Werbesprech
Werbung auf Fakenews-Portalen: Die Screenshots vom 03.05.2021 von den Webseiten von American Thinker, Breitbart, The Epoch Times (deutsch) und Bearing Arms (v.l.n.r.) zeigen Werbung von Cabinet, Brillen.de, Höffner (im Video) und Getty Images. Quelle: Screenshot

So werden Werbegelder in dreistelliger Millionenhöhe sinnlos verbrannt

Brand Safety ist eines der essenziellen Probleme der Internetwerbung. Es bedeutet jedoch mehr als nur Schaden von der eigenen Marke abzuwehren. Es geht um Größeres: die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen.

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Die von Michal M. Maurantonio, einem Schweizer Mediaexperten und Ad Fraud-Spezialisten und mir initiierte Kampagne #StopFundingHate schlägt hohe Wellen. Seit Mitte Februar werden namhafte deutsche Unternehmen identifiziert, die auf fragwürdigen „Hate und Fake News“-Internetseiten werben. Zu typischen Verbreitern von Falschnachrichten und Verschwörungstheorien zählen Nachrichtenseiten wie „Breitbart“ oder „The Epoch Times“, das auch in deutscher Sprache erscheint.

Über Breitbart heißt es bei Wikipedia: „Politisch wird sie rechtspopulistisch bis zur extrem rechten Alt-Right-Bewegung verortet und hat vor allem durch Falschmeldungen und der Verbreitung von Verschwörungsideologen Aufmerksamkeit erlangt.“ Und über Epoch Times: „Die deutsche Ausgabe berichtet regelmäßig kritisch über Kriminalität im Kontext von Zuwanderung. Sie gewährt einen bedeutenden Raum für xenophobe Ressentiments sowie die Positionen der Alternative für Deutschland.“ Die WirtschaftsWoche nennt Epoch Times „die Lieblingspostille der Lügenpresse-Rufer von Pegida.“ Zur Gruppe der fragwürdigen Medien zählen ebenso Websites wie American Thinker, Bearing Arms (US-Waffenlobby), The Gateway Pundit, Wayne Dupree oder Zero Hedge.

Werbung, die Schaden anrichtet

Neben der Gefahr von Werbebetrug (Ad Fraud) ist „Brand Safety“ das bestimmende Thema, wenn es um digitale Werbung geht. Werbungtreibende befürchten, dass Werbung auf fragwürdigen oder gar extremistischen Seiten dem Image ihrer Marken schaden könne. Die Aufgabe von Werbung kann ohnehin nicht sein, Schaden anzurichten.

Zusammen mit Screenshots als Nachweis ihrer Werbung auf besagten Seiten werden die Unternehmen jeweils auf Twitter angeschrieben und gebeten, ihre programmatisch ausgelieferte Display-Werbung zu überprüfen. Zur automatisierten Auslieferung von Online-Werbung auf unerwünschte Seiten kommt es, wenn sogenannte „Blacklists“ nicht sorgfältig gepflegt werden, die extremistische und rassistische Seiten ausschließen sollen. Häufig wurde festgestellt, dass Blacklists zur Weiterverarbeitung im Google Display Network zwar geliefert, von Google jedoch nicht angewendet wurden. Zudem ist es für Breitbart & Co ein Leichtes, sich durch Veränderungen an ihrer Absenderidentifizierung zu tarnen und auf diese Weise Werbeeinnahmen abzugreifen. Experten nennen dies „Dark Pooling“. Mangelnde Kompetenz auf Seiten vieler Onlineagenturen rundet das Spektrum an Ursachen ab.

Die Branchenfachpresse berichtete ebenso wie Der Spiegel“ über die Aktion. Unterstützung kam von der damaligen G+J-Chefin Julia Jäkel. Nachdem die Liste der identifizierten Kampagnen auf 60 angewachsen war und sich die Mehrzahl der Unternehmen nicht zu den Vorwürfen äußerte, schaltete man die Redaktion des Stern ein.

Unternehmen distanzieren sich erst auf Nachfrage

Erst auf Anfrage des Stern stellten Unternehmen wie Opel („selbstverständlich gegen jede Art der Ausgrenzung, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung“), Adidas („distanziert sich von unethischen und unangemessenen Inhalten“), NKL („widerspricht unserer Philosophie im extremistischen Umfeld zu werben“) oder XXLLutz („steht unseren Unternehmenswerten komplett entgegen“) ihre Werbung auf den fraglichen Seiten ein.

Ähnliches erlebten die Initiatoren in Fällen, in denen erst das CEO-Level eingeschaltet werden musste, um Gehör für das selbstverständliche Anliegen zu finden. Auf ihren Marketingetagen scheinen viele Unternehmen in Deutschland kein sonderliches Gespür für die Verschwendung und Fehlleitung ihrer Werbegelder zu besitzen. Anders sind die häufig ausbleibenden Reaktionen kaum zu interpretieren.

