Nur keine allzu vielversprechenden Bilder von irgendwelchen Balkonen und bloß keine Durchstechereien! Man wolle aus den Jamaika-Verhandlungen von 2017 lernen, lautet das Mantra der Spitzenpolitiker nach der Bundestagswahl 2021.
Nun denn: Das Treffen der Grünen-Chefs Annalena Baerbock und Robert Habeck mit den FDP-Frontleuten Christian Lindner und Volker Wissing am Dienstagabend blieb vorab geheim. Diese vertrauensbildende Maßnahme immerhin also hatte funktioniert. Nur die darauf folgende fröhliche Instagram-Inszenierung des gelb-grünen Quartetts lässt Zweifel aufkommen, ob die Regierungsbildung in diesem Jahr wirklich ohne Show und Leaks vonstattengehen wird.
Die Vorgeschichte zu dieser liberal-ökologischen Vorsondierung war in jedem Fall ein bemerkenswerter, ja: ein durchaus polithistorischer Moment. Christian Lindner hatte am vergangenen Sonntagabend schließlich mal eben die eingespielte Praxis von Jahrzehnten kassiert: Es sei doch sinnvoll, wenn Grüne und FDP zuerst alleine ausloten würden, ob genügend Gemeinsamkeiten bestünden, um mit SPD und Union Gespräche über eine Regierungskoalition aufzunehmen, schlug der Chef der Liberalen vor. Empörter Widerspruch über diese Anmaßung vonseiten der Sozial- oder Christdemokraten blieb aus.

Mehr noch: Lindners Umdrehen der Machtverhältnisse und Traditionen erweckte keinerlei Reaktion. Olaf Scholz, Armin Laschet und Markus Söder – mal eben in aller Stille zu vorläufigen Zaungästen der Regierungsbildung degradiert. Das muss man erst einmal hinbekommen. Es sind eben besondere Zeiten.
Ob nun allerdings aus den Sondierungen und Verhandlungen der kommenden Wochen eine Ampel- oder eine Jamaika-Koalition folgen soll, dazu haben Deutschlands Führungskräfte bereits eine ziemlich klare Meinung. Dies zeigt das jüngste Entscheiderpanel, das das Meinungsforschungsinstitut Civey exklusiv für die WirtschaftsWoche erhebt: Ein Bündnis aus SPD, FDP und Grünen mit einem Kanzler Olaf Scholz kann sich auf eine Zustimmung von 45 Prozent der Entscheider stützen. Eine Jamaika-Koalition mit Armin Laschet hingegen kommt auf deutlich weniger Zuspruch: 30 Prozent.
Diese neue Stimmung zeigt auch eine gewisse Bewegung in Bezug auf die Kanzlerfavoriten. Im letzten Entscheiderpanel vor der Wahl lagen Scholz und Laschet in der Direktwahlfrage noch gleich auf. Und alle anderen denkbaren Regierungsoptionen? Sie spielen in den Augen von Managern und Selbstständigen keine nennenswerte Rolle mehr – das gilt auch für eine Neuauflage der Großen Koalition: Gerade einmal sechs Prozent der befragten leitenden Angestellten, höheren Beamten und Selbstständigen wünschen sich eine Fortsetzung von Schwarz-Rot.
Mehr zum Thema: Die SPD liegt unter den Wohlhabenden nicht hoch im Kurs. Doch auch CDU/CSU können nicht mehr bedingungslos auf Mehrheiten zählen. Selbst in manchen Millionärshochburgen laufen die Grünen den Konservativen den Rang ab.