Nato-Gipfel „Putin hat die Zeit auf seiner Seite“

Die Nato gerät unter Druck und Putin kann sich Zeit lassen. Quelle: REUTERS

Die Nato will in Madrid Geschlossenheit zeigen. Die unangenehme Wahrheit: Russlands Präsident Putin kann abwarten, weil er mit Energie und Weizen zwei starke Waffen jenseits des Schlachtfelds hat.

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Es ist der erste Nato-Gipfel seit dem Überfall von Russlands Präsident Wladimir Putin auf die Ukraine und eines der wichtigsten Treffen des westlichen Verteidigungsbündnisses seit seiner Gründung. Bis Donnerstag kommen in Madrid die politischen Führungskräfte von 30 Mitgliedsstaaten und zehn befreundeten Ländern zusammen, um Putins Angriff ein Signal der Entschlossenheit entgegenzusetzen.

Das Bündnis will seine Abwehrbereitschaft demonstrieren. „Die Nato verteidigt jeden Quadratzentimeter ihres Bündnisgebiets“, sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg im Vorfeld.

Nach einem Abendessen beim spanischen König am Dienstagabend beginnt am Mittwoch die inhaltliche Arbeit. Dabei wird viel von Abschreckung die Rede sein. Die Zahl der schnellen Eingreifkräfte soll auf 300.000 von derzeit 40.000 steigen. Mit ihrem neuen strategischen Konzept will die Nato beweisen, dass sie den aktuellen Herausforderungen gewachsen ist. 2019 hatte der französische Präsident Emmanuel Macron das Bündnis noch als „hirntot“ abqualifiziert.

Schneller schlau: Nato

Putin nahm vor dem Nato-Gipfel erneut die ukrainische Hauptstadt Kiew unter Beschuss und ließ eine Rakete auf ein Einkaufszentrum in der Ostukraine feuern – Russlands Präsident signalisiert so, dass er nicht nachgeben will. Vergangene Woche hatte sein Außenminister schon verbal aufgerüstet: Sergej Lawrow sprach davon, dass EU und Nato an einer Koalition arbeiteten, die Krieg gegen Russland führen wolle und scheute dabei nicht vor einem Vergleich mit Adolf Hitler zurück.

Der Westen will Russlands Aggression nicht tatenlos hinnehmen, muss aber beobachten, dass Putin im Moment gar keinen militärischen Durchbruch braucht. Putin hat andere Mittel, um den Westen unter Druck zu setzen. „Und er hat die Zeit auf seiner Seite“, sagt Bruno Lété, Sicherheitsexperte von der Denkfabrik German Marshall Fund. Der Herbst und Winter dürfte für westliche Politiker unangenehm werden. Denn Putin hat verstanden, welch machtvolle Instrumente er besitzt, um Chaos zu schüren: Energie und Weizen. Schon jetzt spürt Putin, über welchen Hebel er beim Gas verfügt, von dem Länder wie Deutschland und Österreich in hohem Maße abhängig sind.

Als Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vergangene Woche die Alarmstufe im Notfallplan Gas ausgerufen hat, bereitete er Unternehmen und Bevölkerung auf steigende Preise und Lieferausfälle vor. Je niedriger die Außentemperaturen, desto mehr Unruhe dürfte ein Lieferstopp auslösen.

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von Florian Güßgen

Indem Putin dafür sorgt, dass die Weizenernte in der Ukraine in diesem Jahr geringer ausfällt und das Land nicht verlässt, weil er Häfen blockiert, kann er sogar weltweit Hungersnöte auslösen, die wiederum Migrationswellen nach sich ziehen. Keine angenehme Aussicht für westliche Politiker. „Putin kann dagegen abwarten“, sagt Lété.

Eine Nato-Mitgliedschaft ist für die Ukraine nicht in Sicht

Hinzu kommt: Als Autokrat wird Putin hohe Truppenverluste bei einem Abnutzungskrieg in der Ostukraine hinnehmen. Bisher deutet nichts darauf hin, dass die russische Bevölkerung dagegen aufbegehrt, dass junge Männer als Kanonenfutter in die Ukraine geschickt werden.

Gleichzeitig kann der Westen der Ukraine wenig anbieten. Eine Nato-Mitgliedschaft ist nicht in Sicht, der EU-Kandidatenstatus wirkt vor diesem Hintergrund wie ein Trostpreis. Der italienische Nato-Botschafter Francesco Talò behauptete gegenüber seiner ukrainischen Kollegin Natalia Galibarenko auf einer Veranstaltung in Brüssel vergangene Woche, der Ukraine stehe „die Tür zu Nato weit offen“.

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Doch dies ist ein hohles Versprechen. Die Nato wird die Ukraine nicht aufnehmen, so lange Russland die Grenzen des Landes nicht respektiert. Bis das passiert, wird aber wohl noch viel Zeit vergehen. Nato-Insider rechnen nicht damit, dass die Ukraine im kommenden Jahrzehnt in das Bündnis aufgenommen wird.

Lesen Sie auch: Das Ende vom Anfang des Kanzlers beim G7-Gipfel

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