Inzwischen ist die Liste der entdeckten Fälle deutscher Werbungtreibender auf über 180 angewachsen. Zu den Unternehmen, die auch auf mehrfache Hinweise nicht einschritten, zählen Branchengrößen wie Fiat, HelloFresh, Ebay, Hannover Messe, Nissan, Volvo, Hawesko, Zalando, Expert, Toom, Aldiana, ADAC, Netto, Philips, Dell und Bosch.

Ministerien finanzieren Hate und Fake News

Öffentliche Aufmerksamkeit erregten Landes- und Bundesministerien, die die Mediaexperten auf Epoch Times & Co entdeckten. Denn in diesen Fällen wurden Steuergelder aufgebracht, um nicht nur auf den Plattformen zu werben, sondern diese Publisher mit Werbegeldern somit obendrein zu finanzieren.

So suchte das von der FDP geführte Ministerium für Schule und Bildung NRW auf der fremdenfeindlichen Epoch Times-Seite ausgerechnet Lehrkräfte: „Teile dein Wissen mit Schülern und bereite sie auf ihre Zukunft vor – werde Lehrkraft“. Der Vorgang führte zu einer Anfrage der SPD im NRW-Landtag. Der SPD-Landtagsabgeordnete Alexander Vogt sagte gegenüber dem WDR: „Es könne nicht sein, dass die Landesregierung mit ihrer Werbung rechte Nachrichtenportale finanziert und gleichzeitig auf solchen Seiten um Lehrkräfte wirbt“.

Auf die festgestellte Werbung des Bundeswirtschaftsministeriums erhielten die Mediaexperten als Antwort: „Das Bundeswirtschaftsministerium hat keine Anzeige auf Epoch Times gebucht.“ Hier zeigt sich einmal mehr die mangelnde Expertise und Kompetenz der ministerialen Auftraggeber: Offensichtlich wusste man nicht, dass die Werbung automatisch ausgespielt wurde – ebenso wenig, dass Seiten wie Epoch Times nicht wirksam blockiert wurden.

Des Weiteren fand sich die Impfkampagne des Gesundheitsministeriums auf Epoch Times. Ebenso Anzeigen des Freistaats Thüringen, der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und der Friedrich-Naumann-Stiftung, auf die keine dieser öffentlichen Auftraggeber bislang zu reagieren für nötig hielt.

Ignoranz richtet gewaltigen Schaden an

Den Schaden, den fehlgeleitete Onlinewerbung dieser Art verursacht, beziffern Brand-Safety-Experten weltweit auf etwa fünf Prozent des Gesamtvolumens aller programmatisch ausgelieferten Display-Anzeigen. Damit würden die beschriebenen Fälle der Missachtung von Brand-Safety-Problemen einen Schaden von 150 Millionen Euro jährlich alleine in Deutschland hinterlassen.

Werbegelder in dreistelliger Millionenhöhe werden sinnlos verbrannt, wenn sie auf Hate- und Fake-News-Seiten ausgeliefert werden und dort die falsche Zielgruppe erreichen. Darüber sollte das Marketing ebenso alarmiert sein wie CFOs und CEOs – und bemüht sein, solche Systemfehler mit aller Kraft auszumerzen. Davon kann jedoch keine Rede sein, denn bis heute reagierten mehr als zwei Drittel der angeschriebenen Unternehmen nicht auf die Hinweise.

Eine Frage gesellschaftlicher Verantwortung

Gleichzeitig entgehen den deutschen Qualitätsmedien und Premium-Onlinevermarktern jedes Jahr eben diese 150 Millionen Euro Umsatz: Werbeeinnahmen, die sie dringend benötigen, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden, freien und unabhängigen Journalismus zu finanzieren. Stattdessen landet das Geld bei Publishern, die sich zum Ziel machen, unsere Gesellschaft zu beschädigen.

Es ist somit nicht eine Frage der Werbeeffizienz, sondern vielmehr eine Frage der Haltung. Unternehmen, die von unserer Gesellschaft, Wirtschaft und unserer vielfältigen Medienlandschaft profitieren, sollten ein begründetes Interesse daran besitzen, diese zu erhalten und zu fördern, statt mit ihren Werbegeldern systemfeindliche Gruppen zu finanzieren. Für Ministerien und staatsnahe Organisationen sollte das erst recht ein absolutes No-Go sein.

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Es wird derzeit viel in Unternehmen und der gesamten Werbebranche über Haltung gesprochen. Alleine an diesem Beispiel lässt sich darlegen, dass es oftmals nur einen kleinen Schritt und mehr Sorgfalt benötigt, um Haltung tatsächlich an den Tag zu legen. Unternehmen, die ihre Onlinewerbung nicht auf Brand Safety und die Auslieferung ihrer Werbung an fragwürdige Publisher überprüfen, zählen nicht zu ihnen.

Mehr zum Thema: Haltung ist angesagt. Und ein veritables Mittel gegen steigende Markenuntreue. Doch viele Unternehmen haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Sie führen ihre Marken auf die Verliererstraße.

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