolvenzen, Digitalisierung Diese Corona-Thesen haben sich so nicht bewahrheitet

Zombieunternehmen, Homeoffice, Geschäftsreisen Deglobalisierung und Digitalisierung Quelle: Imago, Unsplash

Eine Krise bietet viel Raum für Prognosen. Das hat die Coronapandemie mehr als deutlich gemacht. Auf vielen Gebieten gab es dunkle wie hoffnungsvolle Voraussagen. Längst nicht alle haben sich vollständig bewahrheitet.

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Die Coronapandemie hatte gerade weltweit Fahrt aufgenommen, und schon wuchs die Zahl der Prognosen zur Post-Corona-Zeit. Thesen von so manchen Experten, die aufzeigen sollten, wie dieses Virus und die damit einhergehende Krise unsere Welt verändern würde. Nun, über ein Jahr nach Beginn der Pandemie lässt sich ein erstes Fazit ziehen. Von den seit Monaten heiß diskutierten Prognosen treffen manche ins Schwarze – oft liegen sie aber auch daneben.

So hat etwa der durch Corona populär gewordene Virologe Hendrik Streeck einige Fehleinschätzungen über das Ausmaß der Pandemie getroffen. „Wenn die Meinung am Ende revidiert wird, ist das kein Zeichen von Scheitern, sondern von Fortschritt“, rechtfertigt er sich im Nachgang. Doch er war nicht der Einzige, der nicht immer richtig lag. Fünf Prognosen im Realitätscheck.

1. Corona führt zu Deglobalisierung

Kein geringerer als Ökonom Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW), kündigte im Mai 2020 einen langfristig massiven Rückgang der Globalisierung an. Und auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnte im Frühjahr vergangenen Jahres: „Die Industrie sieht mit Sorge, dass sich die Bundesregierung weitreichende Eingriffsbefugnisse in Produktion, Preis und Handel verschafft hat.“ Das könne das Ende der Globalisierung bedeuten.

Anfang 2020 verschärfte sich zunächst die Lage in China, kurze Zeit später stiegen die Fallzahlen in Europa rapide an – und mit ihnen auch die Todesfälle. Von da an veränderte sich das Blickfeld auf die globale Freizügigkeit und Errungenschaften des freien Welthandels. Viele Grenzen wurden geschlossen und die bis dato so enge Vernetzung der Welt wurde von heute auf morgen teilweise zurückgedreht. Menschen konnten nicht mehr „mal eben“ um den Globus fliegen und Waren über Tausende von Kilometern transportieren.



Die Pandemie unterbrach viele Lieferketten durch Grenzkontrollen, Exportverbote und Lockdowns. Der Ausfall einiger Zulieferer legte ganze Wertschöpfungsketten lahm. Deutsche Exportzahlen zeigten, wie sehr Corona die Bereiche Gesundheit, Gesellschaft und Wirtschaft im Griff hielt: Deutschland exportierte im März 2020 so wenig wie seit 30 Jahren nicht mehr. Die Prognose im Frühjahr 2020: Während die Weltwirtschaft üblicherweise jährlich um 1,2 bis 1,5 Prozent wächst, würde sie 2020 massiv einbrechen. Deglobalisierung sei auf dem Vormarsch, so die Warnung einiger Ökonomen.

Monate nach dieser Prognose gibt es heute nur wenige Anzeichen für die Deglobalisierung. „Länder erkennen, dass vielfältige Lieferketten eine gute Sache sind“, sagte jüngst der Chefökonom der Welthandelsorganisation (WTO), Robert Koopman. Das führe zu einer – wie er es nennt – Reglobalisierung. Der globale Warenhandel ist im Coronajahr 2020 zwar vorübergehend um etwas mehr als neun Prozent zurückgegangen, soll aber in diesem Jahr nach Berechnungen der WTO wieder um etwa sieben Prozent ansteigen. Im April hatte die WTO für 2020 noch einen Einbruch von bis zu 32 Prozent prognostiziert.

„All diejenigen, die die Globalisierung totreden wollen, die sich sicher sind, dass die Globalisierung beendet ist – sind diejenigen, die die Entwicklungen nicht richtig beobachten“, sagte auch Karl Gernandt, Chef des Logistikriesen Kühne + Nagel, im Podcast „Chefgespräch“ mit WirtschaftsWoche-Chefredakteur Beat Balzli.

