1. Startseite
  2. Technologie
  3. Digitale Welt
  4. Olaf Scholz bei IBM in Ehningen: Das kann der neue Quantenrechner

QuantentechnologieDer zweite seiner Art weltweit: Das kann der neue Quantenrechner in Ehningen

Bundeskanzler Olaf Scholz feiert die Eröffnung des ersten Quanten-Rechenzentrums von IBM in Europa. Bloß: Was macht diesen Quanten-Rechner so besonders?Thomas Kuhn 04.10.2024 - 14:50 Uhr

Bundeskanzler Olaf Scholz und Dario Gil, IBM-Entwicklungschef stehen bei der Eröffnung des ersten Quanten-Rechenzentrums des Computerkonzerns IBM in Europa vor einem Quantum System One Quantencomputer.

Foto: Marijan Murat/dpa

Olaf Scholz und IT-Investitionen in Deutschland, das war zuletzt keine besonders glückliche Kombination. Zwei Wochen ist es her, dass Intel-Chef Pat Gelsinger den Bundeskanzler mit der Ankündigung brüskierte, den Bau der bei Magdeburg geplanten Megafabrik für Mikrochips zu verschieben. Womöglich hat Intel das Projekt, das der Bund – auch auf Scholz‘ Betreiben – mit fast zehn Milliarden Euro subventionieren wollte, intern sogar schon beerdigt. Da ist der Auftritt des Bundeskanzlers am Dienstag bei IBM in Ehningen bei Stuttgart ein willkommenes Kontrastprogramm, ganz nach dem Geschmack und Motto des Kanzlers: Seht her, es geht doch.

Was da geht, ist tatsächlich eine Erfolgsgeschichte für den IT-Standort Deutschland. In der kleinen Gemeinde im Korngäu, südlich der baden-württembergischen Hauptstadt, eröffnen Scholz, IBMs globaler Entwicklungschef Dario Gil und Wolfgang Wendt, Chef der deutschen IBM-Tochter, das erste Quantencomputer-Rechenzentrum des Tech-Konzerns außerhalb der USA. IBM-Chef Arvind Krishna ist per Videoschalte aus dem IBM-Hauptquartier in Armonk nördlich von New York dabei. „Wir schreiben heute eine deutsch-amerikanische Erfolgsgeschichte fort“, sagt Scholz bei der Eröffnung.

„Vor drei Jahren haben wir hier in Ehningen den Start des leistungsstärksten IBM-Quantenrechners außerhalb der USA gefeiert, den IBM anschließend für die deutsche Fraunhofer-Gesellschaft als Forschungsrechner betrieben hat“, verweist Scholz auf die etablierte Kooperation des Konzerns mit deutschen Partnern. Diese wird nun abgelöst durch das neue Quantum Data Center (QDC), wie IBM das Zentrum bei Ehningen nennt: Fraunhofer ist nun ein Kunde von vielen, denen IBM die Rechenleistung künftig für Unternehmens- und Forschungsprojekte zur Verfügung stellen wird.

Heike Riel, Physikerin und IBM-Fellow, steht bei der Eröffnung des ersten Quanten-Rechenzentrums des Computerkonzerns IBM neben einem Modell einer Aufhängung eines Quanten-Chip eines Quantum System Two Quantencomputers.

Foto: Marijan Murat/dpa

Das QDC Ehningen ist überhaupt erst das zweite seiner Art weltweit, das der Konzern betreibt; neben jenem nahe der IBM-Zentrale in den USA. An beiden Standorten bietet der Techkonzern die Rechenleistung der außergewöhnlichen Quantenrechner als kommerziellen Service an – und bringt damit die bislang vor allem für Forschungsaufgaben genutzten Maschinen der Kommerzialisierung ein Stück näher.

