Analyse der Landtagswahl Was Sie über das Beben in Hessen wissen müssen

Andrea Nahles (SPD) Quelle: dpa

CDU und SPD sind die großen Verlierer der Landtagswahl in Hessen, die Grünen die klaren Gewinner. Die FDP schlägt sich solide. Was aber bedeutet das Ergebnis wirklich? Die fünf wichtigsten Erkenntnisse.

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Erst Bayern, jetzt Hessen: Binnen zwei Wochen haben die Bürger in zwei großen Bundesländern gewählt. Aus den Ergebnissen lassen sich fünf Schlussfolgerungen ziehen, die jeder wirtschaftlich Interessierte kennen sollte. 

Union und SPD sind nur noch Ex-Volksparteien. CDU und SPD kommen in Hessen gemeinsam auf weit weniger als 50 Prozent. Dass es der CDU bei ihrem Absturz besser ergeht als den Sozialdemokraten, liegt auch am „Besser als erwartet“-Effekt. Wie die CSU in Bayern erzielte die CDU nun in Hessen ein Ergebnis, das leicht über den schlechtesten Umfragewerten liegt. Deshalb wirkt die Katastrophe weniger katastrophal. 

Die Realität ist allerdings bitter: Die CDU hat in Hessen das mieseste Ergebnis seit mindestens einem halben Jahrhundert eingefahren. Für die SPD wäre dieser Negativrekord sogar eine gute Nachricht: Die Partei schnitt noch nie so schlecht bei einer Landtagswahl in Hessen ab.

Weil es den Bundestrend bestätigt, bedeutet das regionale Ergebnis für die Große Koalition in Berlin nichts Gutes – und damit auch nicht für Kanzlerin Angela Merkel und das SPD-Spitzenduo Andrea Nahles und Olaf Scholz. 

Entweder schaffen es Union und SPD auf Bundesebene, das Erscheinungsbild der Koalition deutlich zu verbessern, oder diese Regierung ist im kommenden Jahr Geschichte. Dann würde es wohl Neuwahlen geben – und auch neue Spitzenkandidaten. 

Die Grünen sind die Partei der Stunde. Sie profitieren nicht nur davon, mit den beiden Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck das derzeit interessanteste Personal anzubieten. Beide repräsentieren zumindest bislang auch einen neuen Typus Spitzenpolitiker: Sie agieren weniger ritualisiert, gestehen auch einmal ein, etwas nicht zu wissen oder noch keine endgültige Antwort zu haben. Das wirkt auf viele Menschen glaubwürdiger als die routinierten Sprüche vieler anderer Politiker. 

Inhaltlich sind die inzwischen äußerst pragmatischen Grünen längst kein Wählerschreck mehr – auch nicht für Unternehmer und Investoren. Die Autoindustrie gibt es in Stuttgart noch. Den Frankfurter Flughafen ebenfalls. 

Ob der Boom der Grünen länger anhält als 2010/2011 und es die Partei langfristig auch jenseits der Großstädte schafft, so etwas wie eine neue Volkspartei zu werden, wird sich zeigen. Für eine seriöse Prognose ist es noch zu früh. 

Die FDP leidet noch immer unter dem Trauma des Jamaika-Scheiterns. Wie vor zwei Wochen in Bayern schnitten die Liberalen jetzt solide ab, aber alles andere als berauschend. Das Ergebnis der Partei liegt im langfristigen Durchschnitt der Landtagswahlen in Hessen. Mehr nicht. 2009 kam die FDP noch auf mehr als 16 Prozent.

Das bedeutet auch: Einen Lindner-Effekt, der angesichts einer furiosen Kampagne bei der Bundestagswahl deutlich spürbar war, gibt es nicht mehr. Eigentlich müssten die Liberalen, die wie keine zweite Partei eine Reformagenda propagieren, vom desolaten Zustand der Bundesregierung profitieren. Doch die FDP leidet darunter, dass sich das Publikum bei jeder Lindner-Kritik denkt: Er hätte es ja besser machen können, hat aber gekniffen.

Das Populismus-Potential ist inzwischen substanziell. Auch die Landtagswahl in Hessen bestätigt, dass sowohl rechter als auch linker Populismus in Deutschland inzwischen beachtlichen Zulauf haben – und zwar nicht wegen, sondern trotz einer hervorragenden wirtschaftlichen Lage.

Die AfD ist nun in allen Landtagen vertreten. Dass sie genauso schnell wieder verschwinden wird, wie sie gekommen ist, darf als unwahrscheinlich gelten. Für die nächste Rezession ist die Empfänglichkeit der von Verlustängsten geprägten Wähler für populistische Parolen nicht das beste politische Vorzeichen. 

Regieren wird deutlich schwieriger. Noch ist das Parteiensystem in Deutschland nicht so zersplittert wie in den Niederlanden, wo mehr als ein Dutzend Parteien im nationalen Parlament sitzen. Allerdings spricht einiges dafür, dass niederländische Verhältnisse inzwischen realistischer sind als eine Rückkehr in die Zeiten der guten alten Bundesrepublik mit klaren Mehrheiten.

Zweierbündnisse – wie die Wunschkoalition vieler Wirtschaftsvertreter aus Union und FDP – sind derzeit eine Illusion.

Nun braucht es häufiger Dreierbündnisse, bald vielleicht schon Koalitionen aus vier Parteien. Das führt nicht zum Untergang des Abendlandes, denn auch Vielparteienkoalition können regieren. Doch je kleiner die Partner sind, desto mehr vertreten sie Partikularinteressen.

Das kann noch zu bösen Überraschungen führen – etwa für Unternehmen.

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