Wagniskapital Start-ups: Warum Erfolg keine Glücksfrage ist

Quelle: imago images

Mit dem Zukunftsfonds will die Regierung mehr Wagniskapital für Start-ups mobilisieren. Doch Investoren und Industrie gehen die Vorhaben nicht weit genug.

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Es hätte auch alles anders ausgehen können. Ein Corona-Impfstoff, der nicht „Made in Germany“ ist, sondern weit weg von Mainz und Tübingen entwickelt wird. Doch Biontech und Curevac hatten „Glück“, sagte Angela Merkel (CDU) kürzlich beim Digitalgipfel der Bundesregierung: „Glück, dass sich Kapitalgeber gefunden haben“, mit denen die Unternehmen in der Anfangsphase „überleben“ konnten.

Aber ob Technologien in Deutschland wachsen, gedeihen – und wie im Fall der Impfstoffentwickler sogar Leben schützen können – darf keine Glücksfrage sein. Damit aus Ideen marktfähige Innovationen werden, braucht es einen Rahmen, kein Roulette. Und Anreize, damit Investoren Geld in junge Unternehmen stecken. So, wie die Hexal-Gründer Andreas und Thomas Strüngmann, die „nicht auf ihrem Geld sitzen geblieben sind“, wie Merkel sagt.

Rund 180 Millionen Dollar haben die Milliardäre in Biontechs Startphase investiert, Curevac erhielt rund 80 Millionen Euro von SAP-Gründer Dietmar Hopp. „Dolle Sachen“ nennt die Kanzlerin diese Wagnisse, aus denen Erfolgsgeschichten geworden sind. „Dolle Sachen“, die es in Deutschland künftig häufiger geben soll.

Denn wollen junge Techunternehmen wachsen, sind sie häufig auf Geldgeber aus dem Ausland angewiesen. In neun von zehn Fällen waren bei den großen Deals in Deutschland zwischen 2017 und 2019 ausländische Direktinvestoren mit an Bord, zeigt eine Studie der KfW Bankengruppe. Deutsche Investoren könnten nach der ersten Wachstumsphase häufig nicht mehr mithalten im Wettbewerb. „Dadurch kam es in der Vergangenheit dann leider auch häufiger zu einer Abwanderung der Unternehmen und einem Abfluss der Technologien ins Ausland“, erklärt Ulrike Hinrichs, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Bundesverbands Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BKV).

Dass es auf die Größe der Finanzierungen ankommt, hat auch die Regierung erkannt. Mit dem sogenannten „Zukunftsfonds“ will sie deshalb nun mehr Wagniskapital für Start-ups mobilisieren. Zehn Milliarden Euro sind dafür in den nächsten zehn Jahren eingeplant. Heute – und damit rund ein Jahr nach der Ankündigung – soll der Bundestag das Vorhaben im Rahmen der Haushaltsberatungen verabschieden, federführend zuständig sind das Wirtschaft- und Finanzministerium.

„Start-ups sollen nicht weggekauft werden“

Wie groß der Bedarf an Wagniskapital (Venture Capital, VC) ist, zeigt eine Studie des IT-Branchenverbands Bitkom. Nur jedes zehnte Start-up sieht demnach seiner Finanzierung ohne Sorge entgegen, hingegen überlegt fast jedes vierte Start-up, Deutschland aufgrund nicht ausreichend zur Verfügung gestellten Kapitals zu verlassen. Angaben, die auch den Wirtschaftsminister alarmieren.



„Unsere besten Start-ups sollen nicht einfach weggekauft werden, sobald sie größer und interessant werden“, sagt Peter Altmaier: „Ich habe lange für den Zukunftsfonds gekämpft, denn wir brauchen in Deutschland mehr Wagniskapital.“ Mit dem Zukunftsfonds wolle er nun das Doppelte an privaten Mitteln hebeln und „so mindestens 30 Milliarden Euro an Wagniskapital für junge, innovative Start-ups mobilisieren“. Damit dies gelingt, spreche er bereits mit Family Offices, Familienunternehmern und institutionellen Anlegern wie Versicherungen – der Wirtschaftsminister wird also quasi selbst zum Fundraiser mit einem großen Ziel vor Augen: „Ich will, dass wir hier in Deutschland eine neue Wagniskapitalkultur entwickeln.“

Gerade im Bereich Biotech ist der Aufholbedarf besonders groß, zeigt eine Studie der Unternehmensberatung EY:  90 Millionen Euro wurden 2019 hierzulande in Biotech-Start-ups investiert – in den USA ist dagegen allein ein einzelner Fonds wie Flagship Pioneering mit mehr als 30 Milliarden Dollar ausgestattet. Davon profitiert hat etwa auch der amerikanische Corona-Impfstoffhersteller Moderna.       

Kapital fließe an „einzelne Leuchttürme“

Nach wie vor „fehlt hierzulande ein in der Breite funktionierendes Kapitalökosystem. Insbesondere in den USA können Biotech-Unternehmen mit einer höheren Visibilität auf mehr Risikokapital und bessere Börsenverläufe hoffen“, beklagte Siegfried Bialojan, Leiter des deutschen Life Science Centers von EY zur Veröffentlichung des Deutschen Biotechnologie-Reports 2020. Das Kapital komme vor allem „einzelnen Leuchttürmen“ zugute. Deshalb sei es notwendig, durch bessere Rahmenbedingungen mehr Eigenkapital zu mobilisieren.