In beiden hat IBM nun Quantenprozessoren seiner jüngsten und bisher leistungsstärksten Heron-Generation installiert. Sie arbeiten bis zu 25-mal schneller und sind 16-mal leistungsstärker als die bisher von IBM genutzten Systeme. Das soll es den Anwendern ermöglichen, umfangreicher und zuverlässiger als bisher Algorithmen für hochkomplexe Kalkulationen und Simulationen zu entwickeln und auszuführen.

Was den Quanten-Rechner ausmacht

Der Clou liegt in der ungewöhnlichen Funktions- und Arbeitsweise, die Quantenrechner radikal von allen bisher etablierten Computersysteme unterscheidet. Statt wie klassische Computer nur eindeutig in binären Logiken von „0“ oder „1“ zu rechnen, können Quantencomputer eine Vielzahl weiterer Rechenzustände annehmen und so bei komplexen Kalkulationen zahlreiche Optionen gleichzeitig überprüfen. Dieser revolutionäre Ansatz verspricht, Simulationen zu ermöglichen, die sich mit der Rechenleistung heutiger Computer nur mit immensem Aufwand abarbeiten lassen, oder deren Kapazitäten gar völlig übersteigen. Damit ließen sich neuartige Werkstoffe entwickeln, Medikamente testen, Investitionsrisiken kalkulieren oder auch Staus vermeiden, hoffen die Unternehmens- und Forschungspartner von IBM.

Zu den ersten großen Kunden, die die Rechenkapazität in Ehningen nutzen, gehören Unternehmen wie Crédit Mutuel, Bosch, E.ON oder Volkswagen. Sie sind Teil jener rund 80 in Europa ansässigen Anwender aus dem sogenannten IBM Quantum Network, die direkten Zugriff auf die Kapazitäten der kommerziellen Quanten-Rechenzentren haben.

Rechnen für 1,60 Dollar pro Sekunde

Zu welchen Konditionen Externe für ihre Anwendungen oder Algorithmen die Maschinen des QDC nutzen können, dazu gibt es beim Launch in Ehningen wenig konkrete Zahlen. Unter anderem werde es ein „Pay-as-you-go“-Angebot geben – für Einzelzugriffe, die nach Zeit abgerechnet werden: Kostenpunkt 1,60 Dollar pro Sekunde Rechenzeit auf der Maschine. Daneben bietet IBM auch Pakete und Projektpreise – ohne Details zu nennen. Einen Indikator, immerhin, gibt der 2021 in Ehningen gestartete Quantenrechner IBM System One, der nun durch das QDC abgelöst wird. Da lagen die Kosten für den Zugriff auf die Maschine bei 11.500 Euro im Monatsabo. In Zukunft dürfte das Preismodell deutlich differenzierter sein.

Gerade erst hat IBM eine Plattform gestartet für Entwickler von Algorithmen, die an Anwendungen für Quantenrechner arbeiten – aus der Forschung genauso wie aus Unternehmen. Langfristig könnte sich daraus so etwas wie ein App-Store für Quanten-Anwendungen entwickeln, erzählt Jay Gambetta, Vice President Quantum Computing bei IBM. Noch aber, sei man davon weit entfernt. Erst gehe es darum, überhaupt ein Ökosystem aus Anwendungen für Quantenrechner zu initiieren – auch mithilfe der Rechenkapazitäten, die in Ehningen verfügbar werden. „Für besonders vielversprechende Ideen stellen wir die Rechner zum Test der Algorithmen sogar kostenfrei zur Verfügung“, erläutert Gambetta.

Bundeskanzler Olaf Scholz steht neben einem Quantum System One Quantencomputer.

Foto: Marijan Murat/dpa

Der neue Heron-Rechner, der in zwei Wochen technisch in Betrieb gehen soll, ersetzt zum einen das veraltete System One aus der Fraunhofer-Kooperation. Daneben hat IBM in Ehningen einen weiteren System-One-Quantenrechner installiert. Und 2025 soll eine dritte Maschine folgen, dann bereits ein Modell der System Two genannten Nachfolgegeneration, die mehrere Quantenprozessoren verbinden und mit mehr als 200 Qubits arbeiten kann, wie die Rechenkerne bei Quantencomputern genannt werden.

