Auf diesen Moment hat Werner Baumann lange hingearbeitet. In blauem Sakko, weißem Hemd, die Krawatte rot kariert, steht der Bayer-Boss vor einer Kamera.
Der Hintergrund: unscheinbar, etwas Glas, etwas Grün, der Rest verschwimmt. Der Fokus liegt auf dem 53-Jährigen, der seit drei Wochen den Bayer-Konzern lenkt. Es ist der 23. Mai 2016. Baumanns Plan soll sich nun erfüllen, der Plan vom größten Agrarkonzern der Welt. Für 55 Milliarden Euro will der Bayer-Chef den US-Rivalen Monsanto übernehmen. Ein umstrittenes Vorhaben, nicht nur wegen der schieren Summe. Politiker, Investoren und Umweltschützer bezweifeln, ob Image und Kultur von Monsanto auch zu Bayer passen.
Baumann zweifelt nicht, er beschäftigt sich seit Jahren mit Monsanto, hat in den vergangenen Monaten die Kontakte zwischen Leverkusen und St. Louis ausgebaut. In der Ruhe liegt die Kraft gegen den Zweifel. Also sagt er: „Monsanto passt perfekt zu unserem Agrargeschäft.“ Lächeln. Zwinkern. Weiter im Text.
So also schickt sich der Mann an, den weltweit größten und umstrittensten Anbieter von gentechnisch verändertem Saatgut zu entern, plant so die größte Übernahme der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Er wird dafür viel gescholten, als unbeholfen dargestellt, größenwahnsinnig. Der Eindruck täuscht. Baumann ist kein Hasardeur. Er ist Stratege, dessen Erfolgsgeheimnis es ist, unterschätzt zu werden – und dann, im richtigen Moment, zuzuschlagen. Freunde und Wegbegleiter beschreiben ihn als einen machtbewussten wie zielstrebigen Anführer.
Baumann ist ein Mann der perfekten Vorbereitung und des strategischen Vorgehens. Hoch konzentriert geht er im Gespräch die Argumente durch, die für den möglichen Deal sprechen. Die Kritik seiner Gegner seziert er mit der Selbstsicherheit eines Mannes, der die Fakten am besten kennt. „Die geplante Übernahme von Monsanto wird kein Sprint, sondern sicherlich eher ein Marathon“, sagt Baumann gegenüber der WirtschaftsWoche; insbesondere die Abstimmungen mit den Kartellbehörden könnten sich gegebenenfalls hinziehen. Dass Monsanto einen höheren Preis will, aber weiter auf Gespräche setzt, bewertet der Bayer-Chef als „konstruktive Ablehnung“.
Die Idee zu dieser Übernahme kam nicht wie ein vom Wind getriebenes Saatkorn auf den Tisch des CEOs geflattert. Seit 2010 gibt es Kontakte zwischen Bayer und Monsanto. Insider sagen, es habe schon einmal ein Zeitfenster für eine Übernahme gegeben, das sich dann ungenutzt wieder schloss. Dieses Mal ist das anders.
Baumann, der seit Oktober 2014 im Bayer-Vorstand Strategie und Portfoliomanagement verantwortete, soll schon vor Monaten auf eine Übernahme des US-Konzerns gedrängt haben und dabei heftig mit Marijn Dekkers aneinandergeraten sein. Dekkers, bis 30. April Vorstandschef in Leverkusen, war von den Monsanto-Plänen seines damaligen Kronprinzen offenbar wenig begeistert. Er fürchtete nach einer milliardenschweren Offerte heftige Kursverluste für die Bayer-Aktie. Baumann machte trotzdem weiter.
Die Monsanto-Pläne sorgen für mehr Widerstand als erwartet
Bereits Mitte März wollte er PR-Agenturen anheuern, um den Deal zu orchestrieren und nebenbei Fakten zu schaffen. Darüber soll es Streit gegeben haben. Dekkers konnte seinen Nachfolger zwar noch bremsen, aber nicht mehr aufhalten. Wenn Baumann über seinen Vorgänger spricht, gerät nichts aus der Fassung. Nur die Braue über seinem linken Auge kommt in Bewegung und hebt sich, bis sie fast zum rechten Winkel wird. Der Pfeil, der so entsteht, zeigt nach oben. Baumanns Richtung für Bayer.
