Vorstellung der neuen Modelle iPhone 12: Apples kluger 5G-Schachzug

Apple-CEO Tim Cook bei der Präsentation der neuen iPhone-Modelle. Quelle: AP

Apple hat seine ersten 5G-Mobiltelefone präsentiert. Die vier Modelle der iPhone-12-Generation überraschen und enttäuschen zugleich. Beim neuen Mobilfunkstandard sichert sich der Tech-Konzern vorausschauend ab.

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Jede Apple-Präsentation ist ein Feuerwerk der Superlative: Das Beste, das Neueste, das Großartigste. So war es auch am Dienstagmittag kalifornischer Zeit bei der Vorstellung der neuen iPhone-Generation, dem iPhone 12. Bei einigen Neuerungen, etwa der Stabilisierung der Kamera, tat Apple sogar so, als hätten seine Entwickler diese erfunden. Aber mit einem hat Apple-Chef Tim Cook nicht übertrieben: „Es ist der Beginn eines neuen Zeitalters“. Cook meint damit die Kompatibilität zu den neuen 5G-Mobilfunknetzen, die ebenfalls in allerlei Superlativen beschrieben werden, blitzschnell und mit ultraschnellen Datenraten. Aber eben nur „unter idealen Bedingungen“, wie Hans Vestberg, den Cook neben sich auf die Bühne geholt hatte, fast nebenbei feststellte. Vestberg ist Chef des US-Telekommunikationskonzerns Verizon und in Europa als ehemaliger CEO des Telekommunikationsausrüsters Ericsson bekannt. Ihm überließ es Cook, das Hohelied auf 5G zu singen. Wahrscheinlich nicht ohne Grund.

Denn 5G ist ein fragmentierter Markt, viel stärker in China vorangeschritten als etwa in Nordamerika und Europa. Auch wenn der Netzausbau in Deutschland schneller läuft als bei der Vorgängergeneration LTE, ist die Erfahrung mit 5G durchwachsen. „Ich höre von enttäuschten Konsumenten, die vereinzelt ihren 5G-Dienst wieder abbestellen, weil sich das Geld dafür nicht lohnt“, sagt Annette Zimmermann, Analystin beim Marktforschungsunternehmen Gartner. Von den sogenannten Killer-Apps, die 5G beflügeln sollen, hört sie derzeit auch wenig. „Um ganz ehrlich zu sein, liefert 5G derzeit mehr Vorteile für die Branche als für die Konsumenten“, urteilt Forrester-Analyst Thomas Husson. So etwas kann Apple, dessen iPhones wie Cook stolz betont, seit Marktstart immer die höchste Kundenzufriedenheit einheimsen, nicht gebrauchen. Ein kluger Schachzug also, für das Lob auf 5G den Chef eines der größten Telekommunikationsunternehmens der Welt auf die Bühne zu holen. Damit macht Apple deutlich, dass es nicht alles kontrollieren kann – und das Unternehmen kann bei schlechten Erfahrungen auf den Netzbetreiber verweisen. Laut eigenem Bekunden unterstützt Apple jedoch alle erdenklichen Frequenzen und hat das mit 100 Mobiltelefongesellschaften in 30 Ländern getestet.

Wird 5G für einen sogenannten Super-Upgrade-Zyklus sorgen, wie damals beim iPhone 6, als Cook sich dem Druck des Marktes beugte und größere Displays zuließ, was einen Absatzrekord bescherte?

„5G ist gegenwärtig kein Treiber für Kundennachfrage, da die Telekommunikationsfirmen dieser Welt gerade damit anfangen, ihre Netze auszubauen“, sagt Forrester-Experte Husson.

Trotzdem wird die iPhone 12 Reihe wahrscheinlich Absatzrekorde setzen, wenn die Vorbestellung ab Freitag möglich ist. Nicht nur wegen ihrer größeren OLED-Displays, dem laut Apple bis zu 50 Prozent schnelleren Prozessor als der von Wettbewerben und gefälligem Design.

Das Wichtigste an einem Smartphone ist seit vielen Jahren die Güte der Kamera. Und da hat Apple beim iPhone 12 erheblich nachgelegt.

