Weltkonjunktur Vorsicht vor zu viel Selbstzufriedenheit!

Quelle: imago images

Für den Daueroptimismus des Internationalen Währungsfonds gibt es keinen Grund – die Prognosen liegen immer wieder daneben. Warum das Wachstum schwächelt.

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Ashoka Mody ist ehemaliger Missionschef für Deutschland und Irland beim Internationalen Währungsfonds und derzeit Gastprofessor für Internationale Wirtschaftspolitik an der Woodrow Wilson School of Public and International Affairs der Princeton University.

Vor gut einem Jahr, im April 2018, verkündete der Internationale Währungsfonds eine frohe Botschaft: Die Weltwirtschaft werde 2018 und bis 2019 hinein mit über 3,9 Prozent robust wachsen. Der globale Aufschwung sei „breiter und stärker“ geworden. Heute wissen wir: Diese Prognose war zu rosig. 2018 wuchs die Weltwirtschaft lediglich um 3,6 Prozent. Für 2019 sagen die IWF-Ökonomen in einem jüngst veröffentlichten konjunkturellen Update nur noch ein Plus von 3,3 Prozent voraus. Der Fonds erklärt das unter den Erwartungen liegende Wachstum mit „temporären Faktoren“, etwa mit dem Handelskonflikt zwischen den USA und China und den Unsicherheiten im Zuge des Brexit. Die dahinterstehende Botschaft ist also, dass sich das Wachstum schnell wieder erholen könnte. Der IWF geht davon aus, dass sich 2020 weniger Länder in einer Rezession befinden werden als je zuvor in den vergangenen Jahrzehnten.

Das Problem ist nur: All die Kräfte, die den Abschwung verursachen, sind immer noch vorhanden, etwa die finanziellen Spannungen in Europa. Die Prognosen des IWF liegen auch deshalb immer wieder daneben, weil er das Gesamtbild nicht berücksichtigt. Die wirtschaftlich fortgeschrittenen Länder, die immer noch für etwa drei Fünftel der Weltproduktion stehen, haben seit etwa 1970 prinzipiell an Dynamik verloren. Und der Grund dafür, so der Ökonom Robert Gordon von der Northwestern University, ist das immer geringere Produktivitätswachstum.

Blicken wir zunächst auf China: Das Land hat viele Jahre eine dominante Rolle als Taktgeber für das globale Wachstumstempos gespielt. Neben ihrer Größe verfügt die chinesische Wirtschaft über umfangreiche Handelsbeziehungen, die ihr Wachstum auf den Rest der Welt „übertragen“. Wenn China wächst, saugt es Importe aus anderen Ländern auf und gibt der Weltwirtschaft einen Schub. Aber Chinas ehemals hohe Wachstumsraten sinken nun, was kein Wunder ist. Im historischen Vergleich sollte eine reiche Wirtschaft wie China heute zwischen drei und fünf Prozent pro Jahr wachsen und nicht sechs Prozent oder mehr, die es die chinesischen Behörden durch Steuer- und Kreditanreize zu erreichen versuchen.

Gemessen an den üblichen Parametern des Kreditwachstums und der Vermögenspreisinflation müsste China inzwischen eigentlich eine Finanzkrise erlebt haben. Die chinesischen Behörden haben daher Yin und Yang gespielt und das Wachstum stimuliert, um eine schnelle Verlangsamung zu verhindern. 2017 etwa verbreiteten sich die chinesischen Impulse in der ganzen Welt und führten zu einer Art „Synchronaufschwung“. Der größte Nutznießer war Europa, das stark vom Handel abhängig ist. Als China Anfang 2018 konjunkturpolitisch auf die Bremse trat, prognostizierten IWF, Europäische Zentralbank und andere Experten blauäugig weiterhin hohe Wachstumsraten, obwohl sich die Weltwirtschaft rasch abschwächte.

In den vergangenen Monaten haben Chinas Spitzenpolitiker zwar eine neue Runde von Konjunkturprogrammen eingeleitet. Für die Weltwirtschaft jedoch muss das nicht zwangsläufig Gutes bedeuten. Die OECD warnt, dass die jüngsten Impulse die besorgniserregend hohe Unternehmensverschuldung weiter erhöhen und dass lokale Regierungen noch mehr Kredite aufnehmen werden, um verschwenderische Infrastrukturen zu finanzieren. Bei der Wahl zwischen Finanzkrise und langsamerem Wachstum dürfte Peking am Ende das langsamere Wachstum bevorzugen – was auch das globale Wachstum dämpfen wird. Im Moment ist kein anderes Land in der Lage, in der Weltwirtschaft den Platz Chinas einzunehmen.

Auch nicht die USA. Deren Wirtschaft fällt gerade in ein „Zuckerloch“, weil die Wirkungen der Steuerreform und der massiven Rückführung von Unternehmensgeldern aus Übersee langsam auslaufen. Selbst die deutsche Wirtschaft könnte von ihrem hohen Sockel gestoßen werden, wenn die gerühmte, auf Dieselmotoren basierende Automobilindustrie kämpfen muss, die Umweltnormen zu erfüllen und den Anteil der Elektroautos zu erhöhen. Die Wachstumsverlangsamung in Deutschlands 2019 könnte mehr sein als nur ein Reflex auf das geringeres Wachstumstempo im Welthandel.

Ein großes Risiko geht zudem von Italien aus. Bei einem Blick auf die Krisenindikatoren wird schnell klar: in Italien blinken alle rot. Die Wirtschaft hat kein oder möglicherweise sogar ein negatives Produktivitätswachstum. Das macht es unmöglich, interne Impulse zu erzeugen, um aus der Rezession herauszukommen. Die EZB fällt als Retter aus, sie hat keinen Spielraum, Hilfestellung zu leisten. Die Schuldenquote Italiens liegt bei über 130 Prozent, und die absurden Haushaltsregeln der Europäischen Union machen es fast unmöglich, steuerliche Anreize zu setzen. Erschütterungen entlang der italienischen Sollbruchstelle aber werden sich schnell auf Frankreich ausweiten, das nur geringfügig bessere Indikatoren vorweisen kann – und auch politisch wenig Spielraum für wirksame Reaktionen im Falle eines schweren Abschwungs hat.

Der IWF ist trotzdem unwillig, der jüngsten positiven Stimmung entgegenzuwirken. Ökonomische Selbstzufriedenheit aber könnte uns am Ende teuer zu stehen kommen.

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