Die Verteidigungsministerin braucht Erfolgsmeldungen in diesen Tagen, aber es will nicht klappen. Erst zog sich die Lieferung der 5000 Schutzhelme in die Ukraine zu lange hin, dann konnte Christine Lambrecht (SPD) nur 500 statt der geplanten 2700 Strela-Raketen zur Luftabwehr schicken – und am Mittwoch kommt sie quasi nur im Schlepptau mit zur Verhandlung über den 100-Milliarden-Euro-Sondertopf zur Stärkung der Bundeswehr. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat das Programm zur Chefsache gemacht, er will persönlich mit Generalinspekteur Eberhard Zorn erste Details besprechen.
Umso erleichterter wirkte Lambrecht, als sie am Montag endlich eine positive Nachricht aus ihrem Haus verkündete. Deutschland sei bereit, „das militärische Herzstück, die schnelle Eingreiftruppe, im Jahr 2025 für ein Jahr“ zu stellen, sagte sie beim Treffen der Außen- und Verteidigungsministerinnen und -minister in Brüssel. 5000 Soldatinnen und Soldaten sollen dazu gehören. Damit sende die Bundesregierung angesichts des Ukraine-Kriegs ein klares Signal. „Wir stehen füreinander ein“, betonte Lambrecht.
Nur gab es bei all der Begeisterung ein Problem: Die Ministerin hatte sich versprochen. Deutschland hat überhaupt nicht vor, so viele Soldatinnen und Soldaten zu schicken. Schnell ruderte ihr eigenes Haus zurück und teilte mit: Lambrecht habe nur den Kern und nicht die gesamte schnelle Eingreiftruppe gemeint. Die Social-Media-Häme über den Rückzieher, sie ließ nicht lange auf sich warten.
Dabei steht der Versprecher symptomatisch für tiefere Probleme beim Plan der EU-eigenen Verteidigung – Experten sehen den vermeintlichen Durchbruch durchaus skeptisch. „Wir erleben hier einen unfertigen Plan, den auch noch die Zeit überholt hat“, sagt Sicherheitsforscher Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) mit Blick auf das Vorhaben der EU.
Ein Plan mit Problemen
Denn was nach einer neuen Idee klingt, wird bereits seit 2020 diskutiert. Einen „strategischen Kompass“ wollen die 27 Mitgliedstaaten entwerfen, damit sich die EU militärisch selbst behaupten kann und nicht auf die Unterstützung der USA angewiesen ist. Mit Russlands Angriff auf die Ukraine kommt nun lediglich eine neue Dringlichkeit hinzu. Der Kompass sei „nicht die Antwort auf den Ukraine-Krieg, aber Teil der Antwort“, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Montag. Doch ob der gewünschte „Quantensprung“ für die europäische Sicherheitspolitik erreicht werden kann, ist fraglich – vielmehr dreht der Zeiger im Kompass gerade so schnell, dass sich die EU zu verrennen droht.
Zwar skizziere der EU-Plan die „Rückkehr der Machtpolitik“ zwischen den USA und China, sagt Sicherheitsforscher Kaim. Handlungsanleitungen gebe er allerdings kaum. So bleibe unklar, wie etwa die neue Eingreiftruppe im Krisenfall zum Einsatz kommen könnte. Auch, wie so ein Krisenfall überhaupt aussehen würde, und ob alle 27-Staaten diesen einstimmig feststellen müssten, sei offen. Die ministerielle Panik nach dem Truppen-Versprecher von Lambrecht zeigt außerdem, wie wenig flexibel die Einzelstaaten in Wahrheit sind. „Ließe sich etwa eine Friedensmission in der Ukraine mit dieser Truppe überhaupt durchsetzen?“, fragt auch Kaim. Eher bestehe die Gefahr, dass Europa bei der Verteidigung an ihrer eigenen Uneinigkeit scheitere, heißt es in einer Analyse der SWP.
„Mit dem russischen Einmarsch in der Ukraine verliert der Kompass jetzt noch einmal an Bedeutung“, erklärt Kaim. Das liege an der Konkurrenz der EU-Sicherheitspolitik zur Nato und den USA. „Man muss es so hart formulieren: Das westliche Militärbündnis ist der große Gewinner dieses Kriegs“, so der Sicherheitsexperte.
Die USA etwa würden aktuell so stark als Europäische Macht in Erscheinung treten wie lange nicht. Von Rückzug keine Spur. US-Präsident Joe Biden schaffe es sogar, die feindseligen Republikaner Zuhause beim Thema „Kampf um Europa“ an Bord zu holen. Auch zeigten die nationalen Rüstungsausgaben der EU-Staaten eine deutlich gewachsene Rolle der Nato. Deutschland selbst hatte zusammen mit Polen und den Baltenstaaten darauf gepocht, das Verteidigungsbündnis im neuen Entwurf des strategischen Kompasses weiter als „Fundament der kollektiven Verteidigung ihrer Mitglieder“ zu bezeichnen.
Gleichzeitig unterstützt die Bundesregierung auch die Stellung des US-Präsidenten: Die Aufstockung der Militärausgaben, auch die Bestätigung der nuklearen Teilhabe und der Kauf US-amerikanischer F-35-Kampfflugzeuge. All das kann Biden zu Hause als Sieg verbuchen. „Ein starker Spieler USA liegt im Interesse Deutschlands, auch wenn das einem eigenen europäischen Sicherheitskonzept zuwiderläuft“, sagt Kaim. Würden die Vereinigten Staaten sich zurückziehen, so wie ein Trump es sich einmal wünschte, müssten die Rüstungsausgaben der europäischen Staaten um ein Vielfaches wachsen. „An vier Prozent Verteidigungsausgaben hat aber keiner ein Interesse“, sagt Kaim.
Dann lieber erst einmal 100 Milliarden und um die zwei Prozent im Jahr. Scholz und Zorn müssen am Mittwoch erstmal klären, wie sie dieses Geld sinnvoll ausgeben sollen – und welche Rolle Lambrecht dabei übernimmt.
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