Aldi, Lidl, Rewe, Edeka Handel plant neuen Vorstoß im Streit um Billiglebensmittel

Quelle: imago images

In die Debatte um faire Preise für Agrarprodukte kommt Bewegung. Der Handelsverband HDE und die großen Supermarktketten arbeiten an einer „Koordinierungsstelle für die Lebensmittellieferkette“.

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Im Streit um Niedrigpreise für Lebensmittel planen der Handelsverband HDE und die großen Supermarktketten einen neuen Vorstoß. Nach Informationen der WirtschaftsWoche laufen derzeit Pläne für die Einrichtung einer „Koordinierungsstelle für die Lebensmittellieferkette“ und damit einer Plattform, auf der sich alle Beteiligten über Branchenstandards für Qualität, Tierwohl und Lebensmittelsicherheit abstimmen können. 

Vorbild ist das QS-Prüfsystem, über das die Qualität von Lebensmitteln zertifiziert wird. Über die Koordinierungsstelle könnten beispielsweise heimische Agrarprodukte besser gekennzeichnet werden, heißt es in der Branche. Von Aufschlägen beim Verkauf könnten dann die Erzeuger profitieren. Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner hatte zuvor einen Entwurf für einen Verhaltenskodex für den Einzelhandel vorgelegt, der in der Branche auf wettbewerbsrechtliche Bedenken stieß. Die Koordinierungsstelle dürfte nun auch der Versuch des Einzelhandels sein, beim Thema faire Preise für landwirtschaftliche Produkte aus der Defensive zu kommen. Ein HDE-Sprecher wollte sich zu Details nicht äußern: „Der HDE möchte die Vorschläge zunächst mit der Ministerin besprechen“.

In den vergangenen Wochen hatten zahlreiche Bauernproteste für Aufsehen gesorgt, bei denen Landwirte Zentrallager großer Lebensmittelhändler blockiert hatten, um gegen die die Preispolitik der Supermärkte und Discounter zu demonstrieren. Sie verlangen Regelungen für kostendeckende Preise für ihre Erzeugnisse und mehr heimische Nahrungsmittel im Handel. Zugleich fordern sie, dass strengere Vorgaben wie etwa zum Düngen ausgesetzt werden und das Corona- und Schweinepest-Hilfen sofort fließen. Vor allem der Unmut der Landwirte über die Lebensmittelpreise wurde von der Politik aufgegriffen und befeuert. 

Denn tatsächlich geben die Händler in der Debatte ein ideales Feindbild ab: Zu groß und anonym sind die Konzerne, zu schwer durchschaubar ihre Preismechanismen - und zu imposant die Bilder der Landwirte, die mit ihren Traktoren vor die Lager von Aldi, Lidl, Rewe und Edeka rollen. Im niedersächsischen Himmelpforten luden Unbekannte mehrere Kubikmeter frischen Mist vor der Tür eines Aldi-Marktes. Die Botschaft der Bauern: Der Handel ist verantwortlich für den Verfall der Preise, das Sterben der Höfe, den Niedergang von Ackerbau und Viehzucht. Tatsächlich aber hängen die Preise vom Weltmarkt ab, was der auf Export getrimmten deutschen Landwirtschaft hilft, solange es aufwärts geht. Doch zuletzt hat die Afrikanische Schweinepest für einen Einbruch der Exporte und damit für ein Überangebot in Deutschland gesorgt. Letztlich feilschen auch nicht einzelne Landwirte mit den Einkäufern von Lidl & Co., sondern teils milliardenschwere Agrar-Genossenschaften.

Alles außer billig

All das weiß auch die Politik – und nimmt trotzdem den Handel in die Pflicht: Die Supermärkte sollen dafür sorgen, dass bei den Bauern am Ende mehr Geld bleibt. So lässt sich ein Verhaltenskodex für den Handel interpretieren, den Landwirtschaftsministerin Klöckner entworfen hat. Preiserhöhungen, heißt es darin beispielsweise, „werden wir mit den Lieferanten in einer Art und Weise gestalten, die sicherstellt, dass die höheren Zahlungen auch den Landwirten zugutekommen“. Weiterhin sollen die Lebensmittelhändler zusichern, „den Wettbewerb nicht mit der alleinigen Zielsetzung der Preisführerschaft zu führen“ – insbesondere bei Fleischprodukten. Generell soll der Handel deutschen Produkten den Vorzug geben, also etwa bei Obst und Gemüse das heimische Angebot berücksichtigen, „bevor ausländische Ware zugekauft wird“.

