Blick hinter die Zahlen #48 – Superwahljahr 2021 Wie die Volksparteien ihren Rückhalt verloren

Das Superwahljahr 2021 wird für alle Parteien eine Herausforderung. Doch während Grüne und AfD mehr Mitglieder gewinnen, kämpfen SPD und CDU um ihre Verankerung in der Gesellschaft – mit finanziellen Folgen.

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Das neue Jahr, so viel ist schon nach wenigen Wochen gewiss, wird eine Herausforderung. Das gilt umso mehr für die sieben größten Parteien in Deutschland. Sie alle regieren, mit Ausnahme der AfD, irgendwo auf Länderebene mit an vorderer Coronafront. Doch als wäre die Pandemie nicht Jahrhundertaufgabe genug, finden 2021 auch noch Wahlen statt – und nicht gerade wenige: eine Bundestagswahl, sechs Landtagswahlen, ein paar Kommunalwahlen. Das neue Jahr ist Superwahljahr, wie es im Politikjargon gerne heißt, oder sogar die Mutter aller Superwahljahre.

Für die Parteien heißt das: Mitglieder mobilisieren, Spenden sammeln, Kampagnen konzipieren. Was schon in normalen Zeiten viele Kräfte bündelt, muss nun neu geplant werden, flexibler und digitaler sein, immer der Gewissheit folgend, dass es auch 2021 so etwas wie Gewissheit über die genauen Umstände des Wahlkampfs kaum geben wird.

Wie gut die Parteien darauf vorbereitet sind? Das weiß wohl keiner. Im noch jungen Jahr gliche jeder Antwortversuch dem Blick in die Glaskugel. Zum grundsätzlichen Zustand der Parteien aber gibt es Zahlen. Auch aus ihnen lässt sich zwar nicht allzu viel schließen für die anstehenden politischen Wettbewerbe untereinander. Aber sie sagen doch einiges aus, wie sich die Rolle der Parteien in der Gesellschaft in den vergangenen 30 Jahren verändert hat – und was daraus für die Zukunft folgt.

Mitgliederentwicklung der kleinen Parteien bis 2019

Da wären erst einmal die Mitgliederzahlen. Dass Die Linke prozentual am meisten verliert, erklärt sich historisch ziemlich leicht: Ausgangspunkt ist das Jahr 1990, die DDR lag in ihren letzten Zügen – hinterließ aber einen hohen Mitgliedssockel der Staatspartei SED, aus der zuerst die PDS und 2007 eben Die Linke hervorging. Die Grünen als Profiteure der vereinigten Republik zu bezeichnen wäre hingegen falsch, tun sie sich im Osten doch immer noch sehr schwer. Der Zuwachs geht zudem vor allem auf die gestiegene Popularität der Partei in den vergangenen fünf Jahren zurück.

Mitgliederentwicklung bis 2019

Die Stützen der alten Bonner Republik, so könnte man es mit Blick auf die Zahlen zusammenfassen, verlieren an Rückhalt in der Gesellschaft. Die SPD hat sich mehr als halbiert, die CDU ist auch nicht weit davon entfernt – und der Trend bleibt rückläufig. „Institutionen, die lange sinnstiftend für die Bundesrepublik waren, haben kontinuierlich an Einfluss verloren“, sagt Constantin Wurthmann, Politikwissenschaftler und Parteienforscher an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Das gelte für Kirchen und Gewerkschaften, und eben auch für (Volks-)Parteien.

„Menschen haben heute offenbar grundsätzlich weniger Interesse, sich langfristig zu binden und politisch einzubringen“, sagt Wurthmann. Das Engagement verlagere sich wieder mehr auf die Straße. „Kurzfristig und punktuell“, wie man es etwa bei Fridays for Future beobachten könne. Zulauf, erläutert Wurthman, hätten jene Parteien, „die schwerpunktmäßig auf den thematischen Wellen geritten sind, die relevant waren“: die Grünen in der Klimapolitik, die AfD beim Thema Migration.

Staatliche Teilfinanzierung der Parteien für das Jahr 2019

Der Mitgliederschwund hat finanzielle Folgen. Man kann das besonders gut bei der SPD sehen, die, Stand 2019, immer noch knapp die größte Partei in Deutschland ist. CDU und CSU werden schließlich wie eigenständig-eigenwillige Schwestern behandelt. Die Genossen müssen sparen. Der staatliche Zuschuss für Parteien ist immer noch der größte Einzelposten ihrer Einnahmen, auch wenn sie sich mindestens zur Hälfte selbst finanzieren müssen. Der Zuschuss richtet sich nach der „Verwurzelung in der Gesellschaft“. Dazu gehört sowohl der Erfolg bei Europa-, Bundestags- und Landtagswahlen, als auch die Höhe der Mitglieds- und Mandatsträgerbeiträge. Sinkende Mitgliederzahlen wirken sich demnach bei gleichbleibender Beitragshöhe sogar doppelt negativ auf die Einnahmen aus. Denn nicht nur sie selbst reduzieren sich, sondern auch der staatliche Zuschuss von 45 Cent, der pro Euro Zuwendung gezahlt wird.

