Tauchsieder
Die Kanzlerin hat dem Land nichts mehr zu geben. Quelle: imago images

Aufhören. Neuwahlen. Jetzt.

Es reicht. Angela Merkel, Horst Seehofer und Andrea Nahles treiben politisch Desinteressierte in den Protest. Und politisch Interessierte zur Verzweiflung. Höchste Zeit für den Rückzug.

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Was Persönliches vorweg diesmal, ganz kurz: Ich bin gelernter Sportreporter. Von meiner Ausbildung her gehöre ich ins Feuilleton. Ich habe jahrelang Auslandsreportagen geschrieben. Bei der WirtschaftsWoche Ökonomie gelernt. Und beobachte seit nun 20 Jahren die Berliner Politik. Für vier der fünf Themen und Ressorts kann ich mich noch heute begeistern. Für die Berliner Politik nicht mehr. Es ist unerträglich geworden: Aufhören. Neuwahlen. Jetzt. 

Die Steuereinnahmen sind hoch wie nie, die große Füllhorn-Koalition von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Deutschen in dieser Woche mit Milliarden überschüttet (Energiewende, Wohnungsbau, Kita-Gesetz), aber in der jüngste Umfrage stürzen die vormaligen Volksparteien CDU (28 Prozent) und SPD (17 Prozent) ab, während die AfD (18 Prozent) zur zweitstärksten Partei aufsteigt – und das war vor der jüngsten Posse, die unsere drei Chef-Regierenden gestern aufführten: Andrea Nahles stellte fest, dass sie keinen Rückhalt mehr in der SPD hat, seit sie Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen aus dem Amt gejagt, dann aber zum Staatssekretär mitbefördert hat – und bat dann in einem erschütternd dämlichen Brief Merkel und Horst Seehofer (CSU), ihr doch bitte den SPD-Vorsitz – und ihnen allen die Macht – zu erhalten: Drei Politiker strampeln sich im Treibsand ab – und die Deutschen drehen sich weg, zu Recht. Und bevor sie sich weiter der AfD zuwenden, liebe Großkoalitionäre: Schließt den Laden jetzt bitte schnell ab!


Bundeskanzlerin Angela Merkel hat vor exakt zwei Jahren ihre Wende in der Flüchtlingspolitik vollzogen, um die Deutschen mit sich, ihrer Politik und der Republik auszusöhnen: Sie deutete ihre große humanitäre Geste („Wir schaffen das“) typisch neblig, halb aus Einsicht, halb als Akt der Güte und Gnade ihrem unwirschen Volk gegenüber zu einer situationsbedingten Maßnahme um, begleitet von Mängeln, Fehlern und Kontrollverlusten von einer Situation, die sich nicht wiederholen dürfe. 

Merkel sagte damals: „Wir müssen uns jetzt selbst übertreffen.“ Sie wolle „etwas Gutes aus dieser Zeit machen“ und habe das „absolut sichere Gefühl, dass wir aus dieser zugegeben komplizierten Phase besser herauskommen werden als wir in diese Phase hineingegangen sind“. Also entschied sie sich, zwei Monate später, sich noch einmal zur Bundeskanzlerin zu befördern. Sie habe sich täglich gefragt: „Was kann ich dem Land geben?“ Und entschieden noch einmal „meinen Dienst für Deutschland zu tun“, „meine ganze Erfahrung und das, was mir an Gaben und Talenten gegeben ist, in die Waagschale“ zu werfen.

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Heute weiß man: Deutschland kann auf Merkels Gaben, Talente und Dienste verzichten. Die Kanzlerin hat dem Land nichts mehr zu geben. Sie vermag aus der Zeit nichts Gutes zu machen. Und nur sie ganz allein hat noch das „absolut sichere Gefühl“, das Land entwickle sich zu seinem Besten. Mag sein, dass auch Merkel spürt, dass irgendwas nicht mehr stimmt in Deutschland. Aber sie vermeidet es noch immer, die Deutschen spüren zu lassen, dass sie spürt, dass irgendwas nicht stimmt in Deutschland. Sie erzeugt ein politisches Vakuum, trocknet alle Zuversicht aus - und nicht-regiert demonstrativ ein demokratiemüdes Land. 

Was Angela Merkel nicht versteht: Krisen entstehen nicht dann, wenn Realitäten sich ändern. Sondern wenn Erwartungen enttäuscht werden. Die Minimalerwartung der Deutschen an Merkel dürfte sein, dass sie in einem kerngesunden Land am „Wohlstand für alle“ arbeitet. Dass Lohneinkommen so gut wie Kapitaleinkommen steigen. Dass Digitalkonzerne anständig Steuern bezahlen. Dass die Alten anständig versorgt werden. Dass die polizeiliche Bearbeitung eines Diebstahls oder Wohnungseinbruchs wenigstens ein bisschen Aussicht auf Erfolg hat. Dass Richter nicht vor lauter Überlastung weiße Fahnen hissen. Dass die Bildungschancen einigermaßen gleich verteilt sind. Dass man von seiner Rente leben kann, wenn man 35 Jahre gearbeitet hat. Dass die Infrastruktur gut in Schuss ist. Dass das organisierte Verbrechen sich nicht auf offener Straße seiner Geschäftserfolge erfreuen kann so wie zuletzt bei der Beerdigung eines ermordeten Clanmitglieds in Berlin.

Der Abstieg der Volksparteien und die Wut „besorgter Bürger“, die verbale Enthemmung, die verbreitete Xenophobie und das ausgehöhlte Vertrauen in die Institutionen und Funktionseliten unserer Demokratie - das alles hat gewiss mit der Bankenrettung, mit der Euro- und Flüchtlingspolitik und auch mit den Echokammern der Sozialen Medien zu tun. Vor allem aber mit dem Verschwinden aller Politik unter Kanzlerin Angela Merkel - mit der systematischen Enttäuschung aller Minimalerwartungen, die man als Wähler seiner Regierung entgegenbringt. Das Vertrauen der Deutschen in „Berlin“ ist in den vergangenen 13 Jahren nicht gewachsen, sondern dramatisch gesunken. Obwohl das Land so wenig Arbeitslose zählt wie lange nicht. So viele Beschäftigte zählt wie nie zuvor. Was für ein Kunststück.

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