Künstliche Intelligenz „Dr. Sommer“ für KMU: Wie die Regierung über KI aufklären will

Wie sie Künstliche Intelligenz besser nutzen können, sollen Unternehmen mit KI-Trainern lernen - die sind allerdings keine Roboter, sondern aus Fleisch und Blut. Quelle: dpa

Unternehmen fürchten sich vor Künstlicher Intelligenz. KI-Trainer sollen ihnen die Sorgen nehmen. Doch während sich die Wirtschaft digitalisiert, geht’s mit dem „Brain Gain“-Programm in der Wissenschaft kaum voran.

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Die Diskrepanz könnte größer nicht sein: Auf der einen Seite schmiedet Deutschland gerade die europäische Cloud-Allianz Gaia-X, um datengetriebene Geschäftsmodelle voranzutreiben. Auf der anderen Seite stehen Unternehmen, die sich noch immer fürchten vor Künstlicher Intelligenz (KI): 28 Prozent sehen KI als Gefahr für den eigenen Betrieb, zeigte erst kürzlich eine Umfrage des IT-Branchenverbands Bitkom. Die Regierung muss diese Lücke schließen, wenn sie ihr Ziel erreichen will: Weltweit führend zu werden in der Künstlichen Intelligenz.

Ein Ziel, das sie sich vor zwei Jahren mit ihrer KI-Strategie gesetzt hat – dem sie sich seither aber nur in kleinen Schritten statt großen Sprüngen nähert. Längst sollte ein Update der Strategie vorliegen, eine neue, übergeordnete Datenstrategie verabschiedet sein. Doch die für Mittwoch geplante Anhörung im Digitalausschuss des Bundestags wurde kurzfristig abgesagt, es hakt offensichtlich in der Ressortabstimmung. Erst Anfang 2021 wird die Strategie deshalb wohl ins Kabinett kommen – womit im letzten Jahr der Legislaturperiode nur wenig Zeit bleibt für die Umsetzung.

Und dass, obwohl Corona „wirkt wie ein Brandbeschleuniger für digitale Themen. Wer sich jetzt nicht digital aufstellt, wird künftig noch weiter zurückliegen als bislang“, kritisiert Thomas Sattelberger, FDP-Fraktionssprecher für Innovation, Bildung und Forschung.

50 KI-Trainer sind aktuell im Einsatz 

Zum Lückenschluss beitragen soll ein Programm, das quasi ein mobiles „Dr. Sommer“-Team für Künstliche Intelligenz ist: 50 sogenannte KI-Trainer sollen kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) über die Technologie aufklären und ihnen bei Firmenbesuchen, in Workshops und Roadshows zeigen, was sie damit machen können, etwa im Bereich Intelligente Assistenzsysteme, Industrielle Analyse (Smart-Data-Analysen) und intelligente Produkte und Services (KI as a Service).

An 16 von bundesweit 26 Mittelstand-4.0-Kompetenzzentren seien die 50 KI-Trainer eingesetzt, 3400 Unternehmen über dieses Programm bereits kontaktiert worden, mehr als 50 Prozent der Firmen hätten anschließend die Digitalisierung im eigenen Betrieb vorangetrieben, teilt der Parlamentarische Staatssekretär Michael Meister (CDU) im Forschungsministerium auf eine Kleine Anfrage der FDP mit. Künftig wolle die Regierung deshalb das „KI für KMU“-Programm ausbauen.

In Abstimmung mit dem DIHK sei etwa ein „Train-the-Trainer“-Programm entwickelt worden, mit dem mehr als 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowohl aus den Industrie- und Handelskammern (IHK) als auch aus den Handwerkskammern geschult werden. Wie der Ausbau darüber hinaus aussehen könnte? Dazu machte Meister keine Angaben.

Wohin mit den zwei Milliarden Euro aus dem Konjunkturpaket?

An Geld jedenfalls sollte es nicht mangeln. Zwei Milliarden Euro zusätzlich will die Regierung künftig für KI ausgeben, so sieht es der Koalitionsbeschluss zum Corona-Konjunkturpaket aus dem Juni vor. Insgesamt sind damit bis 2024 fünf Milliarden Euro eingeplant, damit die Bedingungen am KI-Standort Deutschland im internationalen Vergleich „zu den weltweit besten zählen“. Doch wie die neuen Corona-KI-Gelder ausgegeben werden soll, hat die Regierung auch fast ein halbes Jahr später „noch nicht entschieden“, teilt Meister mit.

Die Industrie rüstet längt um auf

Der Bund tut sich allerdings nicht nur schwer mit konkreten Maßnahmen – sondern auch mit Fachkräften und Forschern. 100 neue KI-Professorinnen und Professoren hatte Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU) bis 2025 versprochen, zwei Jahre nach Verabschiedung der KI-Strategie fehlen davon noch immer 96.

