Gesundheitsminister unter Druck Drei Gründe, warum Spahn der neue Altmaier ist

 Jens Spahn (CDU, r-l), Bundesminister für Gesundheit, verlässt neben Lothar Wieler, Präsident Robert Koch-Institut (RKI), eine Pressekonferenz zu Corona-Impfungen. Quelle: dpa

Impfchaos, Testwirrwarr, Charakterfragen: Gesundheitsminister Jens Spahn droht durch sein Corona-Management ein heftiger Karriereschaden.

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Es gibt keine Charakterstudie über Jens Spahn, die ohne Hinweis auf seinen Ehrgeiz auskommt. Nun ist die Ehrgeizskala bei Menschen, die Politik als Beruf ergreifen, zwar ohnehin meist nach oben offen, aber beim heutigen CDU-Gesundheitsminister ist der Drang weiter und schneller nach oben zu kommen, eben noch einmal bemerkenswert stärker ausgeprägt als bei anderen.

Um den Jahreswechsel waberten Berichte durch die Hauptstadt, Spahn habe bei Parteifreunden seine Chancen auf eine Kanzlerkandidatur sondiert. Der konkrete Zeitpunkt – Spahn bildete da schließlich gerade ein Team mit Armin Laschet, der als CDU-Chef kandidierte – sorgte für Erstaunen bis Erzürnen, nur eines war niemand: überrascht.

Spahn wurde innerparteilich immer schon bejubelt und bewundert, von der Jungen Union etwa. Er hatte einflussreiche Förderer wie den CDU-Granden Wolfgang Schäuble. Er machte auch seine Sache als Minister am Anfang durchaus seriös und kenntnisreich. Doch wahr ist auch: der Widerstand gegen ihn wurde immer schon mit ebenso viel Leidenschaft organisiert. Einen Posten im CDU-Präsidium erkämpfte er sich. Und den Platz im Kabinett soll Angela Merkel ihm eher erzwungenermaßen zugebilligt haben als voller Freude angetragen.

Nun aber ist ein Punkt in der bisher so beeindruckenden Karriere des Jens Spahn erreicht, in dem es für ihn um alles oder nichts gehen könnte. Es drängt sich der fatale Eindruck auf, dass hier jemand mehr Zeit mit der eigenen Karriereplanung verbringt als mit dem gründlichen Management der „Jahrhundertaufgabe“ (Merkel) Corona. Sein Name fällt außerdem im Zusammenhang mit zweifelhaften Masken-Einkaufsdeals oder Spendendinner-Terminen. Zu allem Überfluss reagiert er derzeit überaus sensibel auf Mediennachforschungen, die seine Immobilienkäufe in Berlin betreffen.

Mittlerweile ballen sich um Spahn herum so viele Probleme, Fehler und Fragen, dass es nicht darum geht, ob er mal ins Kanzleramt einziehen könnte. Sondern ob er künftig überhaupt wieder als Minister in Frage kommt.

1. Impfen nach Vorschrift

Wenn er könnte, würde Jens Spahn sein Versprechen, allen Deutschen bis zum Sommer ein Impfangebot zu machen, heute wohl auf der Stelle auffressen. Kann er aber nicht mehr.

Natürlich, die Ursünde einer knausrigen und viel zu zögerlichen Impfstoff-Bestellung hat nicht Spahn zu verantworten, sondern die EU-Kommission. Wahrscheinlich hat Spahn sogar noch versucht zu helfen wo er kann, um mehr Dosen für Europa und damit Deutschland zu sichern.

Doch davon abgesehen kann der Bundesgesundheitsminister nicht so tun, als ginge ihn der desaströs langsame Start der deutschen Impfkampagne nichts an. Wo ist die nationale Kraftanstrengung, vom Bund gesteuert, die versucht, jetzt das Beste aus dem Schlamassel zu machen? Wo ist die Frau oder der Mann, der als Chef einer Sondereinheit die Impfkampagne aus einer Hand steuert und befeuert? Warum sind die Akzeptanzprobleme von AstraZeneca keine Ministerchefsache? Kurzum: Wo ist der Whatever-it-takes-Spirit des Gesundheitsministers?

