Regierung Wie die GroKo die Wirtschaft zahlen lässt

GroKo ist, wenn die Wirtschaft zahlt. Quelle: Daniel Stolle für WirtschaftsWoche

Die neue Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD müsste eigentlich Unternehmen mehr Freiräume verschaffen. Stattdessen kämpfen die Firmen mit immer neuen Vorschriften und Auflagen.

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Als Sebastian Lazay in die Hamburger Zeitarbeitsfirma Extra- Personalservice einstieg, wollte er Menschen in Arbeit bringen. Er wollte Unternehmern bei Engpässen aushelfen und Flüchtlinge zu Fachkräften fortbilden. Nun schlägt er sich mit Schriftformerfordernissen und Equal-Pay-Fragebögen herum. Wenn ihm im Berufsalltag ein Fehler unterläuft, drohen Strafen bis zu einer halben Million Euro und der Lizenzentzug. „Wir ertrinken in diesem Ballast“, sagt Lazay.

Als sich Michael Christoph für den Job als Bereichsleiter beim Familienunternehmen Crespel & Deiters im westfälischen Ibbenbüren entschied, wollte er Ideen umsetzen. Er wollte Prozesse optimieren und Innovationen vorantreiben. Stattdessen geht er heute im Klein-Klein der Energiegesetze unter, etwa im Gefälle zwischen dem EEG 2014 und dem EEG 2017. Für den Erfolg des Unternehmens, das Weizen verarbeitet, sind solche Feinheiten so wichtig wie die richtige Berechnung der Wassermenge in der Produktion. „Wir brauchen endlich klare Vorgaben aus der Politik, um verlässlich planen zu können“, sagt Christoph. Als Michael Schmidt das alte Gasthaus in Naumburg an der Saale eröffnete, wollte er mehr Zeit für seine Gäste haben. Er wollte mit regionalen Gerichten neue Kunden anlocken und mit dem Eventgeschäft wachsen. Nun hockt er viel im Büro: Stundenzettel übertragen, Tabellen ausfüllen, die Auswirkungen des Mindestlohns bewältigen, der bald mal wieder steigen soll. „Wenn es so weitergeht, werden wir in diesem Land noch mehr Gastronomie verlieren“, sagt Schmidt.

Ein Hotelier, der die nächste Runde des Mindestlohns fürchtet; ein Bereichsleiter, der Angst vor den nächsten spontanen Ideen der Regierung hat; ein Personalvermittler, der mit Formfehlern sein Geschäft ruinieren könnte – wer derzeit mit Unternehmern spricht, hört viele solcher Geschichten. Sie handeln von Bürokratiebergen und in die Höhe schnellenden Kosten – von Überlastungen heute und Sorgen vor dem Morgen.

Es sind Erzählungen, die nicht recht passen wollen zum Narrativ, das die Politiker in Berlin verbreiten: volle Kassen, Haushaltsüberschüsse, Jobrekorde. Läuft doch, sagen sie. So wie zu Beginn dieser Woche. Da saßen drei Parteichefs auf dem Podium, um sich selbst und ihren Koalitionsvertrag zu preisen: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in einem himbeerroten Blazer und zwei Herren in dunklen Anzügen, Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Innenminister Horst Seehofer (CSU). Von einer „starken Wirtschaft“ und einer „großen Koalition für die kleinen Leute“ sprachen die drei. Und die Kanzlerin erklärte, im Mittelpunkt der politischen Arbeit müsse das „Wohlstandsversprechen der sozialen Marktwirtschaft“ stehen. Was die neue Regierung antreibe, sei die „Sicherung von Beschäftigung mit dem Ziel von Vollbeschäftigung“. Deshalb müsse die Koalition die Grundlagen dafür schaffen, „dass unsere Wirtschaft erfolgreich ist“.

Das Gespür für Überlastungen

Hotelier Schmidt, Bereichsleiter Christoph und Unternehmer Lazay waren in diesem Moment des großkoalitionären Eigenlobs weit weg. Für sie wirkte die Wahl der Kanzlerin am Mittwoch nicht wie eine Verheißung, sondern eher wie eine Drohung: Die große Koalition ist da – und am Ende zahlt mal wieder die Wirtschaft.

Das Kabinett im WiWo-Check
Angela Merkel Quelle: dpa
Helge Braun Quelle: dpa
Olaf Scholz Quelle: dpa
Peter Altmaier Quelle: dpa
Heiko Maas Quelle: dpa
Ursula von der Leyen Quelle: dpa
Hubertus Heil Quelle: dpa

In den Unternehmen verstärkt sich der Eindruck, Union und SPD hätten das Gefühl für die Endlichkeit von Aufschwüngen längst verloren; das Gespür für die Gefahren von Überlastung und Überregulierung; die Gewissheit, dass bislang noch jede Volkswirtschaft dem ewigen Auf und Ab der Konjunkturzyklen unterworfen war. Kurz: das Wissen, das jeder Wirtschaftsstudent in den ersten zwei Semestern lernt.
Würde dieses Grundlagen-Know-how auch nur ansatzweise angewendet, müsste die neue Regierung die gute konjunkturelle Lage für eine „Agenda 2025“ nutzen. Der Staat würde gezielt in Zukunftstechnologien investieren, den Unternehmen Freiräume verschaffen, ihnen den Rücken freihalten beim Aufbruch in die digitale Zukunft. Das hieße: niedrigere Steuern, weniger Regulierung, mehr Flexibilität – und ganz bestimmt keine organisierte Unzuständigkeit in der Digitalpolitik.

Stattdessen dominiert in Berlin eine Mischung aus Selbstgefälligkeit, Angst vor der AfD und Aktionismus. Die Milliarden an Steuerüberschüssen werden in Umverteilungsmaßnahmen gepumpt, die Unternehmen in ein immer engeres Korsett gezwängt. Die Wirtschaft soll liefern, damit die Politik liefern kann – nicht umgekehrt.

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