„Brain Drain“ statt „Brain Gain“

Zu groß ist der Wettbewerb um die exzellenten Köpfe, die bei den großen Tech-Konzernen mit Millionengehältern und Rundum-Sorglos-Paketen für die mitziehenden Familien umworben werden. Statt „Brain Gain“ gibt es weiterhin einen „Brain Drain“, netto wandern mehr Forscherinnen und Forscher ab, warnte Dietmar Harhoff, ehemaliger Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation der deutschen Bundesregierung, in der „FAZ“.

Die vier der 100 neuen KI-Professorinnen und Professoren sind über das KI-Programm der Alexander-von-Humboldt-Stiftung nach Deutschland geholt worden. 30 soll die Stiftung insgesamt finden. Bieten kann sie ihnen ein Budget von fünf Millionen Euro für fünf Jahre, davon 180.000 Euro jährlich zur „persönlichen Verwendung“.

Damit Karliczeks Bilanz schneller schöner wird, sucht die Stiftung seit einem Jahr allerdings nicht mehr nur im Gebiet Informatik oder Robotik nach Forscherinnen und Forschern, sondern gefördert werden kann im „KI Plus“-Programm auch Forschung in angrenzenden Bereichen wie Rechtswissenschaften, Biologie oder Psychologie.   

Keine Übersicht zu neuen KI-Professuren in den Ländern

Woher aber sollen nun die restlichen 70 der 100 Köpfe kommen? Über die Länder, die im Rahmen ihres Hochschulrechts entsprechende Lehrstühle einrichten sollen. Doch ob und welchen Fortschritt es dort gibt, interessiert die Regierung offensichtlich nicht: „Über den Stand und die Ausgestaltung von Stellenausschreibungen und die Ausstattungen von Lehrstühlen liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor“, schreibt Meister – was bemerkenswert ist, wenn Karliczek zwar 100 Professuren verspricht, das Gelingen anschließend aber offensichtlich nicht weiter verfolgen will.

Wo KI-Strategie draufsteht, steckt deshalb kein strategisches Vorgehen drin, kritisiert Mario Brandenburg, technologiepolitischer Sprecher der FDP. Denn wie die Regierung ihre finanziellen Mittel einsetze, welche Projekte mit welchen Schwerpunkten umgesetzt würden und in welchem Zeitraum die KI-Professuren vergeben sein sollen, sei „nicht erkenntlich“.

Grüne fordern mehr Mittel für KI-Forschungszentren

Neben einem strategischeren Vorgehen fordern die Grünen nun eine Aufstockung der Mittel für den Ausbau des Forschungsstandorts. Die besten KI-Forschenden in Europa hätten sich längst in Netzwerken wie Ellis und Claire zusammengeschlossen, würden aber keine Unterstützung vom Bund bekommen, ärgert sich Anna Christmann, Sprecherin für Innovations- und Technologiepolitik: „Peinliche 500.000 Euro sind für die deutsch-französische KI-Kooperation im Haushalt vorgesehen, null Euro für europäische Netzwerke.“ In ihrem Änderungsantrag zum Haushalt fordert sie deshalb 130 Millionen Euro für den Aufbau eines europäischen Forschungszentrums mit wenigen exzellenten Standorten: „Deutschland muss Treiber der europäischen Kooperation sein, denn nur gemeinsam kann in Europa die internationale Strahlkraft entwickelt werden, um selbst über Entwicklung und Anwendungen von KI zu entscheiden und sie am Wohl unserer Gesellschaft auszurichten.“


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Die Regierung selbst will über ihre Fortschritte in der Digitalisierung mit einem Dashboard informieren: Auf der Website Digital-made-in.de zeigt sie, wie es mit den mehr als 500 Schritten zur Umsetzung der Digitalvorhaben vorangeht. 

FDP beklagt unkoordiniertes Vorgehen

FDP-Politiker Sattelberger vermisst dennoch ein „komparatives Strategie-Monitoring“: Key-Performance-Indikatoren zur Erfolgskontrolle etwa von Fortschritten in internationalen Open-Data-Indizes, KI-Kompetenzen von Hochschulabsolventen oder zu Marktanteilen von KI-Hard- und Software aus Deutschland würden fehlen. Es mangele in der Regierung an „klarer Verantwortlichkeit“, kritisiert er. Um die diversen Einzel- oder Mehrfachzuständigkeiten der Ministerien zu koordinieren, „brauchen wir ein Bundesdigitalministerium“, fordert Sattelberger. Denn aus seiner Sicht sei die KI-Strategie bisher „eine Wunderkerze. Deutschland braucht aber einen Dauerbrenner!“

Am 30. November und 1. Dezember findet der Digitalgipfel der Bundesregierung statt – dann gibt’s zumindest die Chance auf ein Feuerwerk.

Mehr zum Thema: Die Leistung von Computerchips verdoppelt sich alle zwei Jahre. Dank einer spektakulären Innovation in der Lasertechnik, entwickelt auf der Schwäbischen Alb, gilt diese Regel nun noch länger.

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