Nicht nur bei der Hardware. Auch bei der sogenannten „computational photography“, also der mit künstlicher Intelligenz unterstützten Fotografie. Sie soll laut Apple das herausholen, was ausgewachsene Profikameras derzeit leisten und diese sogar noch übertreffen. Dafür hat Apple ein neues Standardobjektiv mit einer weit offenen Blende entwickelt, die bis zu 27 Prozent mehr Licht auf den Sensor fallen lässt, der ebenfalls vergrößert wurde. Möglich sind damit bessere Aufnahmen unter schwierigen Lichtverhältnissen, also nachts oder in dunklen Räumen. Dieser Nachtmodus war bislang den teuersten Varianten vorbehalten. Mit dem iPhone 12 ist er in allen Modellen verfügbar, um den Konkurrenten Samsung und Google Paroli zu bieten, die ihn ebenfalls in günstigen Modellen offerieren.

Zugleich haben Apples Ingenieure beim Flaggschiffmodell Pro12 Max einen sogenannten „sensor shift“ einbaut, bei dem der Sensor durch Bewegung Verwacklungen der Hand ausgleicht. Laut Apple sollen damit – ruhige Hände vorausgesetzt – bis zu zwei Sekunden Belichtung ohne Verwacklung möglich werden. Dieses Modell hat außerdem ein leistungsfähigeres Teleobjektiv verpasst bekommen.

Auch wenn Apple bei der Präsentation den Eindruck erweckte, den „sensor shift“ extra neu entwickelt zu haben, ihn gibt es seit vielen Jahren in Profikameras. Die iPhone 12 Pro-Linie erhält zudem einen LiDAR-Scanner, wie er etwas bei selbstfahrenden Autos genutzt wird. Mit ihm kann man nicht nur den Raum dreidimensional vermessen, sondern auch unter erschwerten Lichtverhältnissen die Kamera schneller fokussieren. Das Flaggschiff kann zudem Fotos im sogenannten Raw-Format aufnehmen, also den Rohdaten des Sensors, was mehr Möglichkeiten beim weiteren Bearbeiten erlaubt.

Auf dem Papier und in den Apple Werbevideos sieht das alles toll aus. Was die Kamera wirklich leistet, müssen Profitester erkunden. So wie Hubert Nguyen. Der ehemalige Ingenieur des Grafikspezialisten Nvidia und Gründer der Webseite Übergizmo prüft seit vielen Jahren Smartphone-Kameras auf Herz und Nieren. Laut seiner Meinung hat Samsung Apple bei der Bildqualität vor sechs Jahren überholt und seitdem regelmäßig abgehängt. „Das lag vor allem daran, dass Samsung hochwertigere Hardware einsetzte“, sagt Nguyen. Ähnliches gilt für Huawei, das mit Hilfe des deutschen Kameraspezialisten Leica Apples Kamera ebenfalls überrundete.

Wegen der US-Handelspolitik, die Huawei von Mikroprozessoren abschneiden will, ist das Kameraduell allerdings erstmal auf Samsung und Apple fokussiert.

Das Saubermann-Image? Passt nicht zu Apple

Die Kamera ist noch immer das beste Argument, um auf eine neue Handy-Generation umzusteigen. Vor allem bei treuen iPhone-Besitzern. Denn der Markt für Premium-Smartphones ist mittlerweile so etabliert, dass langjährige Nutzer sich auf ein Betriebssystem festgelegt haben – entweder iOS oder Android. Die Umgewöhnung fällt schwer. Die Premium-Geräte von den Markenherstellern sind mittlerweile alle so verfeinert, dass die Unterschiede immer kleiner werden und ein Abheben schwieriger. Deshalb konnte Apple auch verkraften, dass seine Kamera bislang dem Wettbewerb hinterherhinkte. Die Unterschiede waren nur für Profis interessant. Wenn sich das jetzt geändert haben sollte, dürfte dies im Umkehrschluss allerdings Samsung nicht allzu sehr schaden.

Wie schnell das Upgrade auf eine neue Generation läuft, hängt auch vom Preis ab. Ausgenommen sind hier ganz eingefleischte Apple-Fans, die fast jeden Preis fürs Top-Gerät zahlen. Aber an der Preisfront hat sich Apple zumindest etwas diszipliniert, wohl auch wegen des wachsenden Preisdrucks durch den Wettbewerb. Vielleicht auch mit Rücksicht auf die Corona Wirtschaftskrise. Das günstigste iPhone - das iPhone SE für 399 Dollar - hat Apple vor allem im Frühjahr beim Absatz geholfen. „Dadurch sind viele iPhone 6 Nutzer oder Besitzer von sogar noch älteren Modellen bewegt worden, sich ein neues zuzulegen“, hat Gartner Analystin Zimmermann beobachtet. „Das iPhone 12 ist für diejenigen interessant, die ein iPhone 8, XR oder X haben“, sagt sie.