Man könnte beispielsweise - im Vorgriff auf die nun im zweiten Quartal hoffentlich in Millionen eintreffenden Vakzin-Chargen -  rund um die Uhr laufende Impfzentren organisieren, den Einsatz der Bundeswehr noch viel mehr forcieren, Zehntausende Medizinstudenten mit Einsatzprämien zur Hilfe in Hausarztpraxen entsenden, Betriebsärzte im großen Stil aktivieren, Drive-in-Stationen für Betagte einrichten (es dürfte genug Taxifahrer, Fahrdienste und Studenten geben, die hier nur zu gerne helfen). Man könnte, müsste, sollte – und zwar wenigstens alles Menschenmögliche auf seine Machbarkeit prüfen. Man hat bloß nicht den Eindruck, dass es passiert.

Als die deutsche Asylbürokratie vor fünf Jahren zusammenzubrechen drohte, wurde kurzentschlossen Frank-Jürgen Weise ins Flüchtlingsamt BAMF beordert, um aufzuräumen – so wie er es einst bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) getan hatte (und das nur nebenbei: Die BA hat trotz historisch hoher Kurzarbeit den Corona-Belastungstest bisher anständig bestanden). Inmitten der Pandemiebekämpfung hingegen ergeben pathetische Rhetorik und achselzuckende Ist-halt-so-Politik ein – man muss es leider so sagen – zunehmend schmachvolles Bild. Dienst nach Vorschrift passt aber nicht in diese Zeit.

2. Getestet - und nicht bestanden

Was die deutsche Fußball-Nationalmannschaft nur zu gut weiß, ist dem Gesundheitsminister offensichtlich nicht bekannt: Auf Titeln sollte man sich besser nicht ausruhen.

Ohne Sorge um den Sieg äußerte sich Spahn am Freitag selbstbewusst zur neuen Teststrategie der Regierung: „Wir sind doch Logistikweltmeister“, „das wird sich schnell einspielen können.“

von Sonja Álvarez, Benedikt Becker, Max Haerder, Hannah Krolle

Von alleine aber spielt sich gar nichts ein, weder auf dem Platz – und erst recht nicht in der größten Gesundheitskrise der Republik. Spahn aber vertraut darauf, statt klar Verantwortung zu übernehmen. Das mag geschickt sein, um nicht als Schuldiger dazustehen bei einem möglichen Scheitern, gutes Krisenmanagement aber ist es nicht. 

Eine „Taskforce Testlogistik“ soll Spahn nun ausgerechnet gemeinsam mit Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) leiten, so haben es Bund und Länder am Mittwoch in ihrer Runde beschlossen. Warum erst jetzt, mehr als ein Jahr nach Beginn der Pandemie?

Kein Kronprinz mehr

In Schulen und Kitas fühlen sich Lehrkräfte und Erzieherinnen allein gelassen angesichts der angelaufenen Öffnungen, auch Lockerungen für Wirtschaft, Handel, Gastronomie und Gesellschaft könnten deutlich schneller greifen mit einer solchen Strategie. Aber statt die „nationale Teststrategie“ fertig ausgearbeitet aus der Schublade zu holen, mit Millionen Tests auf Lager und geplanter Infrastruktur, soll sie nun bis April „schrittweise“ umgesetzt werden – der „Logistikweltmeister“ lernt noch das Dribbeln, statt im Finale zu glänzen.  

„Mindestens einmal pro Woche“ sollen sich alle asymptomatischen Bürgerinnen und Bürgern kostenlos mit einem Schnelltest auf das Coronavirus testen lassen können, lautet das Versprechen von Bund und Ländern. Monatlich bis zu 150 Millionen Tests sollen dafür verteilt werden an Testzentren von Kommunen und Privaten, an Hausärzte und an Apotheken. Die Kosten für die Tests will der Bund ab Montag übernehmen.

Derzeit habe der Bund mindestens 50 Millionen Schnelltests pro Monat abgesichert, sagte Spahn am Freitag – was bei 83 Millionen Bürgern also noch keineswegs reicht für „mindestens“ ein Testangebot pro Woche. 

Wie viel schneller die Wirtschaft ist, zeigen die Händler: Aldi Nord und Aldi Süd bieten ab Samstag Corona-Selbsttests an zum Preis von 25 Euro, zunächst ist die Abgabe begrenzt auf einen Test pro Person, zu den Liefermengen wollen sich die Unternehmen nicht äußern. Doch offenbar wird mit einer großen Nachfrage gerechnet. Denn auch Discounter Lidl und die Supermärkte von Rewe und Edeka erwägen einen Verkauf, die Drogeriemarktketten Rossmann und DM wollen die Tests ab Dienstag anbieten, ebenso die Apotheken.



