Die Probleme von VW Was Matthias Müller in den Griff bekommen muss

Martin Winterkorns Rücktritt allein löst die VW-Krise nicht. Sein wahrscheinlicher Nachfolger Matthias Müller wird Probleme lösen müssen, die weit über die Ausmaße der vergangenen Tage mit dem Dieselgate hinausgehen.

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"Das ist besser für VW"
Martin Winterkorn Quelle: AP
Wolfgang Porsche, Berthold Huber, Stephan Weil Quelle: dpa
Der Konzern stellte darüber hinaus Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig. Damit will der Konzern das durch die Abgasmanipulationen verlorene Vertrauen zurückgewinnen. Wörtlich heißt es in einer Erklärung des Gremiums: „Es steht nach Ansicht des Präsidiums fest, dass es zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist, die auch strafrechtlich relevant sein können.“ Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft würden vom Konzern in aller Form unterstützt. Quelle: REUTERS
Stephan Weil (SPD), Niedersachsens Ministerpräsident und Aufsichtsratsmitglied bei Volkswagen Quelle: dpa
Anton Hofreiter (Die Grünen) Quelle: REUTERS
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) Quelle: dpa
Oliver Krischer Quelle: dpa

Sein Name: Matthias Müller. Seine Aufgabe: kaum zu schaffen. Der Mann, der Martin Winterkorn aller Wahrscheinlichkeit nach als Vorstands-Chef bei Volkswagen folgt, hat eine Herkulesaufgabe vor sich.

Die Abgas-Affäre lastet schwerer denn je auf Europas größtem Autobauer. Längst sind nicht mehr nur die USA sondern auch das weltweite VW-Geschäft betroffen. Der Konzern wird in den kommenden Jahren nicht nur Schäden beseitigen müssen, die in ihrem Ausmaß noch gar nicht abzusehen sind. Er wird sich zugleich um lange aufgeschobene Probleme kümmern müssen, die in ihrer Dringlichkeit im Angesicht der Belastungen an Brisanz gewinnen zunehmen.

Der Konzernkoloss mit 600.000 Mitarbeitern und zuletzt mehr als 200 Milliarden Euro Umsatz wankt. Das muss Winterkorns Nachfolger anpacken.

Die Personalfragen

Winterkorn verließ sein Amt mit den Worten "Ich tue dies im Interesse des Unternehmens, obwohl ich mir keines Fehlverhaltens bewusst bin". Das Aufsichtsratspräsidium beteuerte Winterkorns unschuldige Unwissenheit. 

Die Frage, wer die Verantwortung für die bewusste Täuschung von Verbrauchern und Behörden im Diesel-Skandal übernehmen muss, bleibt damit unbeantwortet. Vorerst.

Die Erklärungen zu Winterkorns-Rücktritt

Dass es weitere Konsequenzen geben wird, hat der stellvertretende Chef im Aufsichtsrats-Präsidium bereits klar gemacht. Es werden weitere Köpfe rollen, auch an der Spitze. "Der Pförtner war's schließlich nicht", spotten sie in der Branche.

Die Entwicklungsvorstände von Audi und Porsche, Ulrich Hackenberg und Wolfgang Hatz,  so wird kolportiert, müssen ihren Hut nehmen. Mehr als bloß gefährdet sind auch VW-Marken-Chef Heinz-Jakob Neußer und der Verantwortliche für das US-Geschäft, Michael - "Wir haben Mist gebaut" - Horn.

Der VW-Abgas-Skandal im Überblick

Egal wer und wie viele am Ende verantwortlich gemacht werden: Die "personellen Konsequenzen" werden eine Lücke in den VW-Führungszirkel reißen, die schnellstmöglich gefüllt werden muss.

Fähigen Ersatz für die erfahrenen und durchaus verdienten Manager zu finden, wird nicht leicht. Zudem muss der neue Kapitän das Konzernschiff Volkswagen mit einer vergleichsweise unerfahrenen Mannschaft durch einen Sturm lenken, der noch Jahre anhalten kann.

 

Die Kosten des Skandals

Dass es teuer wird, ist jedem bewusst. Unklar ist, wie sehr. 6,5 Milliarden Euro hat VW beiseitegelegt. Vermutlich ein Tropfen auf den heißen Stein. Wie hoch die finanziellen Schäden sind, hängt von unzähligen Faktoren ab. Zum Beispiel, wie hoch das Bußgeld ausfällt, das die US-Umweltbehörde EPA anmahnen könnte – bis zu 16 Milliarden Euro sind nach ersten Schätzungen drin.  Der Rechtsexperte Carl Tobias von der "Richmond School of Law" geht davon aus, dass die Behörde bis nah an das Höchstmaß gehen wird – um ein Exempel zu statuieren.

