Haushaltspolitik Auf Nimmerwiedersehen, schwäbische Hausfrau?

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„Auch in der schwäbischen Hauswirtschaft werden in der Not Schulden gemacht“

Denn FDP-Fraktionsvize Dürr sieht durchaus auch bei seiner Partei einen Paradigmenwechsel, allerdings nur einen kleinen. Natürlich wolle man schnellstmöglich zurück zur Schuldenbremse, so Dürr, mit einer geringen Nettokreditaufnahme könne aber auch die FDP leben. „Aber nur, wenn das Geld für Reformen verwendet wird, also etwa in bessere Bildung und digitale Infrastruktur investiert wird.“

Und so verschwindet die „schwarze Null“ auch aus dem liberalen Wortschatz. Vorerst zumindest.  

Auch das Ideal der sparsamen „schwäbischen Hausfrau“, von Merkel einst auf einer Parteitagsrede beschworen, ist nicht nur in die Jahre gekommen, sondern wirkt wie aus der Zeit gefallen. „Auch in der schwäbischen Hauswirtschaft werden in der Not Schulden gemacht“, rechtfertigt Unionsfraktionsvize Jung die „Bazooka“ von Scholz. Aber so wie die Hausfrau ihren Kindern keine Schulden hinterlasse, dürfe auch die Politik „keine Schuldenberge hinterlassen“, mahnt Jung. Das klingt gut, lässt aber die Frage offen, wie die Berge abgetragen werden sollen. „Es wird immer vergessen, dass vielleicht auch die nächste Generation eine Krise meistern muss“, sagt mahnt CSU-Landesgruppenchef Dobrindt. „Wir dürfen deshalb den künftigen Generationen nicht jeden finanziellen Spielraum nehmen“.

FDP-Fraktionsvize Dürr will die „schwäbische Hausfrau“ ebenfalls nicht für politisch tot erklären. Ein Staatshaushalt sei zwar nicht mit privater Haushaltsführung vergleichbar. Dennoch gebe es bestimmte Werte, die sich übertragen ließen, etwa den richtigen Umgang mit Ersparnissen gehe. „Wenn es mal finanziell schlecht läuft, denkt man auch nicht als erstes an die Anschaffung eines neuen Autos und finanziert das dann auch noch über die Bank, während man noch Ersparnisse hat.“
Was Dürr meint: Finanzminister Scholz verfügt auch noch über Ersparnisse, Rücklagen in Höhe von 48 Milliarden Euro, die ursprünglich für die Versorgung von Flüchtlingen vorgesehen waren. Dürr hält es für falsch, das Geld auch weiterhin nicht anzutasten und mit ins nächste Jahr zu nehmen.

Und was ist mit Europa?

Einer der früh vor steigenden Schulden warnte und deshalb auch in den eigenen Reihen unter Beschuss geriet, ist Klaus-Peter Willsch. Der hessische CDU-Abgeordnete votierte während der Eurokrise als einer der wenigen in der Unionsfraktion gegen das Rettungspaket für Griechenland. Seine Skepsis sieht er inzwischen bestätigt. „Es werden wieder Schulden gemacht, als ob es kein Morgen gäbe, das ist hochgradig gefährlich“, sagt Willsch. Schuld daran sei der Null- oder gar Negativzins – das mache die Politiker leichtsinnig. „Wenn der Staat Anleihen begeben kann und dafür sogar noch Geld bekommt, nährt das die geldpolitische Illusion, man könne sich immer weiter verschulden“, glaubt Willsch. 

Die Europäische Zentralbank erwägt, einen digitalen Euro einzuführen. Das ist ein gefährliches Unterfangen. Es öffnet der Verstaatlichung des Kreditmarktes und der totalen Überwachung der Bürger Tür und Tor.  
von Thorsten Polleit

Dabei kann der Traum vom kostenlosen Kredit schnell platzen. Wenn die Zinsen wieder steigen, und sei es auch nur auf ein oder zwei Prozent, dann „gibt es bei den Finanzministern in Europa Heulen und Zähneklappern“, sagt Willsch voraus. Seine Kritik formuliert er sehr offen. „Was die Politik zusammen mit der EZB gerade betreibt ist eine Art Schneeballsystem. Was passiert eigentlich, wenn niemand mehr außer der EZB die vielen Anleihen kauft? Was ist dann mit dem Verbot der Staatsfinanzierung durch die Notenpresse? Keiner weiß so gut wie wir Deutschen, dass das eine Währung grundlegend ruiniert“, sagt der CDU-Politiker. „Wenn die Wirtschaft nur noch auf Schulden basiert, ist die nächste Finanzkrise absehbar“.

Auch sein Fraktionskollege Linnemann verfolgt die Strategie der EZB äußerst skeptisch. „Ewig lässt sich diese massive Vermehrung der Geldmenge, der keine entsprechenden Werte gegenüberstehen, nicht fortsetzen“, sagt er. „Strukturelle Probleme lassen sich nicht mit der Druckerpresse lösen“. Noch entlade sich der Druck in den Vermögenswerten, so Linnemann. „Aber früher oder später werden auch die Verbraucherpreise steigen“.

Während Bundesfinanzminister Olaf Scholz kürzlich in Brüssel mit seinen europäischen Amtskollegen über die Umsetzung des 750-Milliardenplans gegen die Coronakrise spricht, beschleicht Alexander Dobrindt in Berlin ein merkwürdiges Gefühl. „Wir müssen mit der Verschuldung im Jahr 2022 unbedingt wieder innerhalb der Grenzen des Grundgesetzes bleiben“, sagt der CSU-Landesgruppenchef, „und es darf keine europäische Entscheidung geben, die das infrage stellt“. Allerdings ist die Dynamik in Brüssel von Berlin aus schwer zu steuern. Auch deshalb hatte die Union im Juli nur mit einer Faust in der Tasche dem schuldenfinanzierten 750-Milliardenplan zugestimmt, der auf Anregung von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron entstanden war und schließlich von Kanzlerin Merkel gebilligt wurde. Fast 90 Prozent der Gelder werden unter den Augen der EU-Kommission über einen Aufbaufonds verteilt. 390 Milliarden Euro sollen als Zuschüsse an besonders notleidende Empfängerstaaten fließen – ohne Rückzahlungspflicht. Weitere 360 Milliarden stehen als Kredite zur Verfügung.


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Was aber, wenn insbesondere Südeuropa nicht im kommenden Jahr wieder aus der Krise herausfindet? Setzt sich dann jener Kreislauf wieder in Gang, der schon während der Griechenlandkrise Europa spaltete und die Finanzmärkte zu Wetten gegen Brüssel animierte? Konnte man das kleine Griechenland noch davor bewahren, aus dem Euroverbund zu fliegen, so wird es unmöglich sein, Italien oder Spanien zu retten - dafür sind diese Länder zu groß. „Wenn die Gläubiger einmal anfangen, das Vertrauen zu verlieren, ihr Geld wieder zurückzubekommen, dann kann es sehr schnell kritisch werden“, sagt Unionsfraktionsvize Linnemann. Auch deshalb fordert er „ein Restrukturierungsverfahren für Staaten“, als eine Art Vorsorge für staatliche Überschuldung.

Mehr zum Thema: Politiker, Ökonomen und Notenbanker ignorieren alle Warnungen und pumpen Billionen ins System. Doch was kurzfristig hilft, beerdigt langfristig unsere Wirtschaftsordnung.

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