Die kurzen Störungen des Welthandels in jüngster Zeit könnten ihren Ursprung ohnehin nicht ausschließlich in der Pandemie, sondern auch in politischen Entscheidungen haben. Schon vor Corona sei die Globalisierung ins Stocken geraten – durch „zunehmenden Nationalismus und die chinesisch-amerikanische Rivalität“, sagt Thomas Rausch von der Bertelsmann-Stiftung.

Das Fazit aktuell: Die Krise wirkt sich auf den Handel weitaus geringer aus, als während der Finanzkrise von 2008 bis 2009. Deglobalisierung infolge von Corona? Diese These lässt sich kaum halten.

So groß ist der Einschnitt von Corona in den Unternehmen

2. Nach der Coronakrise kommt die Insolvenzwelle

Im August 2020 waren in Deutschland mehr als eine halbe Million Unternehmen – also jeder sechste Betrieb – infolge der Coronakrise überschuldet. Bei vielen Beobachtern stieg die Sorge, dass es zu einer millionenschweren Insolvenzwelle kommen könnte. Viele schon vorher wackelige Unternehmen wurden durch die Krise weiter geschwächt und entwickelten sich infolge schwerer Verluste zu Insolvenzkandidaten.

Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform schätzte im Mai 2020 ein Fünftel mehr Firmenpleiten in Deutschland. „Jeder Lieferant muss sich fragen, ob sein Geschäftspartner tatsächlich noch solvent und stabil ist – oder doch längst insolvent ist, aber noch keinen Antrag stellen musste“, sagte Thomas Langen, der Vorsitzende der Kommission Kreditversicherung im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Ende des vergangenen Jahres. Stefan Schneider, Chefvolkswirt für Deutschland bei der Deutschen Bank, hatte bereits im August angekündigt, dass es nach Ablauf des Insolvenzmoratoriums zu einem Dominoeffekt kommen könne, bei dem auch gesunde Unternehmen durch die Häufung von Zahlungsausfällen in die Knie gezwungen werden.

Im Frühjahr 2020 hatte die Bundesregierung mit Blick auf die anschwellende Krise die Insolvenzantragspflicht für alle Unternehmen ausgesetzt. Zunächst bis Herbst und nach mehreren Verlängerungen letztlich sogar bis Ende April 2021. Für einige Unternehmen, die überschuldet, aber noch nicht zahlungsunfähig sind, gilt das noch bis Jahresende. Und: Bund und Länder griffen den Unternehmen mit einer Vielzahl an finanziellen Hilfen unter die Arme. Der Bund hatte den Angaben zufolge in Zuschussprogrammen 150 Milliarden Euro bereitgestellt. Die Luftfahrtbranche erhielt noch eine millionenschwere Extra-Finanzspritze: Lufthansa und Tui wurden so mit Riesenbeträgen unterstützt.

Infolgedessen ging die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen auf einen neuen Tiefststand zurück. Die Amtsgerichte meldeten 15.841 Unternehmensinsolvenzen und damit 15,5 Prozent weniger als 2019, teilte Ende April das Statistische Bundesamt mit. Viele schoben diese Zahlen ausschließlich auf das Aussetzten der Insolvenzantragspflicht. Allerdings: Seit diese für die meisten Betriebe wieder gilt, ist kein Anschwellen der Insolvenzzahlen in Sicht.

Insolvenzexperten gaben bereits leichte Entwarnung. „Schon in den vergangenen Monaten galten die Ausnahmeregelungen nur noch für einen eng eingegrenzten Kreis von Unternehmen“, sagte etwa Tillmann Peeters, Geschäftsführer der Sanierungsberatung Falkensteg im April der WirtschaftsWoche. „Trotzdem ist die Wahrnehmung in weiten Teilen der Wirtschaft eine ganz andere: Viele Unternehmer gehen davon aus, sie bräuchten momentan keine Insolvenz anmelden“, so Peeters.

Auch der Düsseldorfer Insolvenzverwalter Dirk Andres von der Sanierungs- und Insolvenzkanzlei AndresPartner sagte im Gespräch mit der WirtschaftsWoche im Frühling 2021, er glaube nicht an die große Welle von Insolvenzanträgen. „Es gibt immer noch zahlreiche Hilfsprogramme und Unterstützungsmaßnahmen wie die Kurzarbeit, die viele Unternehmen über Wasser halten“, sagte Volker Hees ebenfalls im April. Der Partner der Düsseldorfer Kanzlei Hoffmann Liebs berät Unternehmen, Gesellschafter und Geschäftsleiter in Fragen des Insolvenz- und Sanierungsrechts. Viele Unternehmen befänden sich „derzeit noch in einer Art Winterschlaf“, so Hees. „Erst wenn Firmen aus stark betroffenen Wirtschaftszweigen wie der Hotellerie, der Gastronomie und der Veranstaltungsbranche ihre Geschäft wieder hochfahren – und damit auch ihre Kostenbasis steigt – wird sich zeigen, welche Unternehmen langfristig eine Chance haben.“

Fazit: Mit der großen Insolvenzwelle ist eher nicht mehr zu rechnen. Das Risiko einer Vielzahl an Insolvenzen ist allerdings noch nicht ganz ausgestanden.

