SpaceX „Das Starship wird ein Paradigmenwechsel in der Raumfahrt“

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„Die Chancen stehen sehr schlecht für die Ariane 6“

Jetzt schon schickt Elon Musk im Wochentakt seine Falcon-9-Raketen ins All. Ariane 6, die neue Version der europäischen Rakete, soll ihm Konkurrenz machen. Sie wird jetzt aber noch einmal 230 Millionen Euro teurer, der erste Start verschiebt sich um ein Jahr in den Sommer 2022. Wie stehen nun die Chancen für Europas Frachtschiff ins All?
Die Chancen stehen sehr schlecht für die Ariane 6. Als Europa 2014 mit ihrer Entwicklung begonnen hat, hat SpaceX seine Falcon-9-Raketen schon zu einem sehr niedrigen Preis verkauft, etwa 60 Millionen US-Dollar. Was damals noch für die Ariane 5 und den Bau eines Nachfolgers sprach, waren die zuverlässigen Startfenster. SpaceX hatte einen unglaublichen Auftragsbestand und kam kaum hinterher, die Raketen zu bauen und Starttermine einzuhalten.

Und was passierte dann?
Ab 2015 hat SpaceX seine Fertigung der Falcon-9-Rakete massiv ausgebaut. Nun sind sie in der Lage, problemlos zwanzig oder mehr Raketen pro Jahr zu fliegen und sie können die Starttermine an die steigende Nachfrage anpassen. Und tatsächlich ist die Falcon die am häufigsten geflogene Rakete der Welt.

Auch die zuverlässigste?
Ariane-Befürworter haben oft angeführt, dass die Falcon 9 keine Qualitätsrakete sei. „Wir bauen keinen Tata“, sagt mir jemand aus der italienischen Raumfahrtszene einmal. Sondern den Mercedes, sollte das heißen. 

Und stimmt das?
Die Realität ist: Die jüngste Version der Falcon-9-Rakete ist 60 Mal geflogen – und niemals ist ein Start missglückt. Sie ist heute die zuverlässigste Rakete der Welt neben der amerikanischen Atlas-5-Rakete. Elon Musk sagte kürzlich, dass die Falcon 9, wenn sie von Satellitenfirmen versichert wird, die niedrigsten Versicherungssätze aller Raketen da draußen habe.  

Immerhin sind Raketen der Ariane-Baureihe schon mehr als 250 Mal abgehoben – ist das nichts?
Ariane 4 und 5 waren beide exzellente Raketen, keine Frage. Aber SpaceX hat einen neuen Standard gesetzt, verwendet seine Raketen mehrfach wieder und kann die Kosten drücken. 

Warum können die europäischen Fertiger offenbar nicht so innovativ sein?
Die europäische Raketenindustrie hat eine Reihe von Problemen, die SpaceX nicht hat. Nummer eins: Die komplizierte Organisation. In Europa haben Sie die ArianeGroup, ihre Tochter ArianeSpace, zahllose Zulieferer, die Europäische Weltraumorganisation Esa, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, die französische Raumfahrtagentur, die italienische Raumfahrtagentur und sie haben alle Mitgliedsnationen der Esa und ihre Regierungen. Wenn man also gemeinsam in Europa eine Rakete baut, muss man von all diesen verschiedenen Stellen Mittel erhalten – und als Teil dieses Prozesses muss man alle glücklich machen.

Die Entwicklung der Falcon-9-Raketen bei SpaceX soll 400 Millionen gekostet haben – die Ariane 6 kostet vier Milliarden…
…und dazu kommt noch die ziemlich umfangreiche Arbeit am Startplatz am Weltraumbahnhof Kourou. Aber das ist nichts im Vergleich zum Space Launch System, der neuen Rakete der Nasa. Aktuell gibt die Raumfahrtagentur drei Milliarden Dollar pro Jahr für die Entwicklung der SLS-Rakete aus. Die Nasa rechnet beim Space Launch System mit Kosten von zwei Milliarden Dollar pro Start – falls es jemals starten sollte. Wenn also SpaceX sein Starship für 100 Millionen Dollar oder weniger starten kann, dann ist das einfach unglaublich.

Kritiker aus Europa wenden ein, dass SpaceX zusätzlich von üppigen Nasa-Aufträgen profitiert hat.
Sicherlich hat Space X in den letzten zehn Jahren mehr als eine Milliarde Dollar von der NASA als Teil des Commercial-Cargo-Programms erhalten, um Fracht zur Internationalen Raumstation zu bringen. Und von diesem Geld konnten sie etwa in die Modernisierung der Falcon-9-Rakete investieren, die heute doppelt so stark ist wie die, die 2010 zum ersten Mal gestartet wurde. Aber SpaceX hat auch effizient gearbeitet, etwa in der Falcon 9 dasselbe Triebwerk verwendet wie im Vorgänger Falcon One.

Wäre es vielleicht an der Zeit, die teuren staatlich geführten Programme zu stoppen?
Das kommt die Politik ins Spiel. Der US-Kongress will immer noch, dass die NASA Raketen baut, weil dadurch viele Arbeitsplätze im ganzen Land geschaffen werden. Und ich glaube, in Europa ist es ähnlich, die Industrie will Arbeitsplätze in Deutschland, Italien, Frankreich und anderen Ländern schaffen. Außerdem gibt die Ariane Europa einen unabhängigen Zugang zum Weltraum.


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Ginge es in Europa denn nicht zumindest preiswerter?
Was wir in den Vereinigten Staaten gesehen haben, ist, dass private Unternehmen wie SpaceX die bestehende Industrie herausgefordert haben. Und ich denke, was Sie in den nächsten fünf bis zehn Jahren in Europa sehen werden, ist sicherlich eine ähnliche Disruption der Launcher-Industrie. Es gibt in Deutschland gerade ein interessantes Rennen dreier Raketen-Start-ups – Rocket Factory, HyImpulse und Isar Aerospace. Alle bauen Raketen für den Transport von Kleinsatelliten, sie spornen sich gegenseitig an. Und ich finde großartig, dass die Esa sie unterstützt. Dann gibt es noch Orbex in Großbritannien oder PLD Space in Spanien. Es wird interessant sein zu verfolgen, welches der neuen Unternehmen erfolgreich sein wird. Die Erfolgreichen könnten als Erstes der europäischen Vega-Rakete Konkurrenz machen...

…der kleineren Schwester der Ariane. Und die große Schwester wäre dann die nächste Messlatte der Raumfahrt-Gründer?
Ob sie irgendwann mit etwas Größerem aufwarten würden, um mit der Ariane 6 zu konkurrieren? Ich könnte mir das durchaus vorstellen. Einfach, weil sich das Erfolgsmodell als richtig erwiesen hat. SpaceX hat es ja auch geschafft. 

Mehr zum Thema: Europas Raumfahrt hat ein Problem: Die neue Ariane-6-Rakete kommt später, wird noch teurer als geplant – und kann selbst dann nicht mit der US-Konkurrenz mithalten. Was machen die Nasa und SpaceX nur so viel besser?

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