Billigflieger Die nächste Attacke von Ryanair

Wie Billigflieger Ryanair fit für die Zukunft werden will. Quelle: imago images

Mehr Fluglinien kaufen, neue Bezahlangebote machen sowie Frieden mit Klimaschützern und der Belegschaft schließen – im wachsenden Wettbewerb um Kunden und Personal will Preisbrecher Ryanair Konkurrenten und Kritiker abschütteln. Es gelingt nur teilweise.

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Die Zukunft von Ryanair hat Marketingvorstand Kenny Jones seit drei Wochen vor seinen Schreibtisch an die Wand gehängt. Sie ist grellgelb, hat eines kleines Insekt im Logo und heißt Buzz. Die Zeichnung von einem Flugzeug mit dem Biene-Maja-Verschnitt am Leitwerk ist nicht zufällig der markanteste Schmuck im Büro des 44-Jährigen. Denn ab Herbst startet unter dem Markennamen Buzz die nach Ryanair und Lauda aus Österreich dann dritte Billiglinie des irischen Flugdiscounters. In Deutschland wird sie als erstes Dortmund ansteuern.

Der in Polen ansässige Betrieb wird der Auftakt zu einer erneuten Zeitenwende in der Strategie des Preisbrechers aus Dublin. Denn wie Jacobs der WirtschaftsWoche erklärte, will die Linie künftig noch weitere Fluglinien in Europa übernehmen. „Das ist unser Plan und wir haben bereits erste Kontakte“, so Jacobs. Zwar könne er als Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft aus Rücksicht auf die Kapitalmarktaufsicht noch keine Namen nennen. „Doch ich wäre sehr überrascht, wenn wir in den nächsten Jahren nicht mindestens eine weitere Marke in unser Portfolio packen“, lacht er. In den kommenden fünf Jahren könnte es gar ein halbes Dutzend Ableger geben.

Der erste kommt vielleicht sogar schon vor dem Sommer dazu. Denn im Zuge des Brexits könnte Ryanair quasi über Nacht eine Linie in Großbritannien starten. Nur dann dürfte die Linie weiterhin von dort aus starten, falls sie als irische Linie im Zuge eine britischen EU-Austritts wichtige Streckenrechte verlöre, etwa für Flüge von London nach Nordafrika. „Die Betriebserlaubnis und die nötige Struktur haben wir und können sie einsetzen, sobald wir sie brauchen“, so Jacobs.

Es ist nicht die einzige Neuerung des ehemaligen Metromanagers und seines streitbaren Vorstandschefs Michael O‘Leary. Neben der fliegenden Bienenmarke planen die beiden noch die „Amazonisierung“, wie sie den weiteren Ausbau der Bezahlangebote rund um das Ticket nach dem Vorbild des US-Onlineriesen nennen. Und zu guter Letzt wollen sie endlich Frieden mit Umweltschützern sowie der im vorigen Jahr recht streikfreudigen Belegschaft schließen. „Wir sind inzwischen nicht mehr nur die neue Ryanair 2.0, sondern bald die Ryanair 3.0“, so Jacobs. Ziel ist es, Konkurrenten und Kritiker abzuschütteln. Doch das gelingt nur teilweise.

Dabei brechen die Iren mit dem dreifachen Vorstoß gleich mehrere Tabus für den Billigflugbereich. Das größte ist die neue Markenvielfalt. Bislang galt ein europaweiter Einheits-Auftritt mit der gleichen Marke und vor allem einer Betriebserlaubnis als ein zentraler Vorteil der Discounter gegenüber etablierten Linien wie der Lufthansa oder Air France-KLM. Das senkt nicht nur die Werbekosten, es drückt auch die Ausgaben für den Flugbetrieb. Dann können Flugzeuge und Personal schnell und günstig von einem Land zum anderen geschoben werden, falls sich die Nachfrage ändert oder nach technischen Problemen irgendwo Ersatz benötigt wird. Was zu große Vielfalt kostet, führt die Lufthansa-Tochter Eurowings vor. Sie hat im vergangenen Jahr laut Schätzungen rund 40 Millionen oder umgerechnet einen Euro pro Passagier nur deshalb ausgegeben, weil sie ihr Geschäft auf sechs Betriebe mit eigener Verwaltung verteilt und sich die Teile nicht aushelfen durften, etwa bei Flugausfällen.

Beim Markenwachstum setzt Ryanair anstelle von Neugründungen auf die Übernahme kleinerer Linien. „Das ist schneller und billiger“, so Jones. Dafür sorge nicht nur, dass angesichts der zunehmenden Konsolidierung und dem wachsenden Überangebot mehr Linien in Not geraten und günstig zu haben sein werden. „Weil von den Lizenzen über Flugzeuge bis zum von den Regulierern vorgeschriebenen Personal bereits alles da ist, können wir sofort Gas geben und sie stark wachsen lassen.“

Dazu erlaubt das mehr Vielfalt beim Service. „Wir können zum Beispiel für jeden Markt passende Angebote machen“, erläutert der Manager. Vorbild sei hier Lauda. Die in Wien ansässige Linie arbeite anders als die Hauptmarke fast ausschließlich im deutschsprachigen Markt mit seinen relativ anspruchsvollen Kunden und teuren Flughäfen wie Düsseldorf, Stuttgart oder Palma de Mallorca. Dadurch könne sie besser mit den höheren Kosten umgehen als die klassische Ryanair. Zudem erlauben die Zukäufe in kleineren Ländern auch mehr lokale Eigenheiten beim Service. So soll Buzz vor allem in und nach Osteuropa aktiv werden. Da dürfte sie den Lokalrivalen Wizzair mit Geiz-Service-Ideen wie Gebühren für die Mitnahme von Handgepäck unter Druck setzen. 