3. Nie wieder raus aus dem Homeoffice

Das Büro von morgen: in den eigenen vier Wänden. Seit März vergangenen Jahres herrscht Ausnahmezustand. Der Bundestag hatte im April 2021 zur Reform des Infektionsschutzgesetzes sogar eine Pflicht zum Homeoffice eingeführt. Arbeitgeber mussten seitdem Heimarbeit ermöglichen und Arbeitnehmer wiederum annehmen, wenn nicht ein gravierender Grund dagegen sprach.

Das Ende der Pandemie war nicht in Sicht und so auch nicht die Rückkehr ins Büro. Nach über einem Jahr Homeoffice rechneten einige schon gar nicht mehr damit, überhaupt noch zurückzukommen. Unternehmen wie Microsoft, Twitter und Facebook verkündeten verschiedentlich, dass die Büroarbeit außerhalb der Firmensitze für einen Großteil ihrer Mitarbeiter oder womöglich alle eine dauerhafte Option werden könnte. Auch in Deutschland zeigten Unternehmen wie Siemens. Auch der Immobilienkonzern Deutsche Wohnen kam zu dem Ergebnis, dass „Qualität und Quantität der Arbeitsergebnisse beibehalten und zum Teil sogar gesteigert wurden“ während der Zwangs-Homeoffice-Phase.

Doch seit wenigen Wochen scheinen die Massenimpfungen zu wirken. Die Inzidenzen sinken rasant. Wie viel Homeoffice bleibt? Die Pflicht zum Homeoffice wird nicht über den 30. Juni hinaus verlängert.

Zwar gilt die These, dass Homeoffice sich deutschlandweit durchsetzt, demnach nicht für alle Arbeitnehmer in Deutschland – doch einige Firmen wollen durchaus ein Homeoffice-Konzept beibehalten. So verlegt etwa der Reisekonzern Tui das Büro der Zentrale am Standort Hannover vollkommen ins Homeoffice. Selbst Tui-Chef Friedrich Joussen wird kein festes Büro mehr haben, sondern auf einer offenen Fläche mit seinen Vorstandskollegen arbeiten.

Auch der Autohersteller Porsche legte sich fest: Zwölf Tage Homeoffice im Monat sollen ab Juni für alle Büroangestellten erlaubt sein, bei der DZ Bank rechnet man damit, dass die Quote der von zu Hause aus arbeitenden Mitarbeiter (zehn Prozent vor der Krise) auf 20 bis 30 Prozent steigen werde, und auch bei Siemens soll as mobile Arbeiten „dauerhaft als Standard“ etabliert werden. „Das Ziel ist, dass alle Beschäftigten im Schnitt stets zwei bis drei Tage pro Woche mobil arbeiten können, wenn es sinnvoll und machbar ist“, sagte eine Sprecherin des Konzerns dem „Tagesspiegel“.



Eine repräsentative Antwort auf die Frage, ob Homeoffice zum Dauerzustand wird, gibt eine im Oktober veröffentlichte Studie des Fraunhofer-Instituts. In der Studie „Arbeiten in der Coronapandemie — auf dem Weg zum New Normal“ wurden Entscheider (Verantwortliche aus Bereichen wie Personal, Organisationsentwicklung und Strategie) aus rund 500 Unternehmen in Deutschland befragt. Wie die Umfrageergebnisse zeigten, hat sich das Homeoffice in der Pandemie tatsächlich zur Normalität entwickelt, da in fast 70 Prozent der Unternehmen die Angestellten zum Zeitpunkt der Befragung komplett oder größtenteils von zuhause aus arbeiteten, während vor Corona lediglich bei 17 Prozent der befragten Betriebe Homeoffice die Regel gewesen war.