Trotzdem: Apple bleibt sich treu, Premium nicht nur für seine Geräte zu deklarieren, sondern auch bei den Preisen zu verlangen.


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Die iPhone 12 Reihe startet bei 779 Euro, das Flaggschiff iPhone 12 Pro bei 1120 Euro. Es ist ähnlich wie beim Vorjahr beim iPhone 11, obwohl Apple die Einstiegsvariante der Pro Linie mit 128GB statt knausriger 64GB ausgelegt hat. Dafür spart Apple bei den Ohrhörern und Ladesteckern, die nun extra erworben werden müssen. Ob das statthaft ist, da die Geräte ohne Laden nicht funktionsfähig sind, werden mit Sicherheit Anwälte austesten. Ein Ladekabel liegt zumindest bei.

Man kann das vernünftig nennen, schließlich haben die meisten iPhone Nutzer bereits mindestens einen Ladestecker und kaufen sich ohnehin bessere Ohrhörer. Oder als konsequentes Erschließen von neuen Einnahmequellen auf dem Rücken der Kunden kritisieren. Für die Ankündigung war Lisa Jackson, Apples Vizepräsidentin für Umwelt, Politik und soziale Initiativen, extra auf das Solardach des Apple Hauptquartiers gestiegen. „Unsere Kunden haben bereits über 700 Millionen Ohrhörer und viele sind auf drahtlose Kopfhörer umgestiegen“, argumentiert sie. Das neue iPhone, so ergänzt Jackson, wird zudem ausschließlich wiederaufgearbeitete Magneten nutzen. Ein Beitrag von Apple, um den Gebrauch von seltenen Metallen und Erden, deren Abbau Umweltschäden verursacht, zumindest etwas einzudämmen.

Das ist löblich. Aber so richtig passt das Saubermann-Image nicht zu Apple. Das Unternehmen designt seit Jahren seine Geräte so, dass diese sich nur von Apple selbst oder vom Konzern zugelassenen Spezialisten reparieren lassen. Weil dadurch der Wettbewerb eingeschränkt ist und etwa durch verklebte Komponenten die Arbeiten aufwändiger sind, verteuert das viele Reparaturen. Im Zweifelsfall macht der Kunde dann, was Apple bevorzugt: Ein neues Gerät kaufen. Für eine absolut reine Weste müsste Apple sein Geschäftsmodell nachhaltig ändern. Es ist nicht zu erkennen, dass der Konzern das tun möchte.

Da das iPhone 12 mindestens drei Wochen verspätet ist, wird das Weihnachtsquartal von Apple diesmal wahrscheinlich verhaltener ausfallen. Es sei denn, Dienstleistungen und andere Hardware machen das wett. Wie der Lautsprecher HomePod Mini, den Cook am Dienstag ebenfalls vorstellte. Es ist eine Mini-Version des im Juni 2017 eingeführten HomePod Lautsprechers, der wegen der starken und preisgünstigeren Konkurrenz von Amazon und Google unter den Absatzerwartungen blieb. Es ist der Versuch von Apple, bei dem Markt für Lautsprecher mit digitalen Assistenten endlich aufzuholen. Dort ist der Preiswettbewerb mittlerweile vor allem durch Amazon so aggressiv, dass die Lautsprecher mittlerweile zum Schubladen- oder gar Wegwerfartikel mutieren. In jeder Weihnachtssaison gibt es neue. Auch nicht gerade ein Beitrag für die Umwelt.

Enttäuschend ist bei der neuen iPhone 12 Generation, dass die erwartete Wiederkehr des Fingerabdruckscanner nicht stattfand, sondern die automatische Identifikation weiterhin nur über Gesichtserkennung funktioniert. Beim neuen iPad Air hatte Apple den Fingerabdruckscanner elegant in die Einschalttaste integriert.

Ein weiterer Wermutstropfen: Apple blieb am Dienstag seiner Tradition treu, bei unerprobten Innovationen den Wettbewerb den Boden bereiten zu lassen. Handys mit faltbaren Displays, wie sie Samsung oder LG offerieren, zeigte Cook nicht. Er wird das erst tun, wenn er diese glaubhaft mit Apple-Superlativen versehen kann. Und schließlich muss er sich für diese Dekade noch ein paar Upgrade-Argumente aufsparen – ein wesentlich besserer Akku wäre ein Kandidat.


Mehr zum Thema: Apple stellt mit dem iPhone 12 sein erstes 5G-fähiges Handy vor. Doch noch hat die Technik Tücken.

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