VW wird noch Jahre leiden

Durch Klagen auf Schadenersatz könnte in den USA sogar eine dreistellige Milliardenstrafe anfallen, sagt Thomas Möllers, Juraprofessor an der Universität Augsburg und einer der führenden deutschen Kapitalmarktexperten, im Gespräch mit der WirtschaftsWoche.

Ein – noch immer zu befürchtender – Rückruf würde schon in den USA teuer werden. Zudem hat VW nach Worten von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt auch Abgas-Manipulationen auch in Europa eingeräumt. "Es wurde uns mitgeteilt, dass auch in Europa Fahrzeuge mit 1,6 und 2,0-Liter Dieselmotoren betroffen sind von den in Rede stehenden Manipulationen", sagte der CSU-Politiker. Eine Liste der in die Abgas-Affäre einbezogenen Dieselautos soll bald vorliegen.

Kaum vorzustellen, wenn tatsächlich alle elf Millionen Wagen mit den "auffälligen" Motoren vom Typ EA 189 weltweit zurückgerufen werden müssten. Denn die Mängel lassen sich nicht, wie bei früheren Millionen-Rückrufen, mit wenigen Euro pro Fahrzeug beheben. Fällig würden wohl, so sagen VW-Insider, Maßnahmen im Bereich von mindestens 1000 Euro.

 

Die Imageschäden

In ihrer Dimension sind die langfristigen Folgen noch unabsehbar. Für die in den USA als „Clean Diesel“ beworbenen manipulierten Fahrzeuge muss sich VW definitiv etwas überlegen.

Im Ansehen der Amerikaner ist die Marke VW insgesamt bereits deutlich gesunken. Das geht aus Messungen der Marktforscher von YouGov hervor, die die tägliche Konsumentenstimmung messen und so herausfinden, wie positiv oder negativ eine Marke ganz aktuell wahrgenommen wird. Während der Autobauer in diesem Buzz-Index vor dem Skandal zwischen 10 und 11 Punkten lag, stürzte er bis Mittwoch auf -2 ab. So schlecht stand VW seit mindestens 2009 nicht mehr da.

Wie lange dieses Negativimage hält – und wie es sich auf die Kunden außerhalb der USA überträgt, hängt maßgeblich davon, ab wie sich VW jetzt verhält, welche Vorwürfe noch auftauchen – und ob die Kunden durch Rückrufe direkt betroffen sind. Dauern wird es in jedem Fall.

"Krisen sind immer dreigeteilt", sagt Frank Roselieb, geschäftsführender Direktor des Krisennavigators, einem Institut für Krisenforschung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. "Sie haben die akute Krisenphase, die dauert im Durschnitt 15,3 Tage." In diesem Zeitraum tagen die Krisenstäbe regelmäßig. Nach rund zwei Wochen beginnt die längerfristige Aufarbeitung, in der die Kommunikation neu begonnen, Fragen zu Produkt und rechtlichen Aspekten geklärt werden müssen. "Diese Phase der Nachbereitung dauert meistens zwei bis drei Jahre", so Roselieb. "Und dann kommt die ganze Marktnachbetreuung, die zehn bis 15 Jahre dauern kann."

Probleme in den USA

Als wären die Folgen der Abgas-Affäre nicht schwer genug zu bewältigen, hat Volkswagen in den kommenden Jahren andere Probleme vor der Brust.  Auch ohne Dieselgate wäre es für den Konzern schwer geworden.

Vermintes Gelände – Volkswagen und die USA

Bislang baut der Konzern Autos, die in den USA keine Begeisterungsstürme auslösen – trotz Millioneninvestitionen in den Bau eines Werkes in Tennessee. Zuletzt lag der Marktanteil bei knapp mehr als zwei Prozent. 2012 waren es noch drei. VW hatte etwa der Nachfrage nach leichten offenen Kleintransportern, den Pick-ups, lange nichts entgegenzusetzen und fuhr bislang Toyota, GM, Ford und Chrysler hinterher.