Auf die Frage, ob die Homeoffice-Regelungen dauerhaft Bestand haben werden, antworteten 42 Prozent der Entscheider, dass sie überzeugt sind, dass virtuelles Arbeiten im Homeoffice gut sei und vorangetrieben werden sollte. Die Schlussfolgerung der Studienmacher: „Die Rolle des Büros – die bereits vor der Pandemie in einem Wandel war - hat sich durch den flächendeckenden Einsatz des Homeoffice noch stärker verändert.“ Kurzum: Das Büro werde zwar der Hauptarbeitsort bleiben, es werde jedoch vermehrt durch das Homeoffice ergänzt.

Fazit: Homeoffice wird sich, auch dank Corona, besser durchsetzen, den Alltag im Büro allerdings sicher nicht gänzlich verdrängen

Alles nur noch über Zoom

4. Das Ende der Geschäftsreise

„Ich rechne damit, dass die Zahl der Geschäftsreisenden auf Dauer zwischen zehn und 20 Prozent unter dem Jahr 2019 liegt“, prognostizierte der Lufthansa-Chef Carsten Spohr im November vergangenen Jahres. Ähnlich schlechte Aussichten prognostizierte auch Christoph Carnier, Chef des Geschäftsreiseverbands VDR im vergangenen Jahr: „Es werden nur noch die absolut unverzichtbaren Reisen gebucht.“ Unternehmen haben die Möglichkeit der Videokonferenzen für sich entdeckt. So sparte Weltmarktführer und Schraubenhersteller Würth beispielsweise im Coronajahr 2020 70 Millionen Euro an Reisekosten, wie Reinhold Würth der WirtschaftsWoche mitteilte.

Ziemlich unerwartet, zeichnet sich nun jedoch eine Wende ab: Die Reisebranche erlebt derzeit ihr Comeback. Ein Blick in die Reservierungssysteme zeigt: Mit dem weitgehenden Ende des deutschen Lockdowns hat nicht nur die Zahl der Urlaubsbuchungen fast wieder das Niveau von 2019 erreicht. Auch Unternehmen schicken ihre Beschäftigten bereits wieder häufiger auf Geschäftsreisen als noch vor vier Wochen. Persönliche Treffen ergänzen immer öfter den virtuellen Austausch. Zu Gunsten der großen Netzwerkairlines: Sie leben von Vielfliegern im Auftrag ihrer Firmen. Diese Kunden sind in der Regel bereit, teurere Tickets zu buchen. Und sie kommen in regelmäßigen Abständen wieder. Ein signifikanter Rückgang hätte demnach massive Folgen.

Die Zahl der Geschäftsreisenden bei den großen Airlines wie Lufthansa dürfte mittelfristig weniger stark zurückgehen als noch vor wenigen Monaten angenommen: „Wir gehen inzwischen davon aus, dass der Rückgang eher bei zehn als 20 Prozent liegt“, sagte Lufthansa-Vertriebschef Stefan Kreuzpaintner im Juni 2021 der WirtschaftsWoche. Eine aktuelle Umfrage des Verbands Deutsches Reisemanagement stützt seine Vermutung: Schon jetzt wollen 76 Prozent der Unternehmen die Geschäftsreisen wieder aufnehmen.

Fazit: Die Geschäftsreise ist nicht tot, sie schwächelt, sie wird vielleicht seltener, aber aussterben wird sie nicht.

5. Corona als Digitalisierungs-Schub

Konzerte auf der Couch genießen, Spieleabend per Zoom, Yoga per Youtube, Konferenzen online besuchen. „Die Coronakrise hat die Digitalisierung unserer Zusammenarbeit um mindestens 15 Jahre nach vorn gebracht“, sagte Stefan Rief, Direktor beim Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart, und stimmte damit in den Chor derjenigen ein, die Corona als den Digitalisierungsbeschleuniger schlechthin feierten.

Vor allem Schulen sollten davon profitieren, Corona für die Digitalisierung der Schulen ein Katalysator sein. Denn bis 2019 lief die Digitalisierung dort sehr schleppend. Sie hing oft davon ab, ob sich im Kollegium jemand persönlich engagierte. Der „Digitalpakt Schule“ sollte 2019 einen Anstoß geben. Im Coronajahr 2020 folgten dann „Sofortprogrammen“, die den 5-Milliarden-Euro-schweren „Digitalpakt“ um weitere 1,5 Milliarden Euro aufstocken sollten.