O’Learys Ryanair-typische Hintergedanken

Doch O’Leary hat sicher auch ein paar Ryanair-typische Hintergedanken. Denn ein Markenzoo sorgt zunächst für etwas höhere Ausgaben, weil die Töchter bei aller Schlankheit ihrer Abläufe eben doch mehr kosten als eine Zentralverwaltung. Doch wird das dadurch wettgemacht, dass Ryanair bei den Untermarken wie in einem Labor leichter neue Dinge ausprobieren kann, die im Konzern nicht möglich sind: etwa eine schlankere und stärker computergestützte Verwaltung. Zudem kann Ryanair dank der Vielfalt leichter Druck auf Lieferanten ausüben – etwa mit der Drohung, zur Konkurrenz zu wechseln. Wie das geht, zeigte Konzernchef O’Leary bereits dem Flugzeughersteller Boeing. Denn der alpenländische Ableger nutzt Maschinen des europäischen Rivalen Airbus. „Eine schöne Erinnerung, dass wir jederzeit wechseln können“, so O’Leary.

Schließlich hilft die Vielfalt auch beim Image. Sie erlaubt ein paar höherwertige Marken für Kunden, die bei der irischen Hauptmarke mit ihrem lauten und gerade bei Arbeitnehmerrechten recht rüden Art aus Prinzip nicht buchen. Zudem lassen die Zukäufe die mit rund 140 Millionen Passagieren mit Abstand größte Flugmarke Europas weniger dominant wirken. „Damit kann Ryanair wie Lufthansa mit Austrian, Brussels, Eurowings und Swiss in von ihr dominierten Märkten kleiner wirken und den Anschein von Wettbewerb erwecken“, analysiert ein führender Manager eines Konkurrenten.

Wie wichtig das ist, erlebte Jacobs diese Woche. Denn erstmals tauchte Ryanair in der Liste der zehn größten Klimasünder in Europa auf. Und das allein wegen ihrer schieren Größe – und einer etwas merkwürdigen Zählweise, die weder die Effizienz noch den Ausstoß von Kohlendioxid auf Langstrecken berücksichtigt.

Der Aufstieg zu den größten Verschmutzern trifft Jacobs. Denn mehr noch als beim Geschäftsmodell ist sein Unternehmen im Umgang mit Kritikern über seinen Schatten gesprungen. Die Linie hat nicht nur mit den Gewerkschaften Frieden geschlossen. „Wir haben innerhalb von 15 Monaten in allen größeren Ländern Europas Tarifverträge mit Piloten und Flugbegleitern erreicht, und in Deutschland sogar mit Sozialplänen nach eurem Recht“, erzählt Jacobs. „Damit zeigen wir allen, dass wir ein guter und fairer Arbeitgeber sind.“ Das ist auch bitter nötig. Denn angesichts des starken Wachstums ist die Nachfrage bei Piloten bereits so groß, dass viele Flugzeugführer von Ryanair zu anderen Fluglinien gewechselt sind.

Fast noch erstaunlicher ist O‘Learys neuer Umgang mit Umweltschützern. Die beschimpfte er lange als „nutzlos“ und „ewiggestrig“. Nun versucht er, mit ihnen zu paktieren. Ryanair überweist nicht nur Geld an First Climate für Ausgleichsprojekte zur Klimabelastung und vermittelt auf ihrer Internetseite Überweisungen für Kunden, die das auch tun wollen, dem Vernehmen nach ohne die übliche Vermittlungsgebühr. Ryanair gibt auch Geld an andere Umweltprojekte. „Denn wir sind die umweltfreundlichste Airline Europas“, lautet O’Learys neues Credo.

Doch ob das viel ändert, bleibt abzuwarten. „Er überweist bislang noch deutlich weniger Geld, als es die großen Fluglinien tun“, ordnet ein führender Manager eines Konkurrenten ein. „Und mit seinen Rüpeleien hat O‘Leary bei Kunden und Kritikern viel verbrannte Erde hinterlassen.“

Mehr Wirkung hinterlassen dagegen die Veränderungen bei den neuen Serviceangeboten. Eher still haben die Iren ihre Version eines Treueangebots namens Ryanair Choice gestartet. Es verspricht Vielfliegern wie bei Easyjets „Plus“-Angebot gegen die Zahlung eines Jahresbeitrags dauerhaft besseren Service. Für 199 Euro oder gut ein Zehntel weniger als bei Easyjet dürfen Kunden ein Jahr lang ohne weitere Kosten einen Koffer aufgeben, den Sitz frei wählen und als erste einsteigen. „Die Resonanz ist gut“, sagt Jacobs. Ab September verspricht Ryanair zudem jedem, der seine Flugstrecke kurz nach der Buchung anderswo billiger bekommen hätte, die Differenz zu erstatten – plus fünf Euro aufs My-Ryanair-Konto.

Ob das reicht, bleibt abzuwarten. „Nachdem Ryanair bis vor fünf Jahren vor allem neue Ideen umsetzte, waren es zuletzt erprobte Ideen anderer Leute“, sagt ein führender Manager eines Konkurrenten. Das ist Jacobs offenbar bewusst. Denn er stellt klar, dass er sich trotz aller Veränderungen noch lange nicht am Ziel sieht. „Alles, was wir bisher getan haben, war nicht viel mehr als ein Anfang“, so Jacobs. „Ihr werdet uns in fünf Jahren kaum noch wiedererkennen.“

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