Covid-19-Impfungen Es ist nicht nur die Verfügbarkeit: Warum die USA viel schneller impfen

US-Präsident Biden will alle erwachsenen Amerikaner bis 1. Mai impfen lassen Quelle: dpa

Joe Biden will bis Mai alle erwachsenen US-Amerikaner impfen lassen. Wie? Unser Silicon-Valley-Korrespondent Matthias Hohensee bekam in seiner kalifornischen Wahlheimat eine Impfung auch schon mal im Drogeriemarkt: Arm durch eine Luke strecken, ein Unbekannter rammt die Impfung rein, fertig. Seit Corona macht er keine Witze mehr über das Verfahren.

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Dazu muss ich ganz persönlich einräumen: Asche auf mein Haupt! Ich mokiere mich seit vielen Jahren darüber, wie in den USA (Grippe-)Schutzimpfungen verabreicht werden. In meiner kalifornischen Wahlheimat läuft das so ab: Ich gehe zu meinem lokalen Safeway-Supermarkt. Links hinten, neben den Kühltheken und schräg gegenüber vom Tierfutter- und Klopapierregal befindet sich die Apotheke. Ein fensterloser, von weißen Neonröhren erhellter Verschlag, in dem sich ein Apotheker und zwei Helfer in weißen Kitteln tummeln. Sie sind meist emsig beschäftigt, irgendwelche Pillen in gelbe Plastikbehälter abzufüllen und lassen Kunden deshalb prinzipiell erstmal fünf Minuten warten.

Nach der Bitte um eine Grippeimpfung erhalte ich ein kaum leserliches, weil schon tausendmal fotokopiertes Formular ausgehändigt, mit allerhand Fragen über Krankheiten und Allergien. Nach dem Berappen von 38 Dollar bekomme ich einen Gutschein überreicht, der mir für meine Bereitschaft zum Impfen zehn Prozent Rabatt auf meinen Lebensmitteleinkauf einräumt – Alkohol und Guthabenkarten ausgeschlossen.

Zehn Minuten später bittet der Apotheker in ein vier Quadratmeter großes Kabuff, das gleichzeitig als sein Büro dient. Nach freundlichem Smalltalk, gewöhnlich über meinen deutschen Akzent und Europa, piekst er die Spritze gekonnt in meinen rechten Oberarm. Fertig.

In diesem Jahr war das Prozedere etwas anders. Weil sein Kabuff zu eng für den Sicherheitsabstand war, wurde ich diesmal direkt auf dem Gang neben der Kühltheke mit den gefrorenen Hähnchenbrüsten verarztet. Ein gerade vorbeikommender Kunde schaute interessiert zu. Aber immerhin saß ich dabei noch auf einem Stuhl. Als nach der Jahrhundertwende die Angst vor der Vogelgrippe grassierte, holte ich mir meine Impfung in einem Drogeriemarkt in Las Vegas ab. Damals öffnet sich eine Luke, ich musste meinen Arm reinstrecken. Auf der anderen Seite rammte ein Unbekannter die Impfung in meinen Arm. Fertig.

Seit Covid mache ich keine Witze mehr über das Verfahren. Es ist nicht elegant, vor allem nicht in Sichtweite von gefrorenem Fleisch. Aber es klappt und ist schnell.

Sicher, in Amerika läuft vieles schief. Die hohe Zahl der Covid-Toten ist tragisch, viele Krankenhäuser überlastet, etliche Regionen unterversorgt. Aber wenn Impfstoff da ist, dann wird er schnell verimpft – in Stadien, Turnhallen, Rathäusern oder auf gigantischen Parkplätzen: Einfach mit dem Auto vorfahren, Seitenscheibe runter und Arm hinstrecken. Oder demnächst mit dem weniger kühlaufwändigen Johnson&Johnson-Vakzin in Zehntausenden von Supermärkten, Drogerien oder selbst Großmärkten wie Costco oder Sams Club. Ob US-Präsident Joe Biden sein Versprechen halten kann, muss sich zeigen. Aber das Verimpfen in großem Stil sollte funktionieren.