Ein siebensitziges SUV-Modell, das den US-Bedürfnissen besser entsprechen soll, kommt erst im kommenden Jahr auf den Markt. Wie VW seine Strategie in den USA nach dem Dieselgate neu ausrichtet, steht derzeit in den Sternen.

VWs Versäumnisse der Vergangenheit

  

Probleme in China, Russland, Brasilien

In China, Russland und Brasilien erzielte VW über viele Jahre weit mehr als ein Drittel seines Konzerngewinns, verkaufte mehr als 40 Prozent seiner Fahrzeuge. Oberflächlich betrachtet sah es in den Ländern lange gut aus: Die Wachstumszahlen waren zweistellig.

Doch seit Monaten sind besonders die Verkaufszahlen der Kernmarke VW rückläufig. "Die gesamtwirtschaftlichen Situationen in China, Russland und Brasilien sind nach wie vor angespannt", begründete der Konzern die Absatzflaute zuletzt.

Wahr ist aber auch: Es rächen sich strategische Fehlentscheidungen. Die Abhängigkeit von China ist zu groß, Südostasien wurde vernachlässigt. Nicht nur, dass das in Zeiten der schwächelnden Wirtschaft zum Problem wird. Zwar sind VW und die Tochter Audi noch die Platzhirsche im chinesischen Premiumsegment -  ein Billigauto für die Masse soll dort aber erst 2018 kommen.

Aber auch in Brasilien gehen viele Modelle an den Bedürfnissen der Kunden vorbei. Andere sind da weiter. Die Konkurrenten Renault, Toyota und Hyundai sind mit günstigen Autos teils seit Jahren in China, Indien und Brasilien erfolgreich.

In Russland – einst von Winterkorn als Wachstumsmarkt Nummer eins bezeichnet -  drängen die Entscheidungen.  Ukrainekrise, Wirtschaftssanktionen und eine stärker werdende Konkurrenz  haben dem Konzern geschadet und die Verkaufszahlen von einstigen Bestsellern wie dem Polo massiv einbrechen lassen.

 

Rendite der VW-Kernmarke

Neben all dem Schlamassel darf der Nachfolger des zurückgetretenen Martin Winterkorn dessen hehres Ziel nicht aus den Augen verlieren: den VW-Konzern sparsamer und effizienter zu machen. Zehn Milliarden Euro will der Konzern bis 2018 einsparen. Die Kernmarke VW leidet unter einer niedrigen operativen Umsatzrendite von 2,5 Prozent.

Viele „Verbesserungschancen“ habe man bereits identifiziert sagte Winterkorn noch im Frühjahr. Stellenschrauben sind unter anderem eine Reduzierung der Fertigungstiefe – VW würde weniger Teile selbst bauen und mehr zuliefern lassen. Ein Personalabbau könnte insbesondere nach dem Skandal nun nötig sein, wird wegen der starken Stellung der IG Metall bei VW aber wohl trotzdem nicht kommen. VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh  hat vor dem Skandal einen Personalabbau ausgeschlossen.

Die VW-Großaktionäre – vor allem die Familien Porsche und Piëch und das Land Niedersachsen – müssen im Schulterschluss mit dem Betriebsrat einen Führungskultur installieren, die zu einem derart riesigen und unübersichtlichen Konzern passt. Ein patriarchisches Durchregieren wie unter Winterkorn wird bei dem Dickschiff mit 600.000 Mitarbeitern, mehr als 100 Fabriken und zwölf Marken künftig nicht mehr funktionieren.

"Die Affäre zeigt einmal mehr, dass VW seine Unternehmenskultur in Frage stellen muss – öffentlich und intern. Und zwar fundamental.  Die Unternehmenskultur bei VW hat eine ganze Reihe von Affären ermöglicht und einen immensen Reputationsschaden verursacht", sagt etwa Tobias Weitzel, Geschäftsführer der Kommunikationsberatung BSK und Vorstand bei der Financial Experts Association, einem Berufsverband für Finanzexperten im Aufsichtsrat.

Die Konsequenz könne nur sein, dass es dem neuen CEO darum gehen muss, nicht nur eine Kultur der Integrität, sondern auch der Verantwortung, des Respekts, der Offenheit, des Vertrauens und natürlich auch der Leistung zu etablieren.

Im Angesicht der vergangenen Tage stünde es VW jetzt also gut zu Gesicht, weitere „Verbesserungschancen“ zu nutzen. Auch ganz oben.

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