Tauchsieder
Quelle: dpa

Wohin führt's die CDU?

Die Union braucht keine alten Antworten. Sie muss sich neuen Fragen stellen. Es mangelt ihr nicht an Führung. Sondern an Selbstkritik. Nur einer empfiehlt sich als ihr Chef.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Für die SPD war es eine gute Woche: Sie stand ganz im Schatten der Union. Die Sozialdemokratie kann in Deutschland keinen Blumentopf mehr gewinnen, also freut man sich im Willy-Brandt-Haus, wenn die eigene Niederlage zur Abwechslung mal etwas knapper ausfällt als die der politischen Konkurrenz. Die CDU hat bei der Landtagswahl in Thüringen 11,7 Prozentpunkte verloren, die SPD bloß 4,2 – so kann man es eben auch sehen. Selbst die bösen Kommentare vom Spielfeldrand, mit der Sozialdemokraten ihre Cheftrainer und Teams sonst so gern überschütten, blieben diesmal aus. Die SPD hat sich offenbar daran gewöhnt, nur noch in der dritten Liga zu spielen. Sie ist bemüht, dort halbwegs achtbar abzuschneiden. Sie will nur nicht noch weiter nach unten durchgereicht werden. Sie sucht gerade neue Coaches für die nächste Saison. Und natürlich freut sie sich über jede Schlappe des alten Rivalen und Rekordmeisters, der ihr in jeder Hinsicht turmhoch überlegen ist.

Für die CDU war es eine gute Woche: Sie darf sich einmal mehr als einzige „Volkspartei der Mitte“ verstehen. Die CDU hält Abstand von den politischen Rändern, egal ob links oder rechts von ihr. Das zu betonen war Generalsekretär Paul Ziemiak besonders wichtig nach der Wahl: die Äquidistanz, die die CDU gegenüber den Linken und der AfD einnimmt, die unbedingte Vergleichbarkeit der Roten und Rechten, die gerecht verteilte Verachtung, die die Union der SED-Nachfolgepartei und der rechtsextremen AfD entgegenbringt.

Noch viel wichtiger aber war für die CDU, dass die Grünen mal wieder einen Dämpfer erhielten: Das Mega-Meta-Thema Klima ist fürs Erste durch. Es wird in den nächsten Jahren eine große Rolle spielen, gewiss, aber nicht rhetorisch hochgejazzt und eschatologisch zugespitzt – nicht im Modus des Notstands, des Verzichts und der Radikalumkehr, sondern im Modus einer konsensorientierten Bearbeitung und pragmatisch-technologischen Lösung. Wenn die Fraktionschefin der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, sich tatsächlich wundert, es sei ihrer Partei bei einer Landtagswahl (!) nicht gelungen, die Menschen auf dem Land und „die Breite der Gesellschaft mit dem Thema Klimaschutz zu erreichen“, zeugt das von Selbstblindheit, Weltfremdheit, politischer Unreife – oder aber davon, dass die Grünen überhaupt kein Interesse daran haben, die Union als Volkspartei herauszufordern.

Für Bundeskanzlerin Angela Merkel und CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer war es eine gute Woche: Sie wurden einmal mehr beschimpft und verspottet, sogar heftiger denn je (von Friedrich Merz), woraufhin allerdings vor allem der Schimpfende heftig beschimpft wurde (von Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther) – eine Situation, in der sich die beiden Damen einmal mehr durch maximale Zurückhaltung in der Öffentlichkeit auszeichnen konnten.