Die Amerikaner sind Improvisation gewohnt. Sie müssen es, denn sonst würde in diesem riesigen Land kaum etwas laufen. Dass in Supermärkten geimpft wird, hat auch etwas mit dem schlechten und antiquierten Gesundheitssystem zu tun. Unter Obamacare ist es zwar etwas besser geworden, aber noch immer fürchten viele Amerikaner den Gang zum Arzt wegen hoher und oft unkalkulierbarer Rechnungen. Beispiel: Meine Hausärztin hat mir gerade für das Verschreiben eines Medikaments während einer zehnminütigen Videokonferenz 400 Dollar berechnet, minus 100 Dollar, wenn ich innerhalb von 14 Tagen zahle. Warum es diesmal 120 Dollar mehr als sonst waren, konnte mir niemand erklären. Wahrscheinlich weil es diesmal nicht vor Ort bezahlt wurde, sondern über einen Rechnungsdienstleister ging.

von Sonja Álvarez, Benedikt Becker, Max Haerder, Hannah Krolle

Beim Super- und Drogeriemarkt gibt es hingegen für Impfungen einen vorab genannten Preis und einen Discount-Gutschein noch dazu. Sonst würde sich hier nur wenige gegen Grippe impfen lassen.

Das deutsche Gesundheitssystem ist – wie ich in über zwanzig Jahren Leben in den USA erkennen musste – um Längen besser. Aber nur, wenn nichts Unvorhergesehenes passiert. Dann sind die Amerikaner mit ihrer erfrischenden Flexibilität im Vorteil. Sie handeln einfach und kriegen es irgendwie hin. Nicht immer toll und manchmal widersprüchlich, aber es passiert etwas.

In Deutschland wird hingegen lange über Regeln debattiert. Bevor man etwas inkorrekt machen könnte, wird es lieber nicht getan. Nun gibt es auch bei den Amerikanern Ausnahmen von der Regel, besonders wenn die vom Volk gewählten Staatsanwälte Unrecht wittern.



Das erfuhr ein Arzt in Texas, der sich über die Impfpriorität hinwegsetzte, weil sonst Impfstoff verdorben wäre und deshalb seinen Job verlor. Weil das so unerhört war, machte es weltweit Schlagzeilen. Inzwischen wurden die Vorwürfe fallengelassen.

Was sich beim Impfen beobachten lässt, gilt auch in der Wirtschaft. Unternehmen wie Google, Uber, Airbnb oder Facebook sind auch deshalb entstanden, weil ihre Gründer Regeln gebrochen oder sie nicht genau genommen haben. Mögliche Herausforderungen, so die Maxime, lassen sich später beseitigen. Notfalls mit viel Geld, siehe die Weltkorde, die Facebook bei Strafzahlungen hält. Darüber kann man sich streiten, weil es andere Probleme bereitet. Aber es geschieht etwas.

So war es auch bei den Hilfszahlungen für Covid. Auch Einzelunternehmer bekamen hier eine Art Arbeitslosengeld, nicht nur für Betriebskosten, sondern auch für den Lebensunterhalt. Bei den Stimuluszahlungen ging ein Teil der Gelder an Nichtberechtigte, darunter auch im Ausland. Die Zahlungen – immerhin 1200 Dollar pro Person – müssen nicht zurückgezahlt werden. Es wäre zu kompliziert, der Steuerzahler trägt den Fehler. Auch bei Hilfsgeldern für Unternehmen unter 50.000 Dollar ist man oft kulant. In Deutschland ist das unvorstellbar.

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Deutschland ist das Land der Dichter, Denker, Ingenieure – und Paragraphenreiter. Man verabschiedet gern im Rahmen der EU unter Federführung deutscher Beamter und Politiker hochkomplexe Regeln und wundert sich dann, dass sich viele Länder nicht daran halten, siehe Verschuldung oder Immigration.

Auch das ist ein Grund, warum es in Deutschland kein Google oder Tesla gibt. Noch schlimmer als das Nichtbefolgen von Regeln ist jedoch das Scheitern als Gründer. Beamter oder Verwaltungsangestellter zu sein, ist sicherer für die Existenz. Covid hat das nur bestätigt.

Mehr zum Thema: Das RKI muss täglich vier Stunden mehr investieren, weil nur fünf Bundesländer ihre Impfungen über das „Digitale Impfquotenmonitoring“ übermitteln.

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