Aus Sicht der Händler ist der Vorstoß abwegig, weil Preisabsprachen gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen und eine Bevorzugung nationaler Produkte gegen EU-Regeln. Das sei Klöckner bekannt, vermutet ein Handelsmanager. Ihr Vorgehen lasse daher eigentlich nur den Schluss zu, dass sie bewusst den öffentlichen Druck auf den Handel verstärken wolle, um politisch zu punkten. Bisher scheint das Kalkül aufzugehen: „Der LEH“ – also Lebensmitteleinzelhandel – sei in der Debatte um ‚faire Preise‘ in die Defensive geraten und in der öffentlichen Wahrnehmung unter Erklärungsdruck, heißt es hinter den Kulissen. Zur Schadensbegrenzung nehmen die Chefs der Handelskonzerne an Video-Meetings der Landwirtschaftsministerin teil, kündigten unternehmenseigene Verhaltenskodizes und Hilfsprogramme wie die Erhöhung der Einkaufspreise für Schweinefleisch an. 

Aldi bekundete kürzlich, nur noch Frischmilch von heimischen Höfen beziehen zu wollen. Doch Klöckner reicht das nicht. Es sei „schon erstaunlich, dass die Schweinepreise für die Erzeuger zwar stark zurückgegangen sind, die Verbraucherpreise im Handel aber weitestgehend stabil geblieben sind“, sagte sie im Interview mit der WirtschaftsWoche. „Selbst in dieser schwierigen Situation für unsere Tierhalter, müssen Fleisch und Wurst als Lockangebot im Werbeprospekt herhalten“, so Klöckner. „Das halte ich grundsätzlich für unanständig.“ Dass Fleisch zu „Ramschware wird, ist falsch“.

Nach dem rechtlich umstrittenen Papier aus ihrem Haus forderte sie den Handel auf, selbst einen Entwurf für Verhaltensregeln vorzulegen. Die Koordinierungsstelle dürfte dabei ein zentrales Element sein, auch wenn die Umsetzung intern als „dickes Brett“ gilt.

Beschwerdebrief an die Bundesregierung

Die Beziehung zwischen Klöckner und der Branche dürfte ohnehin angespannt bleiben. Schon in den vergangenen Monaten ging es hoch her, wie ein gemeinsamer Beschwerdebrief der Chefs der vier größten deutschen Supermarktketten Edeka, Rewe, Aldi und Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und sämtliche Kabinettsmitglieder zeigt. 

Klöckner habe auf einer Pressekonferenz „die großen Lebensmittelhandelsunternehmen kollektiv öffentlich scharf angegriffen“ und dabei Vorwürfe geäußert, „die jeglicher sachgerechten Würdigung widersprechen“, kritisierten die Handelsgranden Mitte November in dem Schreiben. Zuvor hatte die Politikerin einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der europäischen UTP-Richtlinie gegen unfaire Handelspraktiken auf den Weg gebracht. Er soll Lebensmittel-Lieferanten besser vor dem Druck großer Handelsriesen schützen. Das Gesetz schaffe Augenhöhe und stärke die regionale Produktion und den Wettbewerb, sagt Klöckner. Häufig sei kleinen Lieferanten bislang nichts anderes übrig geblieben, als unfaire Bedingungen zu akzeptieren, wenn sie nicht „ausgelistet“ werden wollen. 

Die Ministerin zeichne „ein Zerrbild der Lebensmittelhändler, die angeblich systematisch Verträge und Recht brechen“, beschwerten sich dagegen die Chefs von Aldi & Co. „Wir sind über diesen massiven Angriff auf die Reputation unserer Unternehmen zutiefst erschrocken und fühlen uns persönlich diskreditiert“. Es handle sich um einen beispiellosen Vorgang öffentlicher Diffamierung durch ein Mitglied der Bundesregierung, schrieben die Manager. 

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Tatsächlich blieb Klöckner bislang Belege schuldig, dass der Handel seine Marktmacht im großen Stil missbraucht. Das Bundeskartellamt kam Mitte Januar zum Ergebnis, dass die von Klöckner beanstandeten „unfairen Handelspraktiken“, in der Praxis kaum vorkommen. Die Behörde hatte 400 Hersteller befragt, inwieweit sie vonseiten der Lebensmittelhändler mit langen Zahlungszielen, kurzfristigen Stornierungen, Listungsgebühren, Werbekostenzuschüssen und ähnlichen Maßnahmen  konfrontiert seien. „Die Mehrheit der Lieferanten meldete demnach keine Probleme in der Geschäftsbeziehung mit den LEH-Unternehmen“, bilanziert die für den Einzelhandel zuständige zweite Beschlussabteilung des Kartellamts. „Insgesamt wurden die Händler recht positiv bewertet.“ Die Handelsriesen sehen sich bestätigt – und von Klöckner zu Unrecht an den Pranger gestellt. „Es geht allein um Symbolik“, vermutet der Manager einer Supermarktkette - und darum, „einen anderen Sündenbock als die Politik für die Probleme der Landwirte zu finden“.

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