Riedls Dax-Radar
Quelle: imago, dpa, Montage

Allianz und Deutsche Bank gegen Zinsängste

Die Sorgen vor einer schnellen Straffung der amerikanischen Geldpolitik drücken auf den Dax. Doch vor allem Aktien aus dem Finanzbereich profitieren davon – und sind auch noch günstig bewertet. 

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Etwas Entscheidendes verändert sich gerade an den Märkten, und das kann für den Dax durchaus gefährlich werden. Als die amerikanische Notenbank im Dezember ihre Einschätzung zu Wirtschaft, Inflation und Zinspolitik bekannt gab, kam es zwar zu einer kurzen Reaktion an den Märkten, weil die Fed eine etwas frühere Straffung ihrer Geldpolitik in Aussicht stellte. Doch dass die Mitglieder der amerikanischen Notenbank insgesamt schon so deutlich auf eine Verschärfung einschwenken und dies durch reduzierte Anleihekäufe, Zinserhöhungen und Bilanzverkürzung auch schnell umsetzen könnten, war den Märkten bisher nicht bewusst. Umso größer ist nun die Ernüchterung, nachdem aus den Protokollen der Fed offensichtlich wird, wie heftig die Zinswende schon 2022 ausfallen könnte. 

Die Reaktion an den Märkten ist deutlich. Die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen sind binnen drei Tagen von 1,50 auf bis zu 1,75 Prozent hochgeschnellt. Das ist der stärkste Anstieg seit September vergangenen Jahres. Die US-Renditen haben damit wieder das Topniveau ihrer Schwankungen seit Frühjahr 2021 erreicht. Von Oktober bis Dezember hatten sich die Renditen von 1,70 auf 1,35 Prozent sukzessive zurückentwickelt. Für die Aktienbörsen war dies das Zeitfenster, in dem sich die Herbst- und Jahresendrally entwickeln konnte. 

Nun, unter dem Eindruck der verschärften Fed-Politik, sind die Renditen am weltweit wichtigsten Anleihemarkt wieder in den Steigflug übergegangen. Auch in Europa zieht dies die Renditen für Bundesanleihen nach oben. Seit Anfang Dezember sind hier die Zinsen von minus 0,39 auf minus 0,05 Prozent gestiegen; damit sind sie mittlerweile sogar höher als zu den Spitzen im Mai und Oktober vergangenen Jahres. Die hohe Dynamik der Renditebewegungen in den USA und in Europa deutet nicht darauf hin, dass der Sturm an den Anleihemärkten so schnell vorüber geht. 
(Ausgerechnet verpönte Branchen wie Atomkraft, Öl, Waffen oder Tabak bieten Anlegern enorme Kurschancen – lesen Sie hier unsere große Analyse)

Bei den Aktien erwischt es die Technologiebörse Nasdaq besonders heftig. Hier verlor der 100-Index innerhalb weniger Tage um 1000 Punkte. Technologieaktien gelten bei vielen Anlegern als besonders zinssensitiv, weil zahlreiche Unternehmen ihr Wachstum über Kredite finanzieren und steigende Zinsen damit eine Bedrohung sind. Dabei besteht bei den führenden Unternehmen der Branche, bei den Billionen-Imperien von Apple oder Microsoft etwa, keinerlei Abhängigkeit von Finanzierungen. Der Grund, warum es hier zu heftigen Kursabschlägen kommt, ist ein anderer: Weil diese Aktien zuletzt so deutlich gestiegen sind und mit Abstand die meisten Investorengelder angezogen haben, kommt es jetzt zu umfänglichen Gewinnmitnahmen. Großangelegte Shortspekulationen, öffentlichkeitswