Proteste auf der IAA „Bitte schaffen Sie Diesel und Benzin ab“

Die Auto-Industrie sucht den Weg in die Mobilität der Zukunft und bekommt dafür auf der IAA nicht nur Lob, sondern auch heftigen Gegenwind von Umweltschützern. Kanzlerin Merkel stärkt der Branche derweil den Rücken.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel hat der von Umweltschützern scharf kritisierten Autoindustrie auf der Branchenmesse IAA den Rücken gestärkt. Die deutsche Automobilindustrie müsse im globalen Wettbewerb führend und stark bleiben, erklärte Merkel am Donnerstag zur Eröffnung der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt. „Das muss unser gemeinsames Ziel sein.“ Staat und Industrie müssten sehr eng kooperieren, da die Branche mit dem Umstieg auf klimafreundliche Antriebe eine Herkulesaufgabe vor sich habe. Auf die immer lauteren Proteste von Klimaschutzaktivisten gegen Autos mit Diesel- und Benzinmotoren ging Merkel nicht direkt ein, sie betonte aber: „Heute ist die Automobilindustrie eine ganz wesentliche Branche für den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes.“ Sie gebe Hunderttausenden Menschen Beschäftigung und Sicherheit.

Aktivisten der Umweltschutzorganisation Greenpeace stiegen den Autokonzernen Volkswagen und BMW während des Messerundgangs der Kanzlerin buchstäblich aufs Dach. Sie kletterten auf Dächer von ausgestellten Wagen mit Verbrennungsmotoren und hielten Schilder mit dem Slogan „Klimakiller“ zum Bild eines brennenden Autos hoch. „Bitte schaffen Sie Diesel und Benzin ab, wenn Sie das Klimapaket machen“, rief eine Aktivistin mit Blick auf den für 20. September erwarteten Klimaschutzplan der Bundesregierung. „Stoppen Sie die Klimakrise, bitte, für unsere Zukunft - denken Sie an die Kinder!“

Umweltschutzverbände haben für Samstag unter dem Slogan „Aussteigen“ zu einer Großdemonstration aufgerufen, um für einen sofortigen Stopp von Autos mit Kohlendioxid-Ausstoß Druck zu machen. Die Gruppe „Sand im Getriebe“ plant für Sonntag, den Eingang zur IAA mit Hunderten Teilnehmern körperlich blockieren, will dabei aber nach eigener Aussage friedlich bleiben. Zuletzt hatte es einige Male Vandalismus gegen Autos bei Händlern gegeben.

Vor zwei Jahren noch hatte Merkel die Eröffnung der Autoschau genutzt, um Volkswagen und Co nach Ausbruch des Dieselskandals während der IAA 2015 die Leviten zu lesen. Jetzt merkte sie nur an, dass die Diskussion um unzulässige Abschalteinrichtungen „zu einem Vertrauensverlust geführt hat mitten in einem riesigen Wandel.“ Sie zeigte Verständnis dafür, dass die Autobauer mit der Senkung des CO2-Ausstoßes von Autos bis 2030 um 40 Prozent eine „Herkulesaufgabe“ vor sich habe. Den Umbruch wolle die Bundesregierung „vernünftig“ politisch begleiten, etwa indem der Staat noch mehr beim Aufbau der Ladeinfrastruktur für Elektroautos helfen werde. Nötig sei auch ein Standard für autonomes Fahren und den Umgang mit Daten der Autofahrer.

 Nach den Protesten werden die Autos auf Sachschäden und Kratzer kontrolliert. Quelle: Annina Reimann für WirtschaftsWoche

Der Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Bernhard Mattes, forderte von der Bundesregierung, bei möglichen neuen Klimaschutzvorschriften auf die Bremse zu steigen. Die erst 2018 in der Europäischen Union beschlossenen Vorgaben dürften nicht erneut verschärft werden. Erst müsse es eine ausreichende Ladeinfrastruktur für Elektroautos geben, argumentierte Mattes. „Lassen Sie uns das, was vereinbart ist, erst einmal abarbeiten und erreichen.“

Die deutschen Autobauer zeigen auf der IAA die ersten Serienfahrzeuge einer neuen Generation von E-Autos mit größerer Reichweite - so etwa Volkswagen den ID.3, Daimler den Mercedes EQC oder Opel den Elektro-Corsa. Sie können aber allesamt von Preis und Reichweite einer Stromtankfüllung her noch kein Verbrennerauto ausstechen. Nur ein Viertel der neu vorgestellten Pkw auf der IAA seien reine Elektroautos, kritisierte Greenpeace. Die Automanager setzten sich grüne Krönchen auf, verkauften aber ungerührt weiter klimaschädliche Diesel und Benziner, erklärte Greenpeace-Verkehrsexpertin Marion Tiemann. Allein die von den drei deutschen Autokonzernen VW, Daimler und BMW weltweit produzierten Autos hätten mehr CO2 verursacht, als Deutschland in einem Jahr ausstoße.

In Streitgesprächen und Podiumsdiskussionen versucht die Industrie, ihre Kritiker davon zu überzeugen, dass sie mit ihren Plänen für viele neue E-Autos in den kommenden Jahren schon auf dem Weg zu klimafreundlicher Mobilität ist. Dazu gehört allerdings auch, dass der Strom für die Autos künftig aus erneuerbaren Energiequellen kommt. Merkel sagte, es sei fraglich, ob das Ziel von 65 Prozent grünem Strom bis 2030 angesichts des langsamen Leitungsausbaus und des Widerstands der Bevölkerung gegen Windenergie zu schaffen sei und überhaupt ausreiche.

VDA-Chef Mattes verteidigte das Auto als Vehikel individueller Freiheit. Die Industrie bekenne sich zu den Pariser Klimaschutzzielen. „Individuelle Mobilität und Klimaschutz sind kein Widerspruch“, sagte Mattes: „Das Auto hat eine beeindruckende Vergangenheit und sichert den Wohlstand der Zukunft.“ Die IAA wird unterdessen in diesem Jahr nicht nur so heftig wie nie von Protesten überzogen, sie leidet auch unter Ausstellerschwund: Die Zahl der Teilnehmerfirmen sank um 20 Prozent auf 800. Einige große Hersteller wie Toyota oder Fiat blieben ihr fern. Der Veranstalter VDA, dem die Autobauer und Zulieferer in Deutschland angehören, will das Konzept der Messe jetzt grundlegend überdenken. Wahrscheinlich war diese IAA die letzte in Frankfurt in der bisherigen Form mit vielen Hallen voller Autos und Autotechnik.

Hier protestieren Klimaschützer gegen die Auto-Industrie

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