




Ernst Ferdinand Wilmsmann gehörte noch bis vor Kurzem zu den unzweifelhaften Spitzenbeamten der Bundesnetzagentur. Seit Jahren obliegt es ihm als Vorsitzendender einer Kammer in der Bonner Behörde, zentrale Beschlüsse für den Telekommunikationsmarkt zu fassen: über Preise oder den Zugang zum Netz. Streng der Neutralität verpflichtet, entschied Wilmsmann mal im Sinne der Deutschen Telekom, mal folgte er den Argumenten der Konkurrenten wie Vodafone oder O2. Ein Verdacht, der Beamte könnte dabei politischen Vorgaben aus Berlin oder Brüssel folgen, ist nie aufgekommen.
Seit dem 24. April ist das jedoch anders. 40 Vertreter der Deutschen Telekom und ihrer Konkurrenten hatten sich im Konferenzraum 0.10 in der Bonner Zentrale der Bundesnetzagentur versammelt, um noch offene Details des neuen Glasfaser-Ausbauprogramms auszuhandeln. Sechs Milliarden Euro will die Deutsche Telekom in den kommenden zwei Jahren in Deutschland investieren, um die DSL-Anschlüsse für Internet und Fernsehen von 24 Millionen Haushalten von maximal 16 oder 50 Megabit auf 100 Megabit pro Sekunde zu beschleunigen. Als marktbeherrschendes Unternehmen, so viel war klar, ist die Telekom verpflichtet, Konkurrenten Zugang zu den Anschlussleitungen zu gewähren. Wie, darüber muss Wilmsmanns Beschlusskammer entscheiden.
Es war 1989 als die Bundespost noch das Sagen hatte
Doch zum konstruktiven Gespräch darüber kam es am 24. April gar nicht. Nach fünf Stunden und zum Teil hitzig geführten Debatten verließen alle bis auf die Vertreter der Deutschen Telekom verärgert den Saal. Wilsmann hatte alle Grundsatzdiskussionen abgewürgt und die Behandlung von Detailfragen vertagt. „Was war das denn?“, fragten sich unisono die Chefs der sonst so zerstrittenen Interessenverbände und kündigten an, ihre Haltung zu dem Milliardenprojekt zu überdenken. „Das Ziel der Telekom ist es, die Kontrolle über ihr Netz zurückzubekommen – und uns würde dann jegliche Planungssicherheit fehlen, wann und welche Dienste wir in Zukunft anbieten können“, schimpft Jürgen Grützner, Geschäftsführer beim Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM).
Dem Telekommunikationsmarkt droht der Rückfall in die alten Monopolzeiten vor 1989, als die Bundespost allein das Sagen hatte, was in ihrem Netz passiert. Das Verhalten der Bundesnetzagentur ist der Vorbote eines Politikwechsels, der derzeit auf höchster Ebene in der Brüsseler EU-Kommission vorbereitet wird. Weniger Wettbewerb und mehr Rücksicht auf Ex-Monopolisten wie die Telekom sollen dafür sorgen, dass die Preise für Internet und Telefonie wieder steigen und sich Milliardeninvestitionen in neue Glasfasernetze für die Konzerne rechnen. Bis 2020, so das Ziel der von der EU-Kommission vorgelegten Digitalen Agenda, soll jeder Haushalt einen breitbandigen Internet-Anschluss mit einer Geschwindigkeit von mindestens 30 Megabit pro Sekunde bekommen. Diesen Kraftakt sollen nach dem Willen von EU- Kommissarin Neelie Kroes Riesen wie die Telekom leisten. Die damit verbundenen Wachstumsimpulse, so Kroes’ Hoffnung, könnten die arg gebeutelte Euro-Zone aus der Krise führen.
Telekomliberalisierung: Die Meilensteine seit der Postreform
Die EU-Kommission steckt mit dem sogenannten Grünbuch die Grundzüge eines neuen ordnungspolitischen Rahmens für die Öffnung der Telekommunikationsmärkte in Europa ab.
Das Poststrukturgesetz tritt in Kraft. Mit der Postreform I werden insbesondere die Märkte für Mobilfunk und Endgeräte liberalisiert. Kunden können erstmals die Telefone, die sie an den Anschluss stöpseln, frei auswählen.
Mannesmann Mobilfunk gewinnt die Ausschreibung für die D2-Lizenz und tritt mit dem Bau des ersten privaten Mobilfunknetzes in Konkurrenz zur Bundespost.
Die Postreform II wird mit dem Ziel verabschiedet, die Bundesunternehmen Telekom, Postdienst und Postbank in Aktiengesellschaften umzuwandeln.
Das Festnetzmonopol der Deutschen Telekom fällt, Telekom-Kunden können erstmals über alternative Anbieter durch Eingabe von Netzvorwahlen (Call by Call) telefonieren.
Die ersten alternativen Anbieter bieten DSL-Anschlüsse in Konkurrenz zur Deutschen Telekom an. Bis heute sind neun Millionen Kunden gewechselt.
Die Telekom bekommt mehr Freiheiten für ihr neues Glasfasernetz VDSL, das sie für zwölf Millionen Haushalte in 50 Städten ausrollt. Konkurrenten können erst 2009 die ersten Produkte vermarkten.
Die EU-Kommission kündigt erstmals eine „Digitale Agenda“ für die Neuordnung des Telekommunikationsmarktes an. Schneller Ausbau von Glasfasernetzen ist dabei wichtiger als weitere Preissenkungen.
Die Bundesnetzagentur ändert das bisherige Regulierungsregime. Die Deutsche Telekom darf unter bestimmten Auflagen eine neue Technik (Vectoring) exklusiv einsetzen, um mit dem überlegenen Kabel-TV-Anschluss konkurrieren zu können.
Wettbewerb zurückgedreht
Doch die Medaille hat eine zweite, dunkle Seite. Denn zum Dank für ihre Leistung wollen die Regulierungsbehörden für die Konzerne den Wettbewerb zurückdrehen, nicht nur im Netz, sondern sogar bei dem Endgerätemarkt, auf dem bereits in den späten Achtzigerjahren die Vielfalt eingezogen war. Die Gefahr ist so groß, dass 16 Gerätehersteller die Bundesnetzagentur und das Bundeswirtschaftsministerium schriftlich aufforderten, die Kernpunkte der Liberalisierung zu garantieren.
So konnten sich die Kunden bis jetzt darauf verlassen, dass sie jeden WLAN-Router oder jede Alarmanlage an ihren DSL-Anschluss stöpseln durften. Doch inzwischen beginnen erste Netzbetreiber wie die spanische Telefónica und Vodafone, die freie Gerätewahl einzuschränken und ihren Kunden speziell konfigurierte Geräte aufzuzwingen. Die Bundesnetzagentur schreitet nicht ein. „Wettbewerb scheint nicht mehr gefragt zu sein, und das beunruhigt mich“, schimpft Johannes Nill, Chef der Berliner Firma AVM, die den bekannten Router FritzBox herstellt.