Lidl Der Discounter möchte etwas Besseres sein

Der Discountgigant Lidl will das Image des Billig-Buhmanns abschütteln und nicht nur dem Rivalen Aldi Paroli bieten, sondern auch im Revier von Supermärkten wie Rewe und Edeka wildern. Gelingt der Wandel vom Skandalkonzern zum Handelsprimus?

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Edel-Discounter Lidl erneuert sich Quelle: Marcel Stahn

Der ältere Mann im grünen Parka kennt keine Gnade. Mit einer Batterie Pepsi-Flaschen im Einkaufswagen steuert er auf die Gruppe Anzugträger zu, die sich vor dem Schokoladenregal am Eingang eines Lidl-Marktes in Essen-Kettwig aufgebaut hat. Deutschland-Chef Matthias Raimund parliert dort gerade über die Vorzüge der Schoko-Hausmarke Fin Carré, preist den Preis, rühmt den nachhaltig angebauten Kakao und geizt nicht mit jener Vokabel, die an diesem Montagmorgen im Februar in fast keinem Satz fehlen darf: Qualität.

Während Einkaufschef Christoph Pohl zustimmend nickt, unterbricht der ältere Mann die Qualitätshymne: „Wo sind denn die mexikanischen Cracker?“

Neue Backstation bei Lidl steigert Umsatz. Quelle: Andreas Chudowski für WirtschaftsWoche

Die Manager blicken ihn entgeistert an. Der Markt wurde am Wochenende neu durchgestylt. An den Wänden prangen Fotos, wie sie sonst eher die Titelseiten von Food-Magazinen zieren: Brot und Fleisch sorgsam ausgeleuchtet und auf dunklem Marmor-Untergrund drapiert. Selbst der Duft frisch gebackener Brötchen weht wie bestellt durch den Laden. Doch den älteren Mann interessiert nur das Knabberzeug.

„Sie meinen die Nachos?“, fragt Einkaufschef Pohl und zückt den Prospekt mit den aktuellen Lidl-Angeboten. „Mit Soße war das“, entgegnet der Kunde schon leicht genervt und beschwert sich noch kurz, er habe jetzt keine Zeit mehr zum Suchen.

Während der Mexiko-Fan abdreht, steuern die Lidl-Manager das Keksregal an – und skizzieren nebenher die neue Strategie für das mehr als 18 Milliarden Euro schwere Deutschland-Geschäft.

Die größten Lebensmittelhändler Deutschlands

Lidl peppt seine Läden auf

Dass sich Lidl-Manager überhaupt öffentlich äußern, ist schon eine kleine Sensation für einen Konzern, der bisher als Prototyp deutscher Geheimniskrämerei galt – knauserig, aggressiv und ähnlich transparent wie eine Tüte Milch. Doch gegenüber der WirtschaftsWoche brechen die Manager nun mit alten Tabus und zeigen erstmals, wie sich der Handelsriese in Zukunft aufstellen will.

Der Kern: Das Ladenambiente wird aufgepeppt. Statt verwinkelter Einkaufshöhlen sind große Märkte mit bis zu 1300 Quadratmetern der neue Standard. Lidl-Eigenkreationen wie das Kaffeelabel Bellarom oder die Milch- und Molkemarke Milbona will das Management künftig als ebenbürtige Alternativen zu Dallmayr, Danone und Co. präsentieren. Zugleich soll die Zahl unterschiedlicher Eigenmarken sukzessive eingedampft werden. Und das alles in besserer Qualität. Mit einer millionenschweren TV-Kampagne nebst eigens aufgesetzter Online-Plattform wird die Botschaft in den nächsten Tagen unters Volk gebracht.

Was zunächst nach Handels-Klein-Klein klingt, ist Teil einer grundlegenden Neuausrichtung des Konzerns; eines schon vor Jahren eingeleiteten Wandels, der jetzt sämtliche Unternehmensbereiche erfasst.

Als Discount 2.0 lässt sich Lidls Konzern-Upgrade umschreiben: weg vom reinen Billigheimer hin zum großzügigen Nachbarschaftsladen irgendwo zwischen Supermarkt und klassischem Discounter.

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Ausgerechnet Lidl, jener Konzern, dem seit einem Überwachungsskandal 2008 der Ruf des Mitarbeiterschinders und obersten Preis-Dumpers anhaftet, will das Image des Billig-Buhmanns abschütteln? Wie glaubhaft ist dieser Kursschwenk? Und verprellt der Händler damit nicht Stammkunden wie den Discountveteranen im grünen Parka, denen irgendwo zwischen Edeloptik und Billigpreis-Versprechen die Orientierung abhanden kommt?

Perlhuhn und Trüffelkäse

Im Markt in Essen-Kettwig postieren sich die beiden Lidl-Lenker vor dem Gemüsestand. Allein rund 350.000 Salatgurken verkauft das Unternehmen pro Tag. Allwöchentlich kaufen in jeder der deutschlandweit fast 3300 Filialen im Schnitt rund 7500 Kunden ein. Das Geschäftsjahr läuft noch ein paar Tage, „aber es zeichnet sich ab, dass Lidl in Deutschland weiter gewachsen ist“, sagt Manager Raimund. „Wir werden in Deutschland 2014/15 deutlich mehr als 18 Milliarden Euro Umsatz erzielen.“

Allerdings sei auch klar, dass „die Zeit stürmischer Flächenexpansion in Deutschland vorbei ist“, so Raimund. Zwar gebe es in einzelnen Regionen noch Potenzial für neue Filialen. Doch „das Wachstum muss jetzt vor allem aus den bestehenden Märkten kommen“. Im Klartext heißt das: Weil es nur noch wenige Lidl-freie Landstriche gibt, werden die Altfilialen weiter aufgemöbelt.

Dabei haben es die Konzern-Granden vor allem auf jene Verbraucher abgesehen, die sich bei Lidl bisher bestenfalls mit Basisprodukten wie Konserven, Reis und Zucker eindecken, für den Groß- und Genusseinkauf aber lieber den nächstgelegenen Rewe- oder Edeka-Laden ansteuern.

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