Nahles-Rücktritt Deutschland drohen unruhige Zeiten

Quelle: imago images

Der Rücktritt von Andrea Nahles macht ein baldiges Ende der Regierung wahrscheinlicher. Dann gäbe es Neuwahlen. Was die außer einem Ende der Ära Merkel bringen, ist allerdings offen: von Schwarz-Grün bis zu einem Linksbündnis ist vieles möglich.

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Der Druck in den vergangenen Tagen war so groß, dass der Schritt wahrscheinlicher wurde – und doch am Sonntag überraschend kam: Andrea Nahles kündigte ihren Rücktritt als SPD-Chefin und Fraktionsvorsitzende im Bundestag an. Ihre Entscheidung ist brutal, aber konsequent: Schließlich fehlte ihr der Rückhalt in der Partei und der Fraktion.

Die SPD wird deshalb in den kommenden Wochen und Monaten vor allem mit sich selbst beschäftigt sein. Na und, könnte man sagen, das war doch in den vergangenen Jahren nicht viel anders. Machen wir also weiter wie gehabt.

Schön wär's. Denn Nahles‘ Entscheidung wird wahrscheinlich Auswirkungen weit über die eigene Partei hinaus haben. Denn es war die ehemalige Juso-Chefin, die auf dem Bonner Parteitag Anfang des vergangenen Jahres mit einer kämpferischen Rede überhaupt dafür sorgte, dass die Sozialdemokraten Koalitionsverhandlungen mit der Union aufnahmen – und nicht Juso-Chef Kevin Kühnert mit seiner Anti-GroKo-Position triumphierte. Nahles stand damit, so pathetisch das klingen mag, für jene staatstragende Haltung, die in der SPD lange Zeit galt: Erst das Land, dann die Partei. Dass FDP-Chef Christian Lindner es mit seiner Flucht aus den Jamaika-Verhandlungen umgekehrt hielt, führte ja erst dazu, dass sich Union und SPD wider besseres Wissen zusammenrauften.

Mit Nahles geht deshalb auch eine der stärksten Unterstützerinnen der in der SPD unbeliebten Bundesregierung – und es geht eine Politikerin, die trotz eines Linkskurses immer auf die gesellschaftliche Mitte schielte. Es spricht einiges dafür, dass die SPD weiter nach links rückt – und die Koalition eher früher als später zerbricht. Das wäre auch das Ende der Kanzlerschaft von Angela Merkel.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die Kanzlerin wohl keine Sozialdemokratin so sehr schätzt wie Andrea Nahles. Merkel betrachtete stets wohlwollend, wie sie sich gegen all die männlichen Heckenschützen durchsetzte und als Arbeitsministerin Punkt für Punkt ihre Agenda abarbeitete. Nun könnte ausgerechnet diese von ihr so respektierte Frau ihren eigenen Sturz beschleunigen.

Das wäre allerdings kaum mehr als eine historische Fußnote. Entscheidender ist, dass auf Deutschland unruhige Zeiten zukommen. Wenn die Koalition zerbricht, sind Neuwahlen das derzeit wahrscheinlichste Szenario. Auch wenn jede Partei (bis auf die Grünen) sie fürchten muss: Die SPD liegt am Boden, und wird sich in den kommenden Monaten kaum aufrichten können. In der CDU wachsen die Zweifel, ob Annegret Kramp-Karrenbauer wirklich das Zeug zur Kanzlerin hat. FDP-Chef Christian Lindner überzeugt nur die, die eh schon überzeugt sind. Der Linken und der AfD fällt außer populistischen Thesen nicht viel ein. Und der Zauber der Grünen besteht bislang vor allem darin, dass sie sich nicht im Kleinklein des Regierens beweisen müssen.

Nach Neuwahlen sind mehrere Szenarien möglich: Es könnte zu einer Koalition zwischen Union und Grünen (in welchem Kräfteverhältnis auch immer) kommen, doch noch zu einer Jamaika-Koalition oder sogar zu Grün-Rot-Rot. Welches Bündnis es am Ende wird, lässt sich derzeit nicht prognostizieren. Dafür ist die Lage zu volatil. Und weil fast alle Parteien mehr Profil gewinnen wollen, ist ein harter Wahlkampf und eine stärkere Polarisierung der Gesellschaft wahrscheinlich. Das macht den Ausgang noch offener, als er ohnehin schon ist.

Eins ist immerhin mit dem heutigen Tage deutlicher geworden: Mit der guten alten Stabilität der Bundesrepublik ist es vorbei.

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