Görlachs Gedanken

Was Sigmar Gabriel vom "demokratischen Sozialisten" Bernie Sanders lernen kann

In den US-Vorwahlen bringt ein alter Mann, Bernie Sanders, Favoritin Hillary Clinton mit linker Begeisterung in Bedrängnis. Das könnte auch SPD-Chef Sigmar Gabriel gegen Kanzlerin Merkel gelingen – wenn er endlich auf die digitale Zukunft setzt.

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Sigmar Gabriel Quelle: dpa

Feel the Bern! US-Demokrat Bernie Sanders ist 74 Jahre alt, aber bei den Vorwahlen in Iowa lag er nahezu gleichauf mit Hillary Clinton, heute könnte er sie in New Hampshire sogar besiegen. Das gelingt Sanders vor allem, weil er junge Wähler mit linken Visionen begeistert – etwa seinem Feldzug gegen Hedge Fonds, gegen Banken, gegen das große Geld und seinen Einfluss auf die Politik in Washington.

Dabei nutzt der linke Senator eine Rhetorik, die in einer ähnlichen Schärfe in der bundesdeutschen Sozialdemokratie einmal vom ehemaligen Parteichef Franz Müntefering formuliert wurde, als dieser so gut wie alle Finanzinvestoren als "Heuschrecken" brandmarkte. Könnten deutsche Sozialdemokraten heute genauso markig auftreten? Kann der aktuelle SPD-Boss (und mutmaßliche Kanzlerkandidat) Sigmar Gabriel auf seine Partei und vielleicht sogar darüber hinaus auf die politikverdrossene Jugend des Landes einen ähnlich nachhaltigen Eindruck machen, der in Wählerstimmen mündet und ins Kanzleramt führt?

Zu wünschen wäre dies sowohl der Demokratie in Deutschland als auch der SPD als Partei. Diese dümpelt seit Jahren nahezu unverändert um die Marke von 25 Prozent der Wählerstimmen herum und kann sich somit derzeit in keiner Weise als eine parlamentarische Alternative zur regierenden Union positionieren.

Schaffen könnte Gabriel einen solchen Umbruch und Aufbruch à la Sanders. Der Ober-Sozialdemokrat entfaltet einen ganz eigenen Charme, wenn er mit jungen Menschen (Wählern) zusammensitzt. Im Herbst 2014 etwa besuchte der Vizekanzler die US-Universität Harvard und hielt dort einen eher drögen Vortrag zum Wirtschaftsstandort Deutschland. Aber danach, im Foyer des Centers for European Studies, ließ er sich in eines der roten Ledersofas plumpsen und stand über eine Stunde lang den Studierenden aus Deutschland Rede und Antwort. Er genoss das und den jungen Leuten gefiel es sichtlich auch. Siggi kann mit der Jugend und die Jugend kann mit ihm. Das hat Gabriel also schon mal mit Sanders gemein.

Leider hat er mit Sanders ebenfalls gemein, Teil des politischen Establishments zu sein. Immerhin ist Sanders seit Ewigkeiten Mitglied des US-Senats. Doch er setzt trotzdem unbeirrt auf rhetorische Attacken unbeirrt gegen "die in Washington". Könnte Gabriel, seit langem Mehrheitsbeschaffer von Kanzlerin Merkel in allen wichtigen Fragen von Griechenland bis zur Flüchtlingspolitik, ähnlich unverfroren auftreten?

Alexander Görlach ist Affiliate der Harvard University. Quelle: Lars Mensel / The European

Das Opponieren gegen eine Zentralregierung hat in einem Land der Größe der USA ein anderes Gewicht und eine andere Plausibilität, als es in der Berliner Republik je möglich wäre. Zwar gibt es in Deutschland auch den Topos vom abgehobenen Raumschiff Berlin, aber das ist wohl eher deshalb so, weil wir den Amerikanern gerne alles nachmachen.

Nur in Bayern, dem Texas Deutschlands, holt man damit tatsächlich Wählerstimmen, da es nur mit bayerischer Logik zusammen geht, dass man an der Regierung beteiligt ist, die man gerade verklagt. Im regulären und bundesweiten Wahlkampf hat in jedem Fall bislang die Forderung eines "Marsches auf Berlin" (analog: Marsch auf Washington) noch keinen Wähler begeistert.

Wie kann Sigmar Gabriel dennoch zu einem erfolgreichen deutschen Wiedergänger von Bernie Sanders werden, einem linken Visionär, der Begeisterung weckt? Dafür braucht Gabriel ein ganz eigenes linkes Thema. Anbieten würde sich die ureigene sozialdemokratische Domäne Arbeitsmarkt und Wirtschaftspolitik. In der verharrt die SPD aber auf einem Stand aus dem späten 19. Jahrhundert, wie Arbeitsministerin Andrea Nahles beinahe täglich demonstriert, indem sie immer neue kleinteilige Regulierungsvorschläge unterbreitet.


Doch Gabriel muss genau dieses Thema besetzen und die alles entscheidende Frage beantworten: Wie funktioniert digitaler Wandel - jenseits der Stimmen, die mit einer (höchst unwahrscheinlichen) Zerschlagung von Amazon oder Google alle Probleme lösen wollen?

Kanzlerin Merkel hat den digitalen Wandel nicht zu ihrem Top-Thema gemacht, für sie ist diese Frage weitgehend Neuland. Liefern die Sozialdemokraten darauf Antworten, können bei sich selber ankommen und gleichzeitig in der Zukunft. Denn sie würden Arbeitsplätze sicherer machen für Menschen vor allem in der Alterskohorte, die gerade in den USA Bernie Sanders zujubelt. So hätten die SPD – und damit Gabriel - also wirklich eine Chance zu begeistern und mehr Sozialdemokratie zu wagen. Do you feel it, Siggi?

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