Gesundheitsminister unter Druck Drei Gründe, warum Spahn der neue Altmaier ist

Seite 2/2

Kein Kronprinz mehr

In Schulen und Kitas fühlen sich Lehrkräfte und Erzieherinnen allein gelassen angesichts der angelaufenen Öffnungen, auch Lockerungen für Wirtschaft, Handel, Gastronomie und Gesellschaft könnten deutlich schneller greifen mit einer solchen Strategie. Aber statt die „nationale Teststrategie“ fertig ausgearbeitet aus der Schublade zu holen, mit Millionen Tests auf Lager und geplanter Infrastruktur, soll sie nun bis April „schrittweise“ umgesetzt werden – der „Logistikweltmeister“ lernt noch das Dribbeln, statt im Finale zu glänzen.  

„Mindestens einmal pro Woche“ sollen sich alle asymptomatischen Bürgerinnen und Bürgern kostenlos mit einem Schnelltest auf das Coronavirus testen lassen können, lautet das Versprechen von Bund und Ländern. Monatlich bis zu 150 Millionen Tests sollen dafür verteilt werden an Testzentren von Kommunen und Privaten, an Hausärzte und an Apotheken. Die Kosten für die Tests will der Bund ab Montag übernehmen.

Derzeit habe der Bund mindestens 50 Millionen Schnelltests pro Monat abgesichert, sagte Spahn am Freitag – was bei 83 Millionen Bürgern also noch keineswegs reicht für „mindestens“ ein Testangebot pro Woche. 

Wie viel schneller die Wirtschaft ist, zeigen die Händler: Aldi Nord und Aldi Süd bieten ab Samstag Corona-Selbsttests an zum Preis von 25 Euro, zunächst ist die Abgabe begrenzt auf einen Test pro Person, zu den Liefermengen wollen sich die Unternehmen nicht äußern. Doch offenbar wird mit einer großen Nachfrage gerechnet. Denn auch Discounter Lidl und die Supermärkte von Rewe und Edeka erwägen einen Verkauf, die Drogeriemarktketten Rossmann und DM wollen die Tests ab Dienstag anbieten, ebenso die Apotheken.



Angesichts dieses Tempos, so wird im Netz gescherzt, sollte man Discountern und Drogerien vielleicht auch das Impfen überlassen. Da passt es leider nur zu gut, dass ein für den heutigen Freitag geplantes Test-Spitzentreffen der Bundesregierung mit der Wirtschaft abgesagt wurde. „Mit Blick auf eine freiwillige Ausdehnung der Testangebote auch in Unternehmen für ihre Belegschaften sind derzeit noch entscheidende Fragen an die Bundesregierung offen“, ließ der Bundesverband der Deutschen Industrie verlauten. Wäre ja auch zu schön gewesen.

3. Eine Lebensversicherung namens Laschet

Und doch: Ob Spahn sich angesichts seines neuen Tiefs wirklich bereits am Ende seiner politischen Karriere befindet, muss aus mehreren Gründen bezweifelt werden. Zum einen ist kaum davon auszugehen, dass eine Kämpfernatur wie Spahn von allein resigniert zurückzieht. Ebenso wenig gibt es Anzeichen dafür, dass die Kanzlerin ihren Minister in den kommenden Wochen noch entlassen wird. 

Merkel hält zum Ende ihrer Amtsperiode bereits einige Ressortchefs in ihrem Kabinett, die – wie etwa Bundesverkehrsminister Andreaa Scheuer (CSU) - unter normalen Umständen ihr Amt wohl schon längst verloren hätten. Doch die Kanzlerin möchte inmitten der Coronakrise und zu Beginn des Bundestagswahlkampfs keine Regierungsumbildung mehr wagen – zu groß wäre die Unruhe und wohl auch das Eingeständnis des eigenen Scheiterns.

Außerdem würde mit einem solchen Schritt kein einziges Problem gelöst, sei es der Mangel an Vakzinen, der schleppende Verlauf der Impfkampagne oder die Verwirrung um die kostenlosen Selbsttests. Im Gegenteil: Ehe sich ein neuer Minister eingearbeitet hätte, würde viel zu viel Zeit verstreichen und das Chaos vielleicht noch größer werden.

Nicht zuletzt verfügt Jens Spahn in Gestalt von Armin Laschet noch über eine Art politischer Lebensversicherung - schließlich hatte er sich im Rennen um den CDU-Vorsitz mit dem NRW-Ministerpräsidenten verbündet und dafür eigene Ambitionen zurückgestellt. Sollte Laschet also als Kanzlerkandidat erfolgreich sein, würde er seinen Teampartner Spahn bei der Bildung einer neuen Regierung kaum übergehen können.

Das muss nicht zwingend auf ein weiteres Ministeramt hinauslaufen, sondern könnte auch darin bestehen, Spahn nach der Bundestagswahl zum neuen Vorsitzenden der Unionsfaktion im Bundestag zu machen. Aber einfach fallen lassen wird Laschet ihn wohl kaum können. Hinzukommt ein Kalkül, das derzeit die politischen Planungen beherrscht: Die Union hofft immer noch, dass bis zum Ende des Sommers jeder der will geimpft worden ist und dass bis dahin ein halbwegs „normales“ Leben wieder möglich sein wird.

Das interessiert WiWo-Leser heute besonders

Geldanlage Das Russland-Risiko: Diese deutschen Aktien leiden besonders unter dem Ukraine-Krieg

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine belastet die Börsen. Welche deutschen Aktien besonders betroffen sind, zeigt unsere Analyse.

Krisenversicherung Warum Anleger spätestens jetzt Gold kaufen sollten

Der Krieg in der Ukraine und die Abkopplung Russlands von der Weltwirtschaft sind extreme Inflationsbeschleuniger. Mit Gold wollen Anleger sich davor schützen – und einer neuerlichen Euro-Krise entgehen.

Flüssigerdgas Diese LNG-Aktien bieten die besten Rendite-Chancen

Mit verflüssigtem Erdgas aus den USA und Katar will die Bundesregierung die Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland mindern. Über Nacht wird das nicht klappen. Doch LNG-Aktien bieten nun gute Chancen.

 Was heute noch wichtig ist, lesen Sie hier

Wenn die Deutschen dann Anfang September aus dem Urlaub zurückkehren und die heiße Phase des Bundestagswahlkampfs beginnt, werden möglicherweise ganz andere Themen im Vordergrund stehen als Corona. Ein neuer Hitzesommer könnte die öffentliche Aufmerksamkeit verstärkt auf den Klimawandel lenken. Auch das Flüchtlingsthema könnte zurückkehren, wenn es dramatische Entwicklungen an den Stränden des Mittelmeers gibt. Noch sind das alles nur Planspiele.

Die Chancen von Jens Spahn aber, diese aktuelle Krise politisch zu überleben, stehen relativ gut. Nur die Zeiten, in denen er als der Kronprinz der CDU galt, dürften dahin sein.

Mehr zum Thema: Die verkorkste Impfkampagne müsste endlich richtig aufgesetzt werden – mithilfe von Verhaltensökonomen, privaten Profis und Großkonzernen. Eine Anleitung in fünf Schritten.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%