Energiekrise und Inflation Diese Insolvenzen hielten Deutschland 2022 in Atem

Quelle: imago images

Stress mit Wolfsburg, Ärger im Warenhaus und die Havarie eines (Alb-)Traumschiffs: 2022 mussten viele bekannte Firmen den Gang zum Insolvenzgericht antreten. Das waren die spannendsten Fälle des Jahres.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Ist das jetzt die „Zeitenwende“ im Insolvenzgeschehen? Oder doch nur eine „Normalisierung“?

Erstmals seit 2009 ist die Zahl der Firmenpleiten in Deutschland wieder gestiegen. Von 14.700 Unternehmensinsolvenzen geht die Wirtschaftsauskunftei Creditreform für 2022 aus, rund vier Prozent mehr als im Vorjahr. Womöglich noch aufschlussreicher ist der Blick auf die Großverfahren, also Insolvenzen von Unternehmen mit mehr als zehn Millionen Euro Umsatz. 214 solcher Verfahren hat die Unternehmensberatung Falkensteg für 2022 registriert, rund 30 Prozent mehr als im Vorjahr. Der Umsatz der insolventen Großunternehmen summierte sich in diesem Jahr demnach auf 11,3 Milliarden Euro gegenüber 7,7 Milliarden Euro im Jahr 2021. Allein die 30 größten Insolvenzen 2022 standen für ein Umsatzvolumen von 6,8 Milliarden Euro. 2021 betrug der Wert noch 5,1 Milliarden Euro.

Die Zahlen sind angesichts der Vielzahl an staatlichen Hilfsmaßnahmen in den Vorjahren allerdings nur teilweise vergleichbar. „Wir haben keine Insolvenzwelle, eher eine Normalisierung auf dem Niveau vor Corona“, konstatiert denn auch Falkensteg-Partner Tillmann Peeters. Die Zunahme werde sich nächstes Jahr fortsetzen, erwartet Peeters. Nicht plötzlich und auf einen Schlag, „sondern als dauerhaft ansteigender Wasserstand.“ Dabei wird es wohl vor allem Unternehmen treffen, „die einerseits die Energie- und Rohstoffpreise nicht an ihre Kunden weitergeben können oder andererseits unter der Konsumzurückhaltung leiden“, sagt Peeters. „Ferner sehen wir einen Anstieg im Immobilien- und Baubereich sowie bei Automobilzulieferern, die aufgrund des tiefgreifenden Transformationsprozesses in der Dauerkrise stecken.“

Im Grunde stehen damit 2023 wieder all jene Branchen im Feuer, die schon in den vergangenen Monaten die Vielzahl an Krisen zu spüren bekamen und die Spätfolgen der Coronapandemie abfedern mussten. Nicht allen Unternehmen gelang das.

Ein Kreuzfahrtschiff funkt S.O.S.

Den Anfang machte am 10. Januar 2022 MV-Werften, nachdem der Gesellschafter, der Konzern Genting des malaysischen Milliardärs Lim Kok Thay, sich nicht an einer möglichen weiteren Staatshilfe für das Unternehmen mit eigenen Mitteln beteiligen wollte. Der Schiffsbauer beschäftigte an Standorten in Wismar, Rostock und Stralsund mehr als 2.000 Mitarbeiter. In den gewaltigen Hallen der Werft in Wismar wurde das größte Kreuzfahrtschiff der Welt – die Global Dream – gebaut.

Insolvenzverwalter Christoph Morgen gelang es unter hohem Zeitdruck und wohl auch dank der geopolitischen Zeitenwende verschiedene Investoren für die Unternehmensteile zu finden. U-Boot- und Marineschiff-Hersteller Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) übernahm den Standort Wismar. Das zum Großteil fertiggestellte Kreuzfahrtschiff wurde an den Walt-Disney-Konzern verkauft. Auch für die im Zuge der MV-Insolvenz ebenfalls in Schwierigkeiten geratene Lloyd-Werft in Bremerhaven fand sich eine Lösung.

Weniger erfolgreich verlief die Pleite der Modekette Orsay mit Sitz im baden-württembergischen Willstätt. Im Januar 2022 begann das Insolvenzverfahren des 1975 gegründeten Unternehmens in Eigenverwaltung. Alle Ladengeschäfte des Modehändlers im Bundesgebiet mit rund 1.800 Mitarbeitern wurden zur Jahresmitte geschlossen, ebenso der Online-Shop.

Ohnehin hatten Händler 2022 einen schweren Stand. Schon die Corona-Pandemie hat die Reserven vieler Filialisten aufgezehrt. Als mit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine die Energiepreise nach oben schossen, die Inflation Fahrt aufnahm und die Konsumlaune der Verbraucher einbrach, bekamen die Händler das direkt zu spüren. Und wie immer erwischte es jene Unternehmen zuerst, die schon im Vorfeld mit Problemen kämpften.

Im September wurde etwa für den Schuhhändler Ludwig Görtz mit rund 1.800 Beschäftigten ein Schutzschirmverfahren angemeldet. Sebastian Knapp von PwC Legal steuert seither als Generalbevollmächtigter das Schutzschirmverfahren der Muttergesellschaft. Für die Filial- und die Logistiktochter wurden jeweils Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung beantragt, die von dem Restrukturierungs- und Insolvenzrechtspezialisten Lorenzo Matthaei von der Kanzlei Finkenhof dirigiert werden. Sven-Holger Undritz von der Kanzlei White & Case wurde zum Sachwalter bestellt.

Beim Görtz-Wettbewerber Reno konnte eine Insolvenz wohl nur über einen Verkauf verhindert werden. Im Dezember spannten mit Salamander und Klauser zwei weitere Schuhfilialisten Schutzschirme auf. Christian Holzmann von der Kanzlei CMS Hasche Sigle wurde zum vorläufigen Sachwalter bestellt. Die Frankfurter Restrukturierungsexperten Sven Tischendorf und Alexander Höpfner leiten die operative Sanierung.

Selbst der erfolgsverwöhnte Biohandel musste Federn lassen: So traten die Manager von SuperBioMarkt, der Reformhaus-Bacher-Gruppe und zuletzt der Biokette Basic den Gang zum Insolvenzgericht an. Die schwächelnde Konsumlust mag dabei Auslöser und Krisenverstärker gewesen sein, die Ursachen reichen jedoch tiefer. Ebenso wie bei der prominentesten Insolvenz des Jahres: Ende Oktober ging die dauermalade Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof ins Schutzschirmverfahren.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%