Das soll jetzt mit dem Zukunftsfonds gelingen. Fünf der zehn Milliarden fließen in bereits bestehende Programme wie den High Tech Gründerfonds, den Venture-Capital-Fonds Coparion, den Dachfonds des Europäischen Investitionsfonds (EIF) und die KfW-Tochter KfW Capital. Mit den weiteren fünf Milliarden Euro sollen neue Programme finanziert werden: Ein langfristig orientierter Deep-Tech Fonds und ein Dachfonds nach dem sogenannten Wasserfallmodell, der öffentliche und private Mittel beinhalten und zunächst eine Milliarde Euro umfassen soll.

Investieren sollen darin beispielsweise Versicherer und institutionelle Anleger wie Stiftungen. Zur Auswahl steht ihnen zwei Modelle: Die Juniortranche trägt ein höheres Ausfallrisiko bei höherer Renditeerwartung, die Seniortranche ein geringeres Ausfallrisiko bei geringerer Renditeerwartung. Starten soll der Zukunftsfonds im kommenden Sommer. Je nachdem, wie schnell private Investoren gefunden werden können.

Versicherer sind bisher zurückhaltend

Bisher hatten sich aber insbesondere die Versicherer zurückhaltend gezeigt. „Das Ausfallrisiko ist bei Start-ups in der Regel nochmals größer als bei klassischen Private-Equity-Investitionen, die Kapitalflüsse sind nicht gut planbar“, erklärt Tim Ockenga, Leiter der Abteilung Kapitalanlagen beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).

Umso mehr hofft BKV-Chefin Ulrike Hinrichs, dass die Module entsprechend attraktiv für die institutionellen Investoren gestaltet werden, denn für den Innovationsstandort Deutschland stehe viel auf dem Spiel: „Es ist illusorisch zu glauben, dass wir dank des Zukunftsfonds plötzlich auf Augenhöhe mit den USA kommen werden. Denn nicht nur dort, sondern auch in Ländern wie China gibt es eine hohe Bereitschaft, viel Wagniskapital in zukunftsfähige Technologien zu investieren“, erklärt Hinrichs. 

Damit es nicht zu einem solchen „Ausverkauf der Innovationen in Deutschland kommt, müssen wir jetzt die Basis stärken. Gelingt dies nicht, werden wir erleben, dass Deutschland als Fondstandort immer unattraktiver wird. Deshalb muss es nun zügig an die konkrete Ausgestaltung gehen.“

Den Brexit sieht sie dabei als besondere Chance. In London würden viele internationale Investoren sitzen, die nun aus der europäischen Förderung herausfielen und Interesse an einem Wechsel nach Frankfurt oder Berlin hätten. „Wenn wir hier einen funktionierenden Markt haben, ergibt sich die Chance viele Investoren für den heimischen Markt zu gewinnen. Dafür muss die Regierung dann aber auch mutig sein und darf sich nicht zu sehr im Klein-Klein und der Regulierung aufhalten.“

Die Industrie begrüßt zwar grundsätzlich die Idee des Zukunftsfonds, fürchtet aber, dass die Maßnahmen „weiterhin Unternehmen und Branchen zugutekommen, die auch in der Vergangenheit schon einen Zugang zu Venture Capital gehabt haben“, heißt es in einem am Montag veröffentlichten Papier des Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Die Bedingung, dass die KfW sich nur in Partnerschaft mit anderen Wagniskapital-Gebern an Start-ups beteiligen soll, reiche deshalb nicht aus.

Die Industrie will lieber einen Wachstumsfonds

„Mangels europäischer oder gar deutscher Fonds im produzierenden Gewerbe drohen heimische Industrieunternehmen nicht zum Zuge zu kommen – oder von nicht-europäischen Partnern erworben zu werden“, warnt der BDI, der als Alternative zum „Zukunftsfonds“ einen sogenannten „Wachstumsfonds“ vorschlägt: „Ziel muss es sein, die Expansionsfinanzierung in Deutschland sowie der EU zu stärken und die Abwanderung junger und innovativer Unternehmen zu vermeiden. Daher muss die Bundesregierung auch direkte Beteiligungen aus dem Zukunftsfonds ohne externe Partner ermöglichen.“


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Ob und wie diese Wünsche berücksichtigen werden können, zeigt sich ab Januar, wenn die Ministerien in die konkretere Ausgestaltung der Module gehen wollen. Dann jährt sich übrigens auch das Weltwirtschaftsforum in Davos, bei dem Merkel vor einem Jahr zu einer exklusiven Lunchrunde gebeten hatte. Mit Vertreter aus der Pharmaforschung und -industrie diskutierte sie damals über die Zukunft der Biotechnologie – wie bestimmend das Thema in den folgenden Monaten werden sollte, dürfte die Runde damals noch nicht geahnt haben.

Mehr zum Thema: Mit einem zehn Milliarden Euro schweren Zukunftsfonds will die Regierung Start-ups unterstützen. Doch der große Aufschlag droht zu verwässern.

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