In Thüringen wird eine der größten Batteriezellen-Fabriken für Elektroautos in Europa gebaut. Der Vertrag für das Großprojekt des chinesischen Herstellers CATL (Contemporary Amperex Technology Ltd.) wurde am Montag am Rande der deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen in Berlin unterzeichnet. Als erster Kunde des neuen Werkes bei Erfurt vergab der Autobauer BMW am selben Tag einen Milliarden-Auftrag an die Chinesen. Die Hoffnung ist, dass andere deutsche Autokonzerne folgen.
CATL will bis 2022 rund 240 Millionen Euro in das Werk im Industriegebiet „Erfurter Kreuz“ investieren und dort 600 neue Arbeitsplätze schaffen. Langfristig könnten nach dpa-Informationen bis zu 1000 Arbeitsplätze entstehen.
Die Investitionssumme werde sich nach 2022 sicherlich noch erhöhen, sagte CATL-Vorstandschef Robin Zeng in Berlin. Das lasse sich heute aber noch nicht beziffern. „Die Investition in Thüringen ist nur der erste Schritt“, betonte er. CATL wolle allen Autoherstellern in Europa seine Lithium-Ionen-Batterien anbieten und zudem Energiespeicher für Strom aus regenerativen Quellen liefern.
Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) sprach von einer „Megainvestition, deren Bedeutung man gar nicht überschätzen kann“. Sie können dazu beitragen, der Elektromobilität in Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen. Häufig werde China nachgesagt, Wissen aus dem Westen abzuziehen. Bei dieser Investition sei es umgekehrt, CATL komme mit seinem Know-how nach Thüringen.
Welthandel oder nationale Lösung: Gratwanderung bei Batteriezellen
VW, Daimler und BMW kaufen Zellen in Asien und bauen diese dann selbst zu großen Akkus für ihre Elektroautos zusammen. Panasonic in Japan, LG, Samsung und SK in Korea, CATL und BYD in China – der Markt sei „eher ein Oligopol mit höchstens zehn dominierenden Anbietern“, sagt Branchenexperte Jörn Neuhausen von der Beratung PwC. Immerhin: „Aktuell gibt es genug Wettbewerb, und alle Autohersteller kaufen ihre Zellen bei mehreren Herstellern ein, damit kein Monopol entsteht.“ Auch Batterieexperte Kai-Christian Möller von der Fraunhofer-Gesellschaft sagt: „Jeder Autobauer hat mehrere Lieferanten. Korea und Japan sind sehr stabil, da sind wahrscheinlich keine Lieferengpässe, keine Zollschranken zu befürchten.“
Das ist die große Frage. „Wer wird als erster beliefert, wenn die Stückzahlen gewaltig hochgehen sollten?“ fragt der bayerische IG-Metall-Chef und BMW-Aufsichtsrat Jürgen Wechsler. Die Produzenten könnten eines Tages verkünden, sie lieferten jetzt keine einzelnen Zellen mehr, die Autobauer bekämen nur noch fertige Batteriepakete. „Das ist unsere Angst.“ Eine chinesische Zellfabrik in Thüringen sei gut, aber die deutsche Industrie müsse Schlüsseltechnik selbst produzieren. „Wenn wir die Batteriezelle aufgeben, weil wir sie ja geliefert bekommen, sind wir irgendwann weg.“
Die Batterie macht gut ein Drittel der Wertschöpfung eines E-Autos aus, sie bestimmt Leistung und Reichweite. Autobauer versuchen, den Spieß umzudrehen: Sie entwickeln heute in Pilotanlagen selbst Zellen und versuchen, die Zulieferer zu Auftragsfertigern zu machen.
Das hängt davon ab, wie schnell die Nachfrage nach Elektroautos steigt. Das Angebot an Batterien wächst. Es gebe massive Überkapazitäten, trotzdem stiegen weltweit neue Firmen in den übersättigten Markt ein, heißt es in einer Studie der Beratung Beryll. 2021 werde ein Drittel mehr Batterien produziert, als die Autobranche brauche. Auch nach 2025 sei eine Überproduktion absehbar.
„Die Gewinnmargen bei Zellen sind gering, da ist nicht viel Gewinn zu machen. Teuer sind die Rohstoffe“, sagt Möller. Wegen der Strompreise sei eine Zellfertigung in Deutschland „nur denkbar, wenn die Fabrik von der EEG-Umlage befreit und subventioniert würde“, meint Neuhausen. Daimler und der Chemiekonzern Evonik hatten es im sächsischen Kamenz versucht, aber aufgegeben. Northvolt baut jetzt mit Siemens in Schweden eine Zellfabrik. Dort koste Strom ein Zehntel des deutschen Preises, so sei die Fabrik wettbewerbsfähig, sagte Northvolt-Chef Peter Carlsson. 2500 Mitarbeiter reichen, um Speicher für 400.000 E-Autos im Jahr zu bauen.