Warum IBM Ehningen geografisch gezielt auswählte

Der Standort in Ehningen ist nicht ohne Grund gewählt. Zum einen geografisch: Denn der Boden, auf dem das Rechenzentrum nahe der Deutschlandzentrale von IBM gebaut wurde, gilt als außerordentlich stabil und erschütterungsarm. Das ist wichtig, weil die sensiblen Rechenmaschinen nicht bloß eine extreme Kühlung ihrer Rechenkerne benötigen, um sie von Wärmestrahlung abzuschotten, die die Berechnungen stören könnte. Die Rechner müssen möglichst von allen anderen Umwelteinflüssen geschützt sein, selbst kleinsten Erdstößen. Und da sei, heißt es bei IBM, das beschauliche Korngäu eine auch tektonisch überaus ruhige Gegend.

Vor allem aber ist Deutschland für die Quantenforschung ein Standort erster Wahl. Denn abgesehen von China und den USA fließt nirgends so viel Geld in Forschung und Entwicklung rund um Quantencomputer. Während die USA vor allem bei Investitionen privater Geldgeber in Quantenforschung und -Start-ups führen, liegt laut dem aktuellen Quantum Technology Monitor der Unternehmensberatung McKinsey „Deutschland bei den öffentlichen Investitionen nach China (15,3 Milliarden US-Dollar) mit 5,2 Milliarden US-Dollar auf Platz zwei weltweit“.

Not-Umzug

IBM verzweifelt am Neubau seiner Deutschlandzentrale

von Thomas Kuhn

Auch Scholz betont am Dienstag die Bedeutung der Investitionen in IT-Kompetenzen, -Infrastruktur und Produktion von Komponenten in Deutschland. „Wir haben jede Menge Knowhow im Land und müssen dieses weiter ausbauen“, so der Kanzler. Es sei daher richtig, auch von staatlicher Seite in den Aufbau von Kompetenzzentren und die Ansiedelung von Unternehmen zu investieren, „auch wenn sich die Ansiedelung von Intel nun leider etwas verzögert“.

Im Fall von IBM, immerhin zeigt sich, dass staatliche Anschubhilfen auch dauerhaft wirksam sein können.

Deutschland ließ sich IBM-Ansiedlung schon damals einiges kosten

2019 verabredeten Ex-Kanzlerin und Physikerin Angela Merkel und die Informatikerin und damalige IBM-Chefin Virginia Rometty die Ansiedelung des Fraunhofer-Forschungsrechners in Ehningen. Dem Vernehmen nach schoss der Bund rund 650 Millionen Euro Fördergelder zu. Das Land Baden-Württemberg hatte weitere 40 Millionen Euro Förderung locker gemacht. Den Aus- und Umbau des Rechnerstandorts Ehningen zum kommerziellen IBM-Rechenzentrum hat IBM, heißt es am Rande der Eröffnung, nun aus eigener Tasche finanziert. Auch weil die Fachleute im Korngäu offenbar exzellente Entwicklungsarbeit leisten, wie Gambetta betont: „Der Leistungsschub der neuen Heron-Prozessoren ist das Ergebnis der Arbeit hier in Ehningen.“

Die deutschen Fördermillionen fließen nun in andere Projekte. Im Frühjahr vergangenen Jahres hatte der Bund einen Aktionsplan für Quanten-Technologien angekündigt, um technologische Souveränität und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Unter anderem will die Bundesregierung bis 2026 mehr als drei Milliarden Euro für den Bau eines universellen Quantencomputers in Deutschland bereitstellen.

Auch Großbritannien, Südkorea und Indien stecken Milliarden in die staatliche Förderung der Quanten-Technologien, sodass sich die staatlichen Investitionsmittel weltweit nach Berechnungen von McKinsey inzwischen auf rund umgerechnet rund 43 Milliarden Euro summieren.

