Technologisch fast abgehängt Deutschlands Wohlstand in ernster Gefahr

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Deutschland: Gut im Erfinden, schlecht im Kommerzialisieren

Das Erfolgsrezept des Silicon Valley ist relativ simpel: Das Hightech-Tal ist nicht nur gut darin, interessante Ideen zu entdecken, sondern diese auch zu skalieren. Zum Beispiel mit einer Menge Kapital, um sie richtig groß zu machen und sie durchzufinanzieren.

Genau daran hapert es in der Bundesrepublik, stellt Christoph Keese, Axel Springer Manager, Bestsellerautor und Deutschlands Chefaufklärer übers Silicon Valley fest, der für die Konferenz aus Berlin angereist ist. „Wir sind gut darin Sachen zu erfinden, aber nicht zu kommerzialisieren“, sagt er und erzählt den Fall eines Heidelberger Professors: Der sei an die Elite-Universität MIT gewechselt. Auch, weil er in Deutschland einfach kein Geld für seine Forschungen bekommen habe. „Wir investieren viel zu wenig, packen das Geld lieber aufs Bankkonto, wo es längst keine Zinsen mehr erwirtschaftet“, sagt Keese und fordert: „Das muss sich ändern.“ Dafür erntet er Beifall.

In den USA wurden im vergangenen Jahr 131 Milliarden Dollar in Wagniskapital gesteckt. In Deutschland waren es ungefähr 5,1 Milliarden Dollar. Im zweiten Quartal 2019 wurden in Start-ups für Künstliche Intelligenz in den USA etwa 7,4 Milliarden Dollar investiert.

Doch die Kluft ist noch viel größer. Denn die USA haben Megakonzerne wie Alphabet/Google, Apple, Amazon, IBM und Microsoft, die zusätzlich Milliarden von Dollar in die Entwicklung maschineller und künstlicher Intelligenz pumpen. Und China hat neben heimischen Gewächsen wie Alibaba, Tencent und Baidu zudem ein ambitioniertes Regierungsprogramm. Es soll das Reich der Mitte zum Weltmarktführer bei Künstlicher Intelligenz katapultieren.

Deutschland rühmt sich hingegen neben der Kreditanstalt für Wiederaufbau und dem Hightech-Gründerfond, neuerdings mit einer Agentur für sogenannte Sprunginnovation. Große Sprünge sind im Etat allerdings nicht drin. Mit 150 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt wäre es gerade mal Kreisklasse bei Silicon-Valley-Wagnisfonds.

Für den CDU-Politiker Beyer ist es zumindest ein Anfang. Der Anwalt hasst Fatalismus. „Wir müssen irgendwo anfangen“, sagt er. Tatsächlich wird Deutschland mangels Enthusiasmus privater Investoren wohl nicht umhin kommen, einen Staatsfond für Innovation aufzulegen, der Vorhaben finanziert, von denen traditionelle Wagniskapitalgeber, die im Zeitraum von maximal sieben Jahren denken, die Finger lassen. Beispielweise in der Medizin, die noch am Anfang der Digitalisierung steht.

Die Stanford-Universität liefert eine Blaupause, wie das funktionieren könnte: Sie hilft beim Kommerzialisieren von Ideen und erhält dafür eine Lizenz. Diese brachte etwa im Fall von Google Hunderte Millionen Dollar ein. Genauso könnte auch ein Staatsfond funktionieren und sich refinanzieren.

Tatsächlich gibt es auch in den USA bereits Debatten darüber, ob der Staat nicht wieder stärker in die Forschung einsteigen müsste. Ähnlich wie Deutschland vielfach noch von den Errungenschaften aus dem 19. Jahrhundert zehrt, etwa der Erfindung des Automobils, prosperierte die US-Hightechbranche lange von den Investitionen in die Apollo-Mondlandung, den Forschungsvorhaben des US-Militärs, und der Konzernforschung wie von den Bell Labs, wo der Transistor erfunden wurde. Oder Xerox Parc im Silicon Valley, wo sich Apple-Gründer Steve Jobs an modernen Benutzeroberflächen für Computer inspirieren ließ. Doch das war, bevor der Forschungs- und Entwicklungsetat beim Kult des shareholder values massakriert wurde. „Wenn die Regierung dem Privatsektor das Bezahlen von Grundlagenforschung überlassen würde, käme die meiste Wissenschaft zum Stopp“, warnt etwa Nathan Myhrvold, der ehemalige Forschungschef von Microsoft. Es ist also nicht typisch deutsch, das Engagement von Politikern oder vielmehr des Steuerzahlers einzufordern.

Aber mehr Geld für Forscher und vor allem Gründer wäre nur der erste Schritt. „Wir müssen die Einstellung ändern, Risikobewusstsein ermuntern“, fordert Autor Keese. Tatsächlich scheint Deutschland dort wieder den Rückwärtsgang einzulegen. Unternehmer hatten noch nie einen guten Ruf im Land der Dichter und Denker. Wurde ihnen früher nur Profitgier unterstellt, kommt nun noch der Vorwurf der Umweltzerstörung hinzu. Und die Krise der Autoindustrie wird von nicht wenigen mit Häme begleitet.

Die Talente, die im Publikum der „Transatlantic Sync“-Konferenz sitzen, sind nicht ohne Grund ins Silicon Valley gegangen. Und viele von ihnen, wie Andreas Zöllner, der vor zehn Jahren als Forschungsassistent nach Stanford kam und Mitgründer des Start-ups BrightCrowd ist, wollen auch noch länger im Valley bleiben. Trotz der exorbitant hohen Lebenshaltungskosten und einer zunehmend maroden Infrastruktur.

Es sind die Chancen und die persönliche Entfaltung, die das Hightech-Tal bietet. Hauptredner Bechtolsheim hat es selber vorgemacht. Er wechselte 1975 im Alter von 20 Jahren mit einem Fulbright-Stipendium von der TU München zur Carnegie-Mellon-Universität, um schließlich als Doktorand an die Stanford-Universität zu transferieren. Kalifornien gilt als überreguliert, aber „es ist immer noch einfacher, hier ein Unternehmen zu starten“, bekräftigt Bechtolsheim, der auch in einigen deutschen Start-ups investiert ist.

Vielleicht kann Künstliche Intelligenz die Frage beantworten, was Deutschland tun muss, um nicht abgehängt zu werden. Vielleicht gibt sie sogar die richtige Antwort. Aber das Problem ist, dass diese vielleicht nicht verstanden wird. Die Menschen kommen also nicht umhin, ihr Schicksal zu gestalten – da hilft auch die beste Software der Welt nichts.

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