




In diesen Tagen des aufgeheizten Nationalismus floriert in der Ostukraine ein Café, in das die Angst vor einem Krieg mit Russland noch nicht vorgedrungen ist. In der „Lemberger Schokoladen-Meisterei“ am Puschkin-Boulevard von Donezk kredenzen sie vor dem Interieur im Habsburger Stil feine Pralinen zum Filterkaffee. Der prorussische Osten wirkt hier gar nicht sowjetisch – eher europäisch, was paradox ist: Ausgerechnet in diesem Café stärken sich jene, die auf der nahen Artjom-Straße gegen die Kiewer Regierung und ihren EU-Kurs demonstrieren. „Wir haben nichts gegen den Westen“, sagt Olena Mishkevych, die öfters hier einkehrt, „aber der Einfluss der Radikalen auf die Regierung in Kiew macht uns Angst.“
An der Kaffeehaus-Kultur mag man eine Spaltung der Ukraine nicht erkennen, doch die Spannungen zwischen Ost und West nehmen zu. Die zur Propaganda-Maschinerie verkommenen russischen Staatsmedien trommeln ohne Unterlass die Mär, in Kiew hätten einzig Faschisten die Macht. Statisten streifen sich für Putins TV Hakenkreuzbinden über – so wollen die Medien Panik schüren. Derweil fragt man sich in Kiew und in der Welt: Krallt sich Kremlchef Wladimir Putin die Ostukraine – natürlich zum vermeintlichen Schutz der Landsleute?
Die Büchse der Pandora ist geöffnet. Mit dem Krim-Anschluss greift sich der Kreml das Territorium eines fremden Landes. Das ist ein dreister Bruch des Völkerrechts, territoriale Integrität hat Russland der Ukraine etwa im GUS-Vertrag von 1993 zugesichert. Russland erweitert seine Grenzen, weil es sich dazu stark genug wähnt. Selbst die russische Mittelschicht, die vor zwei Jahren gegen Putin auf die Straße ging, klatscht Beifall. Europa hat nichts entgegenzusetzen.
Ohnmacht dominiert
So zerfällt die Sicherheitsarchitektur, die seit dem Ende des Ost-West-Konflikts Frieden und Sicherheit in Europa aufrecht erhalten hat. Für Deutschland mag das keine unmittelbare Bedrohung sein, wirtschaftlich ist Russland mit der Bundesrepublik zu sehr verzahnt, als dass eine konfrontative Außenpolitik dauerhaft möglich wäre. Umso mehr fürchten sich Russlands Nachbarn vor der expansiven Politik: die Kasachen mit ihrer russischen Minderheit, die Balten mit ihrer massiven Abhängigkeit von russischem Gas. Wie umgehen mit dem Oberbefehlshaber einer der größten Armeen der Welt, der keine Grenzen mehr zu kennen scheint?
In Europa dominiert die Ohnmacht. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) wirkt erschöpft, als er am Mittwoch vergangener Woche im Berliner Hotel Adlon von der „schwersten Krise seit dem Kalten Krieg“ spricht. Wegen des Völkerrechtsbruchs stehe Europa „vor der Rückabwicklung zivilisatorischen Fortschritts“. Putins Vorgehen auf der Krim wecke bei Nachbarn „böse Erinnerungen und Befürchtungen“. Dieser Präzedenzfall könne bedeuten, „dass in Europa weitere Grenzen infrage gestellt werden“. Tags darauf wird er in Brüssel zwar den leicht verschärften Sanktionen zustimmen – einen Wirtschaftskrieg mit Russland aber will er nicht lostreten. Andere sehen das kritischer: „Es geht nicht um jahrelange Sanktionen, sondern um wirksame Signale“, sagt der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter. „Aber die Wirtschaft wird sich daran beteiligen müssen, sonst wertet Putin das als Zeichen der Schwäche des Westens.“
Das Denken in den simplen Kategorien von „Stärker“ und „Schwächer“ fällt den Europäern schwer. Das Einmaleins der Geopolitik hat Europa in den Jahren der Nabelschau, als es stets nur um die Euro-Krise ging, verlernt. Künftig wird sich Brüssel wieder mit der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik auseinandersetzen müssen, sagt Jan Techau vom Thinktank Carnegie Europe, wobei „Debatten bisher ohne das Bedrohungsszenario geführt wurden“. Schlagkraft zeigt Europa dabei nur, wenn Frankreich, Deutschland und Großbritannien sich einig sind.
Sicherheitsexperte Michael Paul von der Stiftung Wissenschaft und Politik rät der Politik, Putins geopolitisches Denken stärker zu berücksichtigen: „Wir müssen akzeptieren, dass es in der Welt noch Denken in Einflusszonen gibt.“