„Entwicklung bei Quanten-Technologien ist vergleichbar mit der von künstlicher Intelligenz vor einem Jahrzehnt, wenn man das reine Transaktionsvolumen vergleicht“, sagt Henning Soller, Partner im Frankfurter Büro von McKinsey und Leiter der Quantum Technology Research. Dabei liege der Umfang der Investitionen über drei Jahre heute bereits höher als das für KI vor zehn Jahren. Auch technologisch gebe es eine Verbindung zwischen den Technologien, so Soller. „Beide werden früher oder später zusammenwachsen“, sagt Soller. Wenn Sprachmodelle noch größer und komplexer werden, sei irgendwann ein Punkt erreicht, wo die Rechenleistung klassischer Systeme nicht mehr ausreiche. „Dann kann Quantencomputing die Lösung sein.“

Davon will auch die wachsende Szene junger Quantencomputing-Unternehmen in Deutschland profitieren. Mit 19 von europaweit derzeit 45 in Europa aktiven Start-ups stammt nach Erhebungen des Berliner Instituts für Innovation und Technik knapp die Hälfte aus der Bundesrepublik. Wie etwa IQM mit Sitz in München und Helsinki, das bereits erste Quantencomputer an eine finnische Hochschule geliefert und soeben einen weiteren Auftrag zur Produktion eines Systems für die tschechische Hochschule in Ostrava erhalten hat.

Oder das Start-up Planqc, eine Ausgründung des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik und der Ludwig-Maximilians-Universität in München, das einen Quantenrechner fürs Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Ulm bauen soll. Oder Quantum Brilliance, ein deutsch-australischer Spezialist für Quantenhardware mit Sitz in Stuttgart, der – gemeinsam mit dem Quanten-Start-up ParityQC aus Innsbruck im Auftrag der deutschen Cyberagentur einen mobilen Quantencomputer entwickelt.

„Der Auf- und Ausbau von Hard- und Softwarekompetenzen in Quantentechnologien war mir schon als Finanzminister ein Anliegen“, erinnert der Kanzler am Ende der Eröffnungsfeier an den vor Jahren gefassten Beschluss, für die Quantenförderung Milliarden in die Hand zu nehmen. Es gebe kaum eine Branche, die in Zukunft nicht von dieser Technologie profitieren werde, sagt Scholz, als er beim Rundgang mit Gambetta und IBM-Forschungschef Dario Gil am Modell der nächsten Rechnergeneration System Two steht, die Ehningen noch mehr zum Hotspot des Quantencomputings in Europa machen wird. Und Gambetta nickt. „Ehningen is the place to be for IBM“, sagt er als der Kanzler das symbolische Band vor dem Rechner durchschnitten und das QDC eröffnet hat.

Na also. Geht doch.

Lesen Sie auch: Warum IBM kein zweites Microsoft werden kann

Mehr zum Thema
Unsere Partner
Anzeige
Stellenmarkt
Die besten Jobs auf Handelsblatt.com
Anzeige
Homeday
Homeday ermittelt Ihren Immobilienwert
Anzeige
IT BOLTWISE
Fachmagazin in Deutschland mit Fokus auf Künstliche Intelligenz und Robotik
Anzeige
Remind.me
Jedes Jahr mehrere hundert Euro Stromkosten sparen – so geht’s
Anzeige
Presseportal
Lesen Sie die News führender Unternehmen!
Anzeige
Bellevue Ferienhaus
Exklusive Urlaubsdomizile zu Top-Preisen
Anzeige
Übersicht
Ratgeber, Rechner, Empfehlungen, Angebotsvergleiche
Anzeige
Finanzvergleich
Die besten Produkte im Überblick
Anzeige
Gutscheine
Mit unseren Gutscheincodes bares Geld sparen
Anzeige
Weiterbildung
Jetzt informieren! Alles rund um das Thema Bildung auf einen Blick