Wirklich Gefahr geht für die beiden derzeit einzig von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet aus, der seit einem Jahr glänzend in die Rolle der quasipräsidialen Führungsfigur hineinwächst. Dabei empfiehlt sich Laschet seiner Partei einerseits als Testosteron-Dompteur (gegenüber Merz, Gesundheitsminister Jens Spahn sowie einigen Randfiguren in der so genannten Werte-Union), andererseits mit gewählter, manchmal schulmeisterlicher Sachkritik an Merkel und Kramp-Karrenbauer. Laschet weiß, was Merz entgeht: Es gibt für die CDU kein Zurück zu ihren „konservativen Werten“ und „marktliberalen Wurzeln“ – denn welche wären das und wo würden sie liegen? Eine CDU, die heute der Atomkraft das Wort redete und „Straße vor Schiene“ propagierte, die den Klimawandel leugnete und Schwulen Rechte vorenthielte, die gegen den Mindestlohn wetterte und das Problem niedriger Einkommen und Renten leugnete – diese CDU hätte nicht mal mehr bei ihren Stammwählern eine Chance. Vor allem das ist der Grund, warum die Revolution beim Parteitag der CDU Ende November einmal mehr ausfallen wird. Es sei denn, Laschet ließe sich kurzfristig bitten, die CDU zu führen, nicht zuletzt raus aus der Koalition – die CDU und das Land, an der Seite der Grünen und Liberalen: nach einer Neuwahl mit 60 Prozent Zustimmung im Rücken.

Es wäre eine Befreiung. Denn tatsächlich ist es so: Merkel und Kramp-Karrenbauer, die CDU und SPD, können sich ihre Niederlagen nicht mehr schönreden – seit zwei, drei Jahren schon nicht mehr. Angela Merkel hat den Aufstieg der AfD durch das demonstrative Beschweigen ihrer Fehler in der Flüchtlingspolitik und durch das bewusste Ignorieren der neuen politischen Konkurrenz begünstigt. Ein schweres, folgenreiches Versäumnis. Sie hat dem Tagesgeschehen nach bestem Gewissen hinterheramtiert, dem demoskopisch Gebotenen stets Gehorsam gezollt, mit dem politischen Gegner das Politische an sich vakuumiert – und die CDU damit als inhaltlich entleerten Hegemon (und hegemoniale Leerstelle) in der deutschen Parteienlandschaft etabliert. Sie hat keine Akzente gesetzt, keine Gestaltungsspielräume genutzt – das Bundeskanzleramt zur Nichtregierungsorganisation umgebaut. Sie wird in die Geschichtsbücher eingehen als Kanzlerin, mit der die Deutschen nichts Positives verbinden.

Annegret Kramp-Karrenbauer wiederum ist ihren Aufgaben rhetorisch, stilistisch und inhaltlich nicht gewachsen, zumindest bisher nicht. Sie führt eine Partei im Übergang an, in der das Alte noch nicht tot, das Neue noch nicht entwickelt ist. Das muss kein Problem sein, weil sich die CDU schon immer als Partei ausgezeichnet hat, die in so vielen (gesellschafts-)politischen Feldern mit Verspätung dort ankam, wo die politische Avantgarde 15 Jahre zuvor schon gewesen war – und der dann, sobald das Avantgardistische sich anschickte, mehrheitsfähig zu werden, die Rolle zufiel, das Überfällige in der Mitte der Gesellschaft durchzusetzen. Nur ist es diesmal etwas anders: Der „gesellschaftliche Wandel“ ist ökonomisch-technologisch getrieben.

Das heißt zum Beispiel: Der ständige Sturz nach vorne („Disruption“) stellt nicht frühere Positionen in Frage, sondern das Konservative an sich. Und der „digitale Kapitalismus“ erfordert nicht Antworten der Sozialen Marktwirtschaft – weil er sich nicht im ordnungspolitischen Rahmen „neutraler Märkte“ durchsetzt – sondern weil er privatisierte Märkte schafft, die den Staat als Ordnungsmacht grundsätzlich infrage stellen. Das alles stellt vor allem die Union vor große intellektuelle Herausforderungen. Es ist höchste Zeit, dass sich die Union den Themen stellt. Und jemanden findet, der sie zu moderieren versteht. Der Verlust einer Volkspartei wiegt schwer für Deutschland. Den Verlust der zweiten kann sich Deutschland nicht leisten.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%