Angesichts dieses Tempos, so wird im Netz gescherzt, sollte man Discountern und Drogerien vielleicht auch das Impfen überlassen. Da passt es leider nur zu gut, dass ein für den heutigen Freitag geplantes Test-Spitzentreffen der Bundesregierung mit der Wirtschaft abgesagt wurde. „Mit Blick auf eine freiwillige Ausdehnung der Testangebote auch in Unternehmen für ihre Belegschaften sind derzeit noch entscheidende Fragen an die Bundesregierung offen“, ließ der Bundesverband der Deutschen Industrie verlauten. Wäre ja auch zu schön gewesen.

3. Eine Lebensversicherung namens Laschet

Und doch: Ob Spahn sich angesichts seines neuen Tiefs wirklich bereits am Ende seiner politischen Karriere befindet, muss aus mehreren Gründen bezweifelt werden. Zum einen ist kaum davon auszugehen, dass eine Kämpfernatur wie Spahn von allein resigniert zurückzieht. Ebenso wenig gibt es Anzeichen dafür, dass die Kanzlerin ihren Minister in den kommenden Wochen noch entlassen wird. 

Merkel hält zum Ende ihrer Amtsperiode bereits einige Ressortchefs in ihrem Kabinett, die – wie etwa Bundesverkehrsminister Andreaa Scheuer (CSU) - unter normalen Umständen ihr Amt wohl schon längst verloren hätten. Doch die Kanzlerin möchte inmitten der Coronakrise und zu Beginn des Bundestagswahlkampfs keine Regierungsumbildung mehr wagen – zu groß wäre die Unruhe und wohl auch das Eingeständnis des eigenen Scheiterns.

Außerdem würde mit einem solchen Schritt kein einziges Problem gelöst, sei es der Mangel an Vakzinen, der schleppende Verlauf der Impfkampagne oder die Verwirrung um die kostenlosen Selbsttests. Im Gegenteil: Ehe sich ein neuer Minister eingearbeitet hätte, würde viel zu viel Zeit verstreichen und das Chaos vielleicht noch größer werden.

Nicht zuletzt verfügt Jens Spahn in Gestalt von Armin Laschet noch über eine Art politischer Lebensversicherung - schließlich hatte er sich im Rennen um den CDU-Vorsitz mit dem NRW-Ministerpräsidenten verbündet und dafür eigene Ambitionen zurückgestellt. Sollte Laschet also als Kanzlerkandidat erfolgreich sein, würde er seinen Teampartner Spahn bei der Bildung einer neuen Regierung kaum übergehen können.

Das muss nicht zwingend auf ein weiteres Ministeramt hinauslaufen, sondern könnte auch darin bestehen, Spahn nach der Bundestagswahl zum neuen Vorsitzenden der Unionsfaktion im Bundestag zu machen. Aber einfach fallen lassen wird Laschet ihn wohl kaum können. Hinzukommt ein Kalkül, das derzeit die politischen Planungen beherrscht: Die Union hofft immer noch, dass bis zum Ende des Sommers jeder der will geimpft worden ist und dass bis dahin ein halbwegs „normales“ Leben wieder möglich sein wird.

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Wenn die Deutschen dann Anfang September aus dem Urlaub zurückkehren und die heiße Phase des Bundestagswahlkampfs beginnt, werden möglicherweise ganz andere Themen im Vordergrund stehen als Corona. Ein neuer Hitzesommer könnte die öffentliche Aufmerksamkeit verstärkt auf den Klimawandel lenken. Auch das Flüchtlingsthema könnte zurückkehren, wenn es dramatische Entwicklungen an den Stränden des Mittelmeers gibt. Noch sind das alles nur Planspiele.

Die Chancen von Jens Spahn aber, diese aktuelle Krise politisch zu überleben, stehen relativ gut. Nur die Zeiten, in denen er als der Kronprinz der CDU galt, dürften dahin sein.

Mehr zum Thema: Die verkorkste Impfkampagne müsste endlich richtig aufgesetzt werden – mithilfe von Verhaltensökonomen, privaten Profis und Großkonzernen. Eine Anleitung in fünf Schritten.

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