Doch in der Praxis genutzt wurde dieser gewünschte Bildungs-Booster bislang offensichtlich kaum, wie die WirtschaftsWoche bereits im Mai berichtete: So haben beispielsweise nur vier Länder laut Bundesbildungsministerium (BMBF), das auf „vorläufige Angaben“ verwies, überhaupt Geräte angeschafft: Sachsen führte demnach mit 21.524 Tablets und Laptops, gefolgt von Niedersachsen (16.176 Geräte), Hessen (2368) und Nordrhein-Westfalen, wo 862 angeschaffte Geräte auf 2,49 Millionen Schülerinnen und Schüler kommen.

Die übrigen zwölf Länder gaben laut BMBF als Bestellgröße „0“ an – „sofort“ geht anders. (Stand Mai 2021). Weitere 500 Millionen Euro aus dem vermeintlichen Turbo-Programm stehen seit November 2020 bereit, damit Schulen IT-Administratorinnen und -Administratoren einstellen und ihre digitale Technik verbessern können. Doch von den Ländern sind zum Stichtag 31. Dezember „bisher weder Mittel abgerufen noch gebunden“ worden, teilte das BMBF auf WirtschaftsWoche-Anfrage im Mai mit.

Digitalisiertere Schulen durch Corona? Eher nicht. Ähnlich sieht es in der deutschen Wirtschaftswelt aus. Trotz zahlreicher Initiativen ist der digitale Durchbruch erneut nicht gelungen. Neue Studienergebnisse, die der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) kürzlich veröffentlicht hat, zeigen, dass sich viele gerne digitaler bewegen würden, dabei aber auf Hürden stoßen. Obwohl die Coronapandemie die Digitalisierung im Eiltempo vorangebracht hat, herrscht bei vielen noch Nachholbedarf.

Auch die IHK-Digitalisierungsumfrage 2021 unter knapp 3500 Firmen besagt: Die meisten Unternehmen sind in den vergangenen Jahren bei der Digitalisierung kaum vorangekommen. Demnach geben sie sich diesbezüglich nur die Schulnote 2,9 – das ist lediglich eine geringfügige Verbesserung gegenüber 2017 (Note 3,1). Zwar ist es dem Gros der Industrie gelungen, den Betrieb während der Coronapandemie aufrechtzuerhalten, der vermeintliche Digitalisierungsschub aber hat nicht stattgefunden. Im Gegenteil: Viele Projekte wurden auf Eis gelegt, der Rückstand der deutschen Wirtschaft ist sogar noch gewachsen.

Auch eine Umfrage von McKinsey in 19 europäischen Ländern zeigt: Verglichen mit den europäischen Nachbarn bildet Deutschland das Schlusslicht bei der Nutzung von digitalen Angeboten. „Die digitale Corona-Dividende hat ihren Höhepunkt erreicht“, sagt Gérard Richter, Leiter von McKinsey Digital.

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Einen fehlenden Willen bewies auch so manches Gesundheitsministerium. Softwareprobleme und Fax- statt Mailverkehr erschwerten beispielsweise die saubere Meldung von Infektionszahlen. Nicht unbedingt, weil es an einem digitalen System gefehlt hätte, das war mit dem „Deutschen Elektronischen Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz“ (DEMIS) durchaus verfügbar, wurde aber einfach nicht genutzt. Dabei hatten Bund und Länder während der Pandemie mit dem „Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst“ beschlossen, die Gesundheitsämter technisch und digital zu stärken.

Nun gibt es eine Frist: Bis Ende 2022 soll DEMIS nun in allen Gesundheitsbehörden verfügbar sein. Mit insgesamt 850 Millionen Euro soll der Öffentliche Gesundheitsdienst insbesondere im Bereich des Infektionsschutzes digitalisiert werden, etwa, indem einheitliche Systeme und Tools aufgebaut werden. Ob das tatsächlich erfolgreich umgesetzt wird, bleibt abzuwarten.

Die Arbeitsweise und -abläufe in Regierung und Verwaltung hätten sich kaum verändert, meint Stefan Heumann, Vorstandsmitglied der Stiftung Neue Verantwortung. Er sieht keinen Fortschritt in der Digitalisierung. „Wir sind bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems wirklich weit, weit zurück“, meinte jüngst auch der Charité-Vorstandschef Heyo Kroemer. Der Grund: fehlender Veränderungswillen. Es gebe einflussreiche Mitspieler – gerade in den Strukturen der Selbstverwaltung, die kein Interesse daran hätten, dass mehr digitalisiert werde.

Fazit: Corona hat unsere Welt digitaler gemacht – womöglich aber vor allem im Privaten, für eine gewisse Zeit. Eine Digitalisierungsrevolution sieht aber anders aus.

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