Vor den Quartalszahlen Netflix muss dringend liefern – was der angeschlagene Streaming-Dienstleister vorhat

Quelle: imago images

Netflix steckt in der Krise. Am Dienstagabend dürfte er wohl erneut verkünden, Nutzer verloren zu haben. Ein Werbedeal mit Microsoft soll die Wende bringen – und das Programmportfolio womöglich radikal verändern.

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An einem Donnerstagabend Ende Mai leuchtet das Empire State Building in New York in ungewöhnlichen Farben: Viel rot, dazwischen flackern schwarze Schatten auf, ein Wesen, das sich bewegt, Blitze, die zucken. Auf der Rooftopbar 230 Fifth direkt gegenüber halten die Besucher ihre Smartphones in die Luft, um das Spektakel zu filmen. Aus den Boxen dröhnt 80er-Jahre-Musik – und vermittelt das Gefühl der Zeit, in der die Netflix-Erfolgsserie „Stranger Things“ spielt.

Die Lichtshow auf dem zweithöchsten Gebäude und Wahrzeichen von New York ist nicht das einzige Marketingevent, für das Netflix zum Start der vierten Staffel der Erfolgsserie blecht: An einem Strand in Sydney klafft ein rotes Loch mit schwarzen Tentakeln – der Übergang in die Parallelwelt bei Stranger Things. Der Kuala-Lumpur-Tower in Malaysia wird ebenso angestrahlt wie ein Schloss im polnischen Krakau.

Für Netflix sind „Stranger Things“ und die Marketinganstrengungen ein Erfolg: Allein am ersten Wochenende nach Erscheinen der ersten sieben Folgen der vierten Staffel wurden die knapp 287 Millionen Stunden gestreamt – das stärkste US-Premierenwochenende für Netflix überhaupt.

Netflix beleuchtet das Empire State Building in New York als Marketing für die neue Staffel der Erfolgsserie

Doch der Erfolg der Science-Fiction-Mysteryserie, in der sich unter der fiktiven US-Kleinstadt Hawkins eine Parallelwelt voller Monster öffnet, kann über den schlechten Stand von Netflix nicht hinwegspielen: Im ersten Quartal 2022 verlor der Streaminganbieter das erste Mal seit zehn Jahren Abokunden, 200.000 an der Zahl. Tesla-Chef Elon Musk kritisierte Netflix darüber hinaus als „unschaubar“.

Die Zahlen für das zweite Quartal, die Netflix an diesem Dienstagabend nach Börsenschluss vorlegen wird, werden von Analysten als schwach erwartet. Der Streaminganbieter kündigte selbst schon an, dass voraussichtlich weitere zwei Millionen Abonnenten abspringen dürften. Retten will sich Netflix jetzt mit Werbung – und holt sich dafür Microsoft ins Boot.

Werbeangebot von Netflix mit Microsoft

Vor gut einer Woche gab der Streamingkonzern bekannt, ab sofort mit Microsoft als Technologie- und Vertriebspartner zu kooperieren. Die Grundidee: Netflix ohne Werbung gibt es zwar weiterhin, für das Angebot mit Reklame zahlen Nutzer dann aber weniger. Eigentlich war Netflix-CEO Reed Hastings lange Zeit gegen Werbung, doch der Nutzerschwund und die zunehmende Konkurrenz scheinen keinen anderen Ausweg mehr offenzulassen. Zum Vergleich: Netflix verzeichnete zuletzt weltweit knapp 222 Millionen Nutzer – der Konkurrent Disney Plus, den es erst seit Ende 2019 gibt, kommt mittlerweile schon auf 138 Millionen Nutzer.

Laut Medienberichten soll Netflix vorab Google und den Eigentümer der Senderkette NBC als Partner in Betracht gezogen haben. Doch beide sind mit ihren Inhalten, bei Google etwa YouTube, direkte Konkurrenten von Netflix. Mit Microsoft kooperiert Netflix nun mit einem Partner, der kein eigenes Streamingangebot auf dem Markt hat. Im Werbegeschäft kann das Unternehmen zwar nicht mit Google oder Meta konkurrieren, aber immerhin macht die Werbung bei Microsoft mit über zehn Milliarden US-Dollar mittlerweile einen Anteil von sechs Prozent am Umsatz aus. Zudem gab der Konzern Ende vergangenen Jahres bekannt, Xandr zu kaufen, eine Werbeplattform, die vorher dem amerikanischen Telekommunikationskonzern AT&T gehörte.

Gaming auch bei Netflix?

Besonders interessant für Netflix dürften bei diesem Deal aber die 100 Millionen Gaming-Kunden sein, die in Microsofts Xbox-Universum unterwegs sind. Die könne man dann einfach mit Netflix berieseln, sagt Axel Oppermann vom IT-Marktbeobachter Avispador. Und habe damit über den Deal Zugriff auf eine besondere Zielgruppe.

Denn Netflix plant, in Zukunft verstärkt in den Gamingmarkt einzusteigen. Das Kerngeschäft, sprich das Streaming von Filmen und Serien, wird für das Unternehmen immer schwieriger: Immer mehr Konkurrenten drängen auf den Markt, viele davon günstiger als Netflix. Außerdem wird es für Netflix dadurch schwieriger, Lizenzen für beliebte Serien und Filme von anderen Produzenten zu bekommen.



Schon vor einigen Jahren begann Netflix sich mit interaktiven Filmen und Serien an den Gamingmarkt heranzutasten. Mit den „Netflix Games“ will das Unternehmen nun ein eigenes Spieleimperium aufbauen. Damit stößt der Konzern in eine Branche vor, die jährlich 200 Milliarden Dollar Umsatz macht. Damit würde Netflix hier zwar zu einer Art Konkurrent von Microsoft werden – allerdings könnten sich beide Unternehmen im Bereich des geistigen Eigentums ergänzen: Aus Netflixserien könnten etwa Xbox-Spiele entstehen. Aus Spielen, zum Beispiel vom Hersteller Activision Blizzard, den Microsoft für 70 Milliarden US-Dollar kaufen will, könnten dann Netflix-Serien werden.

IT-Experte Oppermann glaubt, dass die Partnerschaft bei der Werbung nur ein Einstiegsdeal sei, der schon jetzt für beide Seiten Mehrwerte bringe. Und eine Grundlage für weitere Geschäfte in der Zukunft – beim Cloud-Gaming oder Streaming-Games sein könnte.

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Zusammengearbeitet haben Netflix und Microsoft übrigens schon einmal: Zum Start der neuen Stranger-Things-Staffel, zu der auch das Empire State Building mit einer Lichtshow bestrahlt wurde, brachte Microsoft Konsolen im Stranger-Things-Look heraus.

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