„Wenn in fünf Jahren Millionen E-Autos gebaut werden, muss es auch in Europa Zellfabriken geben“, sagt Neuhausen. Ein Akku für ein E-Auto wiegt eine halbe Tonne. Der Transport der brennbaren Zellen ist aufwendig und teuer, von Asien nach Deutschland dauert es per Schiff einen Monat – Just-in-time-Anlieferung nicht garantiert.
Deutschland habe seine Batterieproduktion vor Jahren auch aus Umweltschutzgründen „vom Hof gejagt“, meint Wechsler. Asiatische Elektrokonzerne stiegen in die Elektrochemie ein, weil sie Batteriezellen für ihre Handys und Laptops brauchten. Inzwischen haben sie sich viel Know-how erarbeitet: Die richtige Mixtur der Rohstoffe, das fehlerfreie Beschichten der Alu- und Kupferfolien in hohem Tempo – „das ist Hightech“, sagt Möller.
„Lithium-Ionen-Batterien werden mindestens 20 Jahre noch das Maß der Dinge sein“, glaubt Möller. Die deutschen Autobauer müssten ihre Herstellung im Detail verstehen. „Dafür muss man nicht gleich eine Gigafactory aufbauen.“ Die Autokonzerne investieren gerade viel Geld in E-Autos und Digitalisierung – und Elektrochemie ist nicht gerade ihre Kernkompetenz. Aber sie halten sich noch alle Optionen offen, ebenso wie der Zulieferer Continental.
Vielleicht bei der nächsten Zell-Generation? Bosch dagegen ist ausgestiegen: 20 Milliarden Euro wären nötig, um einen wettbewerbsfähigen Marktanteil zu erreichen – und ob sich das je rechnen würde, sei fraglich.
An dem Standort werde auch an neuen Batterietechniken geforscht, ergänzte Tiefensee. Die zentrale Lage in Europa, die Infrastruktur, die verfügbaren hochqualifizierten Mitarbeiter und das schnelle Handeln der Landesentwicklungsgesellschaft hätten den Ausschlag für Thüringen gegeben. CATL erhalte eine Förderung von 7,5 Millionen Euro nach den EU-Regeln zur regionalen Wirtschaftsförderung.
Wegen der stark wachsenden Zahl von Elektroautos in Europa steigt in den nächsten Jahren auch die Nachfrage nach Batterien sowie Batteriezellen rasant. VW, Daimler und BMW kaufen Zellen in Asien und bauen diese dann selbst zu großen Akkus für ihre Elektroautos zusammen. Bundesregierung und Gewerkschaften befürchten eine zu starke Abhängigkeit von asiatischen Zulieferern und dringen seit längerem auf eine nationale oder zumindest europäische Lösung.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von einem wichtigen Tag für Thüringen. Diese Technologie werde von deutschen Anbietern bisher nicht angeboten, so dass die deutsche Autobranche auch chinesische Produkte kaufen dürfte. „Wenn wir es selber könnten, wäre ich auch nicht traurig“, sagte Merkel. Wenn der chinesische Investor nach Europa komme, sei es aber gut, wenn dies in Deutschland stattfinde.
In der Fabrik sollen automatisiert Batterien hergestellt werden, die Kapazität werde bei 14 Gigawattstunden liegen. Geplant werde das Werk als eigenständige Firma mit Produktion, Forschung und Entwicklung sowie Logistik. Der größte chinesische Hersteller CATL wurde erst 2011 gegründet. Er ist seit diesem Jahr an der Börse und unterhält auch eine Niederlassung in München.
„Durch die Etablierung der modernsten Technologie für Lithium-Ionen-Batterien in Deutschland und die Liefermöglichkeiten vor Ort sind wir näher am Kunden und können dadurch kundenspezifische Lösungen anbieten und noch schneller auf Kundenwünsche reagieren“, sagte Zeng. Autoherstellern wie BMW, Daimler und VW könnten vor Ort hergestellte Lösungen angeboten werden. Zudem könne CATL europäische Kenntnisse bei der Herstellung einbeziehen. Asiatische Konzerne sind bei der Batteriezellen-Fertigung führend.
BMW will Batteriezellen im Wert von vier Milliarden Euro bei CATL kaufen. Zellen im Wert von 1,5 Milliarden sollen ab 2021 aus der geplanten CATL-Fabrik in Erfurt kommen, sagte BMW-Einkaufsvorstand Markus Duesmann in München. Von Erfurt würden die Zellen dann ins 400 Kilometer entfernte BMW-Werk Dingolfing gefahren, wo sie zu Modulen für den vollelektrischen BMW i-next zusammengebaut würden. Zellen für weitere 2,5 Milliarden Euro kauft BMW bei CATL in China.
BMW sei Erstkunde des CATL-Werks bei Erfurt. Weil größere Produktionsmengen die Kosten pro Stück senken, wäre es „nicht schlecht, wenn auch Daimler in Erfurt kauft“, sagte Duesmann. BMW habe ein Zellenfabrik näher bei den deutschen Werken haben wollen. Mit Subventionen, „politischem Goodwill“ und halbwegs günstigen Lohnkosten klappe das. BMW habe sich auch an der Ausstattung des CATL-Werks beteiligt.