Nachdem Baumann am 1. Mai CEO wurde, ging alles ganz schnell. Der Übernahmeplan ist dann aber früher öffentlich geworden, als es dem Bayer-Chef lieb sein konnte. Nicht alle Pläne gehorchen ihren Erfindern. An Baumanns Kalkül hat das nichts geändert.
Wer bei Bayer für Gewinn sorgt
Umsatz 2014: 42,2 Mrd. Euro
Gewinn* 2014: 8,4 Mrd. Euro
*vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, Ebitda; Quelle: Unternehmen
Umsatz 2014: 19,834 Mrd. Euro (47 Prozent vom Umsatz insgesamt)
Gewinn* 2014: 5,124 Mrd. Euro (61 Prozent vom Gewinn insgesamt)
*vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, Ebitda; Quelle: Unternehmen
Umsatz 2014: 11,816 Mrd. Euro (28 Prozent vom Umsatz insgesamt)
Gewinn* 2014: 1,092 Mrd. Euro (13 Prozent vom Gewinn insgesamt)
*vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, Ebitda; Quelle: Unternehmen
Umsatz 2014: 9,284 Mrd. Euro (22 Prozent vom Umsatz insgesamt)
Gewinn* 2014: 2,184 Mrd. Euro (26 Prozent vom Gewinn insgesamt)
*vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, Ebitda; Quelle: Unternehmen
Umsatz 2014: 1,266 Mrd. Euro (3 Prozent vom Umsatz insgesamt)
Er hält Monsanto für einen wichtigen Baustein auf dem Weg zu einem integrierten Agrarkonzern, der den Landwirten auf der ganzen Welt alles aus einer Hand bietet: das beste Saatgut von Monsanto, den besten Pflanzenschutz von Bayer, ergänzt um landwirtschaftliche Beratung und digitale Datenanalyse. Ein Apple der Agrarwirtschaft. Auf bunten PowerPoint-Charts für die Investoren zeigt sich zudem ein Sparpotenzial von 1,5 Milliarden Dollar jährlich. Und ganz nebenbei wäre eine drohende Übernahme von Bayer durch andere Konzerne vom Tisch.
Doch die Vorbehalte gegen Baumanns Plan sind groß – womöglich größer, als er es erwartet hat. So klar Baumann in seiner strategischen Analyse ist, scheint er vor allem die kommunikative Herausforderung unterschätzt zu haben. Er muss aufpassen, dass der Deal nicht in die Mühlen des US-Wahlkampfs gerät. In dem ist der Freihandel längst unter die Räder gekommen. Donald Trump ist dagegen, Hillary Clinton musste dem Druck unlängst nachgeben und ist auf die populistische Linie ihrer Herausforderer eingeschwenkt. Im Sog des „America first“ kann ein Chemiekonzern schnell zum Symbol nationaler Selbstbestimmung werden.
Vor allem aber habe den Bayer-Manager die heftige Reaktion der Finanzmärkte überrascht, heißt es aus seiner Umgebung. Kaum war die Nachricht über Bayers Milliardenofferte öffentlich, flüchteten Aktionäre aus der Aktie. Sie fürchten, dass eine Kapitalerhöhung den Wert ihrer Anteile schmälert. Schließlich muss der Konzern 40 Milliarden Euro neue Schulden stemmen – mindestens.
Stationen des Bayer-Konzerns
Bayer übernimmt vom Schweizer Pharmakonzern Roche das Geschäft mit rezeptfreien Arzneimitteln.
Trennung von der Chemie, Teil eins: Die Leverkusener spalten das Kautschukgeschäft und weitere Teile ab und bringen das Unternehmen als Lanxess an die Börse.
Bayer kauft das Berliner Pharmaunternehmen Schering für 17 Milliarden Euro.
Übernahme des deutschen Medikamentenherstellers Steigerwald, bekannt für das Magenmittel Iberogast.
Bayer zahlt umgerechnet 10 Milliarden Euro für das Geschäft mit rezeptfreien Arzneimitteln des US-Pharmakonzerns Merck & Co. Zwei Milliarden Euro ist Bayer das norwegische Pharmaunternehmen Algeta wert, ein Spezialist für Krebserkrankungen.
