Konflikt mit Merkel Letzte Notbremse des Alphatiers Seehofer

Wenn er und Merkel keinen Kompromiss finden, dürfte Horst Seehofer wohl sein Amt als Bundesinnenminister abgeben. Quelle: dpa

Horst Seehofers Karriere sucht ihresgleichen. Seit Jahrzehnten ist er in höchsten Ämtern verantwortlich. Konflikte mit Kanzlerin Merkel begleiten ihn dabei schon lange. Werden sie ihm nun zum Verhängnis?

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Horst Seehofer droht Angela Merkel - Nachrichten mit dieser Schlagzeile waren in den vergangenen Jahren keine Seltenheit. Im Gegenteil: Konflikten mit der Kanzlerin ging der CSU-Vorsitzende, frühere bayerische Ministerpräsident und heutige Bundesinnenminister nie aus dem Weg. Meist gab es aber eine Verständigung - auch wenn sich Seehofer dafür am Ende oft mangelnde Glaubwürdigkeit vorwerfen lassen musste. Diesmal ist es anders. Im größten politischen Streit seiner Karriere - der Asylkrise mit der Kanzlerin - zieht Seehofer drei Tage vor seinem 69. Geburtstag (Mittwoch) die Notbremse.

Am Sonntag sucht Seehofer tatsächlich im Fernduell noch einmal die ultimative Machtprobe mit der Kanzlerin: Er zerpflückt deren Brüsseler Verhandlungsergebnisse, er gibt sich selbst hart und unnachgiebig. Und er wiederholt, es gehe im aktuellen Streit auch um die Glaubwürdigkeit „eines Vorsitzenden“. Glaubwürdigkeit - für Seehofer ist dies nach eigener Aussage die wichtigste Währung der Politik. Umso mehr dürften ihn verbale Angriffe wie sein Spitzname „Drehhofer“ stets geärgert haben. Und die Vorwürfe von CSU-Anhängern, zu oft am Ende noch einzuknicken, für Seehofer alles „Mickey Mäuse“.

Doch jetzt geht in Erfüllung, womit bei Seehofers Eintritt in Merkels Kabinett im März eigentlich zu rechnen war: dass der Dauer-Machtkampf zwischen Merkel und Seehofer irgendwann eskalieren muss. Seit Beginn der Flüchtlingskrise hatte es zwischen den beiden immer wieder gekracht, nur mühsam ließen sich die Gräben später wieder zuschütten. Das ging so weit, dass Seehofer Merkel einmal eine „Herrschaft des Unrechts“ vorwarf, ihr eine Verfassungsklage in Karlsruhe androhte.

Das gehört seit langem zu Seehofers Polit-Repertoire: so lange drohen, bis er vermeintlich einen Erfolg erzielt. So war das beim Streit über das Betreuungsgeld, über die Euro-Rettung oder andere Themen. Oft begründete der damalige bayerische Ministerpräsident seinen Kurs mit seiner angeblichen „Koalition mit den Bürgern“. Seine Partei musste mitziehen - und auch plötzliche Kehrtwenden mitmachen. Fakt ist: Parteifreunde werfen Seehofer schon lange einen bisweilen autokratischen Führungsstil vor. Seine bundespolitische Wirkungskraft wurde dafür aber gerne mit der von Franz Josef Strauß verglichen.

Nach dem CSU-Debakel bei der Bundestagswahl im Herbst 2017 stand Seehofer dann zeitweilig vor dem politischen Aus. Quasi täglich wuchs der Druck auf ihn, eines seiner Spitzenämter - Ministerpräsident oder CSU-Chef - zu räumen. Das Ende ist bekannt: Seehofer stimmte einer Ämtertrennung mit seinem ewigen Dauer-Rivalen Markus Söder zu, der im März zum bayerischen Regierungschef gewählt wurde. So holte Seehofer sich am Ende die Zustimmung für zwei weitere Jahre CSU-Vorsitz. Und dann ging er den nächsten Schritt, von dem er zuvor gesagt hatte, er sei nicht Teil seiner Lebensplanung: Er wechselte noch einmal nach Berlin: als Minister für Innen, Bau und Heimat.

Tatsächlich hat sich Seehofer damit ein Ministerium der besonderen Art zurechtgezimmert: zuständig für alles von der Inneren Sicherheit bis hin zum ländlichen Raum. Den Fokus legte Seehofer aber vor allem auf die Flüchtlingspolitik. Sein Ziel: als zuständiger Ressortchef, so gut es geht, darüber wachen, dass die Flüchtlingszahlen unter Kontrolle bleiben - auch wenn der schwarz-rote Koalitionsvertrag das CSU-Lieblingswort „Obergrenze“ an keiner einzigen Stelle enthält.

Das Bundesinnenministerium war nach dem Posten des bayerischen Ministerpräsidenten die vermutlich letzte Krönung für Seehofer, der in seiner langen politischen Karriere grandiose Erfolge erlebt hat, aber auch krachende Niederlagen. Seit 1980 im Bundestag, erreichte Seehofer den ersten Höhepunkt 1992, als er in der Regierung Kohl Bundesgesundheitsminister wurde. Als 1998 die Wahlniederlage für die Union kam, folgten für ihn bittere Jahre.

Nach langem Streit mit der CDU und Merkel (damals CDU- und Unions-Fraktionschefin) über die Gesundheitspolitik gab Seehofer schließlich die Zuständigkeit in der Fraktion für die Sozialpolitik ab, wenig später trat er als Fraktionsvize der Union im Bundestag zurück. Ein Jahr vor der Bundestagswahl 2005 war Seehofer - wie er selbst einmal sagte - „politisch tot“. Diesen ersten großen Streit mit Merkel dürfte er nie ganz vergessen haben. Doch die Wege der beiden Spitzenpolitiker kreuzten sich wieder: 2005 wurde Seehofer unter Merkel Bundesagrarminister - bevor er im Jahr 2008 CSU-Vorsitzender und bayerischer Ministerpräsident wurde. Auch für die CSU ist das unter dem Strich eine ungewöhnliche Ämter-Serie.

Dafür zahlte Seehofer einen hohen Preis: „Ich gehe ständig an die Grenze dessen, was man sich körperlich zumuten kann“, sagte er einmal. 2002 erlitt er eine Herzmuskelentzündung, die ihn fast das Leben kostete. Privat habe er kaum Zeit für Freunde, Familie, Hobbys. Wenn er und Merkel keinen Kompromiss finden, dürfte Seehofer wohl nach seinem 69. Geburtstag am Mittwoch dafür künftig mehr Zeit haben - genau wie für seine geliebte Modelleisenbahn.

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