Flucht zu Youtube und Co. Der Exodus der TikTok-Stars

US-TikTok-Stars warten nicht drauf, ob TikTok sich rechtzeitig aus der Hand der chinesischen Mutter Bytedance lösen kann. Quelle: imago images

Ein neuer Deal könnte TikTok in den USA das Überleben sichern. Doch die Unsicherheit ist groß – und sorgt für Frust. Wer bislang auf der Plattform reich wurde, rettet nun seine Millionen (Follower).

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Charli D’Amelio verdankt ihre 15 Sekunden Berühmtheit ihren leicht lasziven Tanzvideos auf TikTok. Mit 87 Millionen Followern ist sie eine der Top-Creators auf der chinesischen Plattform. Vor wenigen Tagen allerdings zog die sommersprossige US-Teenagerin mit ihrer Schwester Dixie und den Eltern Marc und Heidi – die Familienmitglieder haben auch eigene Profile – weiter auf die US-Kurzvideo-Plattform Triller. Das Möchtegern-TikTok , das der Hollywood-Produzent Ryan Kavanaugh 2015 gegründet hat, wirbt derzeit aggressiv das Talent von Twitter an – und zwar mit Boni und Aktienbeteiligungen.

Gewiefte Selbstvermarkter kassieren gleich zweimal. Denn auch TikTok, das sich in den monetären Erfolg der Stars auf der eigenen Plattform bislang nicht sehr eingemischt hat, hat einen 200-Millionen-Dollar-Topf aufgemacht. Aus dem werden den Kreatoren zusätzliche Anreize geboten, um auf der Plattform zu bleiben.

Für TikTok geht es ums Überleben. Die Unsicherheit ist aktuell groß, die Plattform ist zum Spielball in einem globalen Konflikte geworden: Wochenlang hat US-Präsident Donald Trump die chinesische Video-App unter Druck gesetzt, gar mit einem Verbot gedroht. Zwar scheint TikToks Zukunft in den USA vorerst gesichert, nachdem der US-Präsident einen Deal zwischen dem chinesischen Eigentümer Bytedance und US-Unternehmen gebilligt hat. Das weltweite Geschäft von TikTok komme in eine neue Firma mit Sitz in den USA, „wahrscheinlich in Texas“, sagte Trump in der Nacht zum Sonntag. Der Download-Stopp für die App, der für Nutzer ab Montag greifen sollte, wurde um eine Woche auf geschoben.

Doch noch ist der Deal nicht formal abgesegnet. Offen ist auch, ob die chinesische Regierung zustimmt. Unmöglich ist eine neuerliche Volte nicht.

Die Folgen der monatelangen Unsicherheit zeigen sich bereits: Charli D’Amelio ist bei Weitem nicht der einzige TikTok-Star, der seine Präsenz jetzt auch bei Triller aufbaut. Extrem beliebte Figuren wie Noah Beck oder Griffin Johnson sind ebenfalls rübergezogen. Ein Insider urteilt: „Es gibt kein Vertun – ohne die Unsicherheit rund um TikTok wäre kein einziger bedeutender Creator jetzt auf Triller.“

Diversifikation ist Trumpf

Die Influencer-Gemeinde ist es gewohnt, ihren Ruhm auf einer Plattform so schnell wie möglich auf weitere Plattformen zu übertragen. So senken sie das Risiko, dass sie bei der Änderung des Algorithmus einer Plattform plötzlich in der Versenkung verschwinden und ihr Einkommensstrom abreißt.

Träumten die ersten Social-Media-Stars noch von einem Plattenvertrag oder einer Hollywood-Karriere als Schauspieler, gilt es heute, die plötzliche Berühmtheit so schnell wie möglich maximal auszunutzen. Die erweiterte Bandbreite wird dann benutzt, um ein eigenes Multimedia-Imperium aufzubauen.

von Nele Husmann, Peter Steinkirchner, Jörn Petring

Der Zyklus der Skalierung beschleunigt sich immer weiter. So hat die 16-jährige D’Amelio ihr erstes Video auf TikTok erst im Juni 2019 gepostet. Ein halbes Jahr später hatte sie schon 20 Millionen Follower, die sie in einem weiteren halben Jahr vervierfachte. Außerdem unterschrieb sie Partnerschaftsverträge mit der Kleidungsmarke Hollister und der Fastfoodkette Dunkin‘, die jetzt einen eigenen „The Charli“-Eiskaffee kreierte. Sie ging unter Vertrag bei der United Talent Agency – und die half ihr als Allererstes, einen eigenen Youtube-Kanal aufzubauen. Der hat allerdings nur sieben Millionen Fans.

Für TikTok-Fans, die mit 15-sekündigen Videos auf sich aufmerksam machen, bleibt eine Menge unerzählt. Youtube ist die ideale Plattform für längere Geschichten, bei denen sie mehr von sich preisgeben können. Der Vorteil von einer Youtube-Präsenz ist, dass die Google-Tochter eines der bewährtesten und lukrativsten Monetarisierungsmodelle aufgebaut hat, von dem die Influencer insbesondere langfristig sehr profitieren. In diese Bresche springt jetzt auch der Streamingdienst Spotify, der schon mehr als ein Dutzend TikTok-Talente für Podcasts gewonnen hat.


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Unklar ist, wie sehr auch Facebooks Antwort auf TikToks Erfolg profitiert: Instagram Reels. Instagram-Nutzer müssen kein extra Konto eröffnen, um auf dieser Plattform jetzt auch Kurzvideos zu posten – aber es kann ihnen schwerer fallen, zwischen dem normalen Feed und den Stories mit den Kurzvideos überhaupt wahrgenommen zu werden.

Mit elf Millionen Followern ist Brooke Monk aus Colorado auf TikTok noch kein besonders großer Star. Doch als Influencer-Manager Devain Doolarami von der Agentur The Fuel Injector sie unter Vertrag nahm, drängte er sie sofort, sich auch eine Instagram-Gefolgschaft aufzubauen. Auch am Aufbau einer Gemeinde für ihre Youtube-Videos arbeitet sie längst. Doolarami will ihr Deals für Merchandising und einer Modelinie vermitteln. „Wäre TikTok meine einzige Plattform, würde ich mit viel größere Sorgen machen“, sagt die 16-Jährige. „Mir wäre es lieber, wenn TikTok weiter besteht – aber wenn nicht, wäre meine Karriere auch nicht vorbei.“

Mehr zum Thema: Das Tauziehen um das soziale Netzwerk TikTok scheint kurz vor einem Verbot beendet, sofern China zustimmt. Die Folgen des Deals könnten gravierend sein.

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