Trennung von der Chemie, Teil zwei: Bayer gibt die Abspaltung der Kunststoffsparte (Bayer Material Science) bekannt.
Der Börsengang von Covestro, ehemals Bayer Material Science, im Oktober 2015 war einer der größten in Deutschland seit dem Boomjahr 2000.
So kämpft Baumann nun um den Deal. Dieser Tage ist er an der US-Ostküste unterwegs, um mit Aktionären zu sprechen. Manch alteingesessener Shareholder sagt ihm ab: zu riskant, zu teuer. Andere sprechen über das miese Image von Monsanto. Also sagt Baumann in Interviews Sätze wie: „Uns ist bewusst, welcher Ruf Monsanto vorauseilt – ob zu Recht oder nicht.“ Zudem muss er intern überzeugen. Aufsichtsrat und Vorstand stehen hinter dem Plan, doch mancher Bayer-Mitarbeiter fürchtet, dass sich der Konzern übernimmt. Angesicht der Dimensionen des Deals attestieren viele ihrem Chef eine Neigung zur Hybris.
Bayer soll unabhängiger von Pharma werden
„Er ist auf keinen Fall größenwahnsinnig und kalkulierter, als es nach außen scheint“, sagt dagegen einer, der Baumann gut kennt und seit Jahren mit ihm zusammenarbeitet. „Herr Baumann denkt seine Pläne bis ganz zu Ende durch. Er analysiert sehr gerade heraus und setzt ein Projekt entschlossen um, wenn es ihm sinnvoll erscheint“, sagt Christine Bortenlänger, die Geschäftsführerin des Deutschen Aktieninstituts, bei dem Baumann ehrenamtlich Präsident ist.
Das gilt auch für die eigene Karriere. Der Wirtschaftswissenschaftler und Autofan hat sein Berufsleben unter dem Bayer-Kreuz verbracht. 1988 begann er in Leverkusen, in der Abteilung Konzernfinanzen. Seine Karriere nahm Fahrt auf, als er in den Neunzigerjahren bei seiner ersten Auslandsstation in Barcelona den damaligen Bayer-Landeschef Werner Wenning kennenlernte.
Die Chemie zwischen Wenning, dem späteren Vorstands- und heutigen Aufsichtsratschef, stimmte: Beide stammen aus bescheidenen Verhältnissen und aus dem Rheinland. Beide sind Analytiker und Zahlenmenschen. Schnell war auf den Bayer-Fluren vom großen und vom kleinen Werner die Rede. 1995 machte der große Werner den kleinen Werner zu seinem Assistenten.
Baumann ging in die USA, übernahm erste Führungsaufgaben im Diagnostikgeschäft, lernte zu delegieren. 2002 holte ihn Wenning, inzwischen Vorstandschef, nach Leverkusen, als Wiederaufbauhelfer für die, nach dem Rückzug des umstrittenen Cholesterinsenkers Lipobay, darniederliegende Pharmasparte. Der Skandal um die Nebenwirkungen des Medikaments hätte fast das gesamte Unternehmen mit in den Abgrund gerissen. Für Baumann war das eine prägende Zeit: Noch heute redet er häufig davon, wie stolz es ihn macht, dass Bayer aus der Krise wieder herausgefunden hat. Auch der Monsanto-Kauf zielt darauf ab, Bayer von Pharma unabhängiger zu machen.
2006 durfte sich der Manager bei der Integration des von Wenning gekauften Berliner Pharmakonzerns Schering bewähren. Baumann erledigte den Job geräuschlos und effizient. „Ich habe bei der Integration von Schering auch einige Böcke geschossen“, verriet er später, ohne ins Detail zu gehen, „aber die Kollegen haben mich aufgefangen.“
Nicht nur bei Schering, auch beim Kauf der rezeptfreien Medikamente des Schweizer Pharmakonzerns Roche ein Jahr zuvor legte Baumann Hand an; ebenso bei Dutzenden kleiner und mittlerer Akquisitionen. Als 2010 die Nachfolge von Wenning anstand, war Baumann noch zu jung, rückte aber in den Vorstand auf, zunächst für das Finanzressort.