„Parteien müssen sich also stets um Unterstützung aus der Bevölkerung bemühen“, heißt es dazu auf der Seite des Bundesinnenministeriums. Dabei sind die Wahlergebnisse allerdings noch entscheidender. 83 Cent gibt es als Zuschuss für jede abgegebene gültige Stimme. Als die SPD bei der Europawahl 2019 nur auf 15,8 Prozent der Stimmen kam, war das auch in finanzieller Hinsicht eine herbe Niederlage.

Man kann sich das in etwa so vorstellen wie bei einem Fußball-Bundesligisten, der Fernsehgelder aus der Europa-League fest eingeplant hat – und dann schon in der Zwischenrunde gegen den Wolfsberger AC ausscheidet. Im Willy-Brandt-Haus jedenfalls sind inzwischen zwei Etagen an externe Unternehmen und Institutionen vermietet. Auch Künstler können sich dort einmieten und ihre Bilder ausstellen. Den Grünen hingegen wird ihre Parteizentrale langsam deutlich zu eng.

Aufgliederung der Einnahmen der CDU im Jahr 2018

Ein Blick in die Bücher der CDU zeigt, aus welchen verschiedenen Quellen sich Parteien sonst noch finanzieren. Am umstrittensten dabei sind sicherlich die Spenden, sei es von Einzelpersonen oder großen Verbänden und Unternehmen. Als kürzlich der Immobilienunternehmer Christoph Gröner dem Berliner Landesverband der CDU 500.000 Euro spendete, war die Kritik groß: Wie sich die Union denn noch als Volkspartei begreifen könne, wenn sie im Streit um die beste Wohnungspolitik so stark von der Vermieter-Lobby unterstützt werde?

Auch jeder Spendeneuro an Parteien wird vom Staat noch einmal mit 45 Cent bezuschusst. Ein Vorteil für die Union, die traditionell die großzügigsten Zuwendungen erhält. Einzelspenden von mehr als 50.000 Euro müssen zwar von der Empfänger-Partei unverzüglich dem Bundestagspräsidenten angezeigt werden, der sie veröffentlicht. Dennoch hat die Kritik an der Spendenpraxis in den vergangenen Jahren noch einmal zugenommen. Organisationen wie Lobbycontrol machen stetig Druck.

Frauenanteil unter Neumitgliedern der Parteien

Jünger, weiblicher und digitaler – das wollen sie alle werden, allen voran die CDU. So haben es auch die Kandidaten für den Parteivorsitz immer wieder propagiert, allerdings mit unterschiedlich hoher Priorität. Die aktuelle Mitgliederstruktur sieht freilich anders aus. Bei neuen Mitgliedern gelingt es nur den Grünen, ebenso viele Frauen zu gewinnen wie Männer. Alles andere wäre für eine Partei mit Doppelspitze und quotierter Listenaufstellung auch ein Armutszeugnis. Besonders groß ist die Not in dieser Hinsicht hingegen bei der FDP. Für die AfD liegen entsprechende Daten gar nicht erst vor.

Man könne viel darüber reden, wie unattraktiv alle Parteien in ihrer Arbeit für viele Menschen grundsätzlich seien, sagt Politikwissenschaftler Wurthmann, weil etwa Sitzungen und Veranstaltungen eben eher in den Abendstunden und am Wochenende stattfänden. „Die Instrumente der Parteiarbeit sind noch sehr in den 1980er-Jahren hängen geblieben.“ Das habe mit der Lebensrealität vieler Bürgerinnen und Bürger wenig zu tun. „Moderne Möglichkeiten wie etwa Webkonferenzen hat man bewusst verweigert und viel Potenzial ungenutzt gelassen.“

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Die Digitalisierung der Basisarbeit, sagt Wurthmann, habe die Parteien durch die Coronapandemie nun „wie ein Schlaghammer“ getroffen: „Die Frage ist nun, wie viel man davon in Zukunft bewahren kann.“ Es sei durchaus möglich, glaubt der Politikwissenschaftlicher, mit digitalen Formaten „ein Stück weit Bürgernähe wiederherzustellen“, mit Experten ins Gespräch zu kommen und für neue Mitglieder attraktiver zu werden.

Das Superwahljahr 2021 könnte ein erster Gradmesser werden, welcher Partei das gelingt – und wer weiter an Verankerung in der Gesellschaft verliert.

Die Rubrik „Blick hinter die Zahlen“ entsteht mit Unterstützung des Statistischen Bundesamtes (Destatis). Für die Inhalte der Beiträge ist ausschließlich die WirtschaftsWoche verantwortlich.

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