
Wenn Politiker über das Zauberwort Digitalisierung reden, beschwören sie gerne Superlative herauf. Deutschland brauche „das stärkste High-Speed-Netz der Welt“, verkündete Verkehrsminister Alexander Dobrindt kürzlich im Bundestag. Sigmar Gabriel will sich mit seinem Wirtschaftsministerium und der „Digitalen Strategie 2025“ an die „Spitze der Bewegung“ setzen. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel bemühte vergangene Woche auf einem Bildungsgipfel den Vergleich, ein Internetanschluss sei heute so normal wie der Zugang zu sauberem Wasser.
Große Verheißungen, die mit der Realität in Deutschland allerdings nur bedingt zutun haben. Das belegen gleich zwei neue Studien. Die erste ist eine Auftragsarbeit für Vodafone - erstellt von der IW Consult, einer Tochter des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln.
Deutschland schneidet hier beim Thema Digitalisierung nur mittelmäßig ab. Größter Schwachpunkt: der Breitbandausbau. Vor allem auf dem Land fehlen demnach schnelle Leitungen. Bei der Anbindung mit zukunftsfähigen Glasfaserkabeln liegen sogar Staaten wie Slowenien oder Ungarn vor der Bundesrepublik. Die zweite Studie kommt vom Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW). Ihr Resümee: Mehr als die Hälfte von 100 befragten Unternehmen ist schlecht auf die Digitalisierung vorbereitet.
Die Studie: Der Weg in die Gigabitgesellschaft
Auftraggeber der Studie ist das Vodafone Institut, das sich selbst als „Think and Do Tank“ bezeichnet, der „den Dialog zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik“ fördern will. Das Institut gehört dem Telekommunikationskonzern Vodafone an – und vertritt demensprechend dessen Interessen.
Durchgeführt wurde die Studie von der IW Consult GmbH – einem Tochterunternehmen des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln, das nach eigenen Angaben „kommerzielle Auftragsforschung und hoch spezialisierte wissenschaftliche Dienstleistungen für Unternehmen, Verbände, Ministerien, Stiftungen und öffentliche Institutionen“ anbietet.
Die Studie prognostiziert einen Anstieg des weltweiten Datenvolumens auf knapp 52.000 Gigabit pro Sekunde im Jahr 2019. Im Vergleich zu 2014 wäre das ein Anstieg von etwa 221 Prozent. Um den Anstieg des Datenvolumens stemmen zu können, ist nach Ansicht der Autoren eine „moderne und leistungsfähige Netzinfrastruktur“ notwendig.
Laut der Studie hat Deutschland in den letzten Jahren beim Breitbandausbau aufgeholt. Während 2012 für nur 48,2 Prozent aller Haushalte ein Internetzugang mit mehr als 50 Megabit pro Sekunde verfügbar war, können nun 70 Prozent der Haushalte auf solch einen Anschluss zugreifen.
Im Vergleich zu anderen Ländern liegt Deutschland aber bestenfalls im Mittelfeld. Das liegt an zwei Punkten: Zum einen sind die ländlichen Bereiche Deutschlands schlecht mit schnellem Internet versorgt. Zum anderen hängt die Bundesrepublik beim Ausbau der ultraschnellen Glasfaserleitungen weit zurück. Während Südkorea bereits jeden vierten und Japan jeden fünften Einwohner mit einem Glasfaseranschluss versorgt, kommt in Deutschland nur jeder 250. Bürger in den Genuss. Bei der durchschnittlichen Internetgeschwindigkeit liegt Deutschland weltweit auf Platz 12 – hinter Staaten wie Tschechien, Belgien oder den Niederlanden.
Nach Berechnungen der Studie, einer sogenannten Regressionsanalyse, können sich Investitionen in die Breitbandstruktur volkswirtschaftlich lohnen. Demnach könnte ein Zuwachs der Glasfaseranschlüsse um ein Prozent ein BIP-Wachstum von 0,02 bis 0,04 Prozent auslösen - das wären 600 Millionen bis 1,2 Milliarden Euro. Solche Berechnungen hängen jedoch von vielen Annahmen ab.
Auf Basis einer Patentanalyse untersuchen die Autoren, welche digitalen Geschäftsfelder sich in Deutschland besonders dynamisch entwickeln. Dazu gehören der 3D-Druck, bildgebende Verfahren in der Medizin, die Holografie und die Robotik.
Insgesamt identifizieren die Autoren für den Zeitraum 2006 bis 2015 weltweit 470.000 Patentfamilien in den Schlüsseltechnologien der Digitalisierung.
Die zwei neuen Studien kommen von einem Kommunikationsunternehmen und einem Digitalverband – allerdings ziehen die Europäische Kommission und der Nationale Normenkontrollrat ähnliche Schlüsse. Im Digitalranking der Europäischen Kommission verbesserte sich Deutschland dieses Jahr zwar um einen Platz und liegt nun auf Rang neun von 28 Mitgliedsstaaten. Doch im Bereich Breitbandausbau hinkt die Republik anderen EU-Ländern weit hinterher.
Wenn es ums digitale Regieren geht, sieht die Lage noch schlechter aus: „E-Government in Deutschland gibt es de facto nicht“, bilanzierte der Vorsitzende des Nationalen Normenkontrollrates, Johannes Ludewig im April vor dem Ausschuss Digitale Agenda im Bundestag.
Mit den dürftigen Ergebnissen von heute fliegt der deutschen Politik nun um die Ohren, was sie vor drei Jahren verpatzt hat. Denn bei den Koalitionsverhandlungen im Jahr 2013 opferten CDU/CSU und SPD die Idee eines Digitalministers – und verteilten die Zuständigkeiten lieber wie gewohnt nach Proporz. Seitdem beackern das Thema gleich drei Minister: Alexander Dobrindt (CSU) soll das Breitband-Netz ausbauen, Sigmar Gabriel (SPD) die deutsche Wirtschaft für den digitalen Wandel begeistern und Thomas de Maizière (CDU) das Netz gegen Terroristen und Hacker abschirmen. Drei Politiker, drei Ministerien, drei Parteien: Kein Wunder, dass dieses Konstrukt nur schwerfällig läuft.
Am deutlichsten wurde das beim Thema Störerhaftung. Über zwei Jahre zofften sich Union und SPD über den Zugang zu öffentlichen Netzen. Das entsprechende Telemediengesetz wurde mehrfach geändert. Erst als der Europäische Gerichtshof drohte, die Störerhaftung zu kippen und Angela Merkel ein Machtwort sprach, einigten sich Alexander Dobrindt und Sigmar Gabriel im Mai auf einen passenden Gesetzesentwurf.
Beim Thema Breitbandausbau schwelt schon der nächste Brand. Während Verkehrsminister Dobrindt das 2,7 Milliarden schwere Förderprogramm der Regierung als wegweisenden Schritt in die Gigabitgesellschaft feiert, fordert Wirtschaftsminister Gabriel in seiner „Digitalen Strategie 2025“ ein Investitionsprogramm von zehn Milliarden Euro für den Breitbandausbau auf dem Land. Indirekt kritisiert Gabriel damit nicht nur das Förderprogramm der eigenen Regierung, sondern wildert auch in Kompetenzbereichen, die eigentlich Verkehrs- und Breitbandminister Dobrindt vorbehalten sind.