Nach Jahren der strategischen Irrungen und Wirrungen hat BMW beim Elektroauto wieder seinen Weg gefunden. Vielleicht gerade noch rechtzeitig.
„Kompromisslos elektrisch, digital und zirkulär“ solle BMW in den nächsten Jahren werden, sagte Unternehmenschef Oliver Zipse bei der Vorstellung der Bilanz 2020. Elektroautos? Digitalisierung? Zirkulär, also recyclingfähig? Das klingt nicht neu. So ziemlich alle Autobauer proklamieren gerade mit diesen Schlagworten ihre Metamorphose zu schönen Schmetterlingen der Mobilität. Entscheidend aber ist – wir sprechen von Autos – was hinten rauskommt. Das ist im Fall von BMW zumindest ein echter Strategieschwenk. Und zwar, zu guter Letzt, in die richtige Richtung.
Das Gewürge der Münchner in Sachen Elektromobilität war zuletzt nur noch schwer erträglich, für Beobachter genauso wie für viele der 120.000 Mitarbeiter. Das lag auch daran, dass BMW mal ein echter Champion beim Elektroauto war. Vor rund zehn Jahren gestattete der Vorstand einem Team – dem „Project i“ – so kreativ und konsequent über die Zukunft des Autos nachzudenken, wie wohl keine andere Entwicklertruppe der Branche. Heraus kam 2013 der BMW i3, ein E-Auto, das technisch bis heute in manchen Bereichen Maßstäbe setzt und sich trotz seines fortgeschrittenen Alters immer noch prima verkauft. BMW war damals ganz vorn, bewundert branchenweit.
Doch weil der i3 mit seinem ungewöhnlichen Zuschnitt, seinem avantgardistischen Design und seiner teuren Karbonkarosserie etwas zu innovativ geriet und viele Kunden noch nicht bereit waren für ein Stecker-Auto, stellte sich nicht der geplante Verkaufserfolg ein. BMW verließ der Mut, die Project-i-Macher suchten das Weite und der Konzern verfiel in eine Elektro-Depression, von der er sich bis heute nicht erholt hat.
Die Münchner ließen den i3 weiterlaufen, vertrauten aber ansonsten auf eine noch jahrzehntelange Zukunft des Verbrenners. BMW entwickelte Fahrzeug-Plattformen, die für alle Antriebsarten – Verbrenner, Hybrid, Elektro, Wasserstoff – gleichermaßen geeignet sein sollten. Vermarktet wurde das Konzept als die ultimative freie Wahl für den Kunden: Von „flexiblen Plattformen“ redeten die Münchner und einem „technologieoffenen“ Ansatz. Der Jahresbericht 2019 trug den Titel: „Power of Choice“. Dabei unterschlug der Konzern die simple Wahrheit, dass eine Eierlegende-Wollmilchsau-Fahrzeugarchitektur immer nur ein Kompromiss sein kann. Den Bau kompromissloser E-Autos mit der besten Reichweite, den besten Fahreigenschaften, der besten Umweltbilanz überließ BMW damit zwangsläufig der Konkurrenz. Für den früheren Entwicklungschef Klaus Fröhlich – intern „Kolben-Klaus“ genannt – war das scheinbar kein Problem.
Andere dagegen fragten sich, was von BMW noch übrigbleiben würde, wenn die fortschrittlichsten, dynamischsten und grünsten Autos ein anderer baut. Zum Beispiel BMW-Betriebsratschef Manfred Schoch, der erst im Aufsichtsrat und dann öffentlich Alarm schlug: „Nur mit einer eigenen E-Architektur können wir die Vorteile eines Elektrofahrzeugs voll ausschöpfen“, warnte er im vergangenen Sommer. Andernfalls würden Wettbewerber BMW das Wasser abgraben. Der Zeitpunkt war gut gewählt. Damals räumte „Kolben-Klaus“ gerade sein Büro für seinen Nachfolger Frank Weber.
Seither stolpert BMW in Richtung des Unvermeidbaren: Die Umstellung auf Fahrzeugarchitekturen, die ausschließlich und damit optimal auf E-Autos ausgelegt sind. Im November sprach Zipse von Fahrzeugplattformen für Elektroautos, wollte diese aber nicht als reine E-Architekturen verstanden wissen – es gehe lediglich um einen Fokus auf Elektro, erklärte er schwammig und sprach noch mal viel über Technologieoffenheit. Konkurrent Volkswagen hatte schon fünf Jahre zuvor eine spezielle E-Auto-Plattform beschlossen. Während die Wolfsburger im Herbst dann das erste Modell auf dieser Plattform, das Kompaktauto ID.3, ins Rennen schickten, Audi mit dem Elektro-SUV e-tron gute Absatzzahlen schaffte und Porsche den technisch beeindruckenden E-Sportwagen Taycan nachschob, ging in München das Herumgeeiere weiter.
Das ist nun, so scheint es, vorbei. Denn BMW plant ab 2025 einen Neustart, wie ihn das Unternehmen selten zuvor erlebt hat. „Wir lösen uns von heutigen Architekturen“, verspricht Zipse. Statt flexibler Plattformen für alle Antriebe soll es eine „kompromisslos für elektrische Antriebe optimierte Gesamtfahrzeugarchitektur“ für E-Autos geben, mit „vollständig neu definierter IT- und Software-Architektur“, einer neu entwickelten Antriebs- und Batteriegeneration und „ein radikal neues Niveau von Nachhaltigkeit über den gesamten Lebenszyklus“. Kurzum: BMW werde, so Zipse, „das kühnste Unternehmen“ der Branche sein. Und: „Das grünste E-Auto kommt von BMW“.
Große Worte. Aber: Die Zahlen, die Zipse verkündete, lassen vermuten, dass es BMW wirklich ernst ist. Haben die Münchner bislang mit weniger als fünf Millionen verkauften reinen E-Autos im laufenden Jahrzehnt geplant, sollen es dank der neuen Strategie nun rund zehn Millionen werden. Und rechnete BMW für das Jahr 2030 bislang nur mit rund 30 Prozent reinen E-Autos am Gesamtabsatz, sollen es nun 50 Prozent werden.
Die Ausgangssituation für einen schnellen Hochlauf mit der neuen E-Auto-Generation ist für BMW gar nicht schlecht: Durch den i3 haben die Münchner Kompetenzen bei der Batterieentwicklung. Für die Batterieproduktion in Deutschland haben sie mit dem chinesischen Marktführer CATL einen starken Partner gewonnen. BMW kennt sich mit Elektromotoren aus, ist bei Digitalisierung und Software weiter als Volkswagen und gilt bei Nachhaltigkeitsthemen als führend in der Branche.
Vor fast zehn Jahren fiel bei BMW der Beschluss, den i3 zu bauen. Die Münchner profitieren noch heute davon und werden weiter davon profitieren. Bitter nur, dass das Unternehmen fünf Jahre lang brauchte, um zum Anspruch der i3-Entwickler zurückzufinden: das beste E-Auto zu bauen. Ohne diese Irrfahrt wäre BMW heute nicht in einem Bauteile-System gefangen, das nur in jahrelanger Arbeit auf neue Elektroarchitekturen gedreht werden kann.
Ohne diese Irrfahrt wäre 2025 schon heute.
Mehr zum Thema: Der ID.3 von VW ist eines der wichtigsten Autos der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Er könnte die Umstellung der Autoindustrie auf den Elektroantrieb einläuten. Kann das gelingen? Die Redaktion hat ihn getestet.