Wenning sorgte mit dafür, dass sein Schützling noch weitere Großprojekte erhielt, an denen er sich bewähren konnte, zwischenzeitlich leitete der Kronprinz das Gesundheitsgeschäft. „Baumann hat gelernt, dass er Großprojekte kann“, sagt ein enger Weggefährte. Er habe sich daran gewöhnt, zu siegen. „Das lässt ihn jetzt vielleicht ein noch höheres Risiko eingehen.“
Werner Baumann wagt nun im Agrargeschäft den ganz großen Wurf. Wenn der gelingt, kann er sich fast sicher sein, als genialer Unternehmenslenkers in die Geschichtsbücher einzugehen. Allemal ist im Markt derzeit viel in Bewegung. Auch die Konkurrenten schließen sich zusammen: Die US-Konzerne Dow Chemical und DuPont fusionieren, der chinesische Mischkonzern Chemchina übernimmt die Schweizer Syngenta. Zudem ist die Monsanto-Aktie derzeit vergleichsweise niedrig bewertet – was dem Finanzstrategen Baumann nicht entgeht. Man muss zugreifen, wenn die Gelegenheit da ist.
Der Erfolg der Übernahme bestimmt auch Baumanns Zukunft
Trotzdem wirkt Baumann zuweilen nervös in den Tagen, als er die Übernahme ankündigt. In einem TV-Interview verhaspelt er sich ein paar Mal. Bei der Frage der Moderatorin, ob die 55 Milliarden Euro das letzte Angebot seien, stockt er zunächst kurz, bevor er dann schließlich den Preis rechtfertigt. Die große Bühne ist noch nicht Baumanns Welt. Er selbst bezeichnet sich als eher introvertiert.
Einige Tage nach dem Fernsehinterview reisen Baumann und sein Finanzvorstand Johannes Dietsch zu Roadshows nach London, Frankfurt und New York, um die Aktionäre zu überzeugen. Zu den wichtigsten Bayer-Investoren zählen große, internationale Vermögensverwalter und Finanzdienstleister wie Blackrock, Sun Life oder die Investors Capital Group. Hier scheint Baumann besser durchzudringen mit seiner Botschaft.
„Er ist stets bestens vorbereitet und verliert auch bei kritischen Fragen nicht die Contenance“, sagt Thorsten Strauß, Analyst der Nord/LB. „Es sind Auftritte von jemanden, bei dem man merkt, er rechnet im Hinterkopf immer alles in Zahlen um“, findet Ulrich Huwald von Warburg Research.
Noch im Mai lehnte aber laut einer Umfrage die Mehrheit der Bayer-Aktionäre den gebotenen Kaufpreis von 55 Milliarden Euro als zu hoch ab. Eine Prämie von 37 Prozent auf den letzten Monsanto-Aktienkurs sei zu viel, die Folgen für die Verschuldung zu riskant. Baumann präsentiert dann gerne eine Folie, die zeigt, wie Bayer bei den großen Übernahmen der vergangenen Jahre die Verschuldung schnell wieder zurückgefahren habe.
So will er die Zweifler gewinnen. Er weiß: Der Erfolg der Übernahme dürfte auch seine Zukunft beeinflussen. Baumann sieht das gelassen: „Es geht nicht um mich, es geht um Bayer. Das Angebot an Monsanto ist die richtige strategische Entscheidung für eine wertorientierte Entwicklung von Bayer.“
Unterstützung bekommt er dafür vom ehemaligen BDI-Chef Hans-Olaf Henkel, der fast zehn Jahre bis 2012 Aufsichtsrat bei Bayer war: „Wenn ein Konzern in Deutschland positive Erfahrungen bei der Integration von Unternehmen demonstriert hat, dann Bayer.“ Er habe Baumann als „sorgfältig, unaufgeregt und immer an der Sache orientiert“ erlebt. „Bei Bayer“, zieht Henkel die Parallele in die Geschichte, „wären Persönlichkeiten wie Schrempp, Middelhoff oder Piëch nie an die Spitze gekommen.“
Baumann, soll das heißen, ist kein Zocker. Wenn man mit Werner Baumann spricht und er sein Netz von Argumenten vor einem ausrollt, sagt er immer mal wieder: „Dazu kommen wir gleich noch mal.“ Es ist der Satz eines Mannes, der die Dinge durchdenkt und dann abarbeitet. Es ist kein Satz, der viel Raum für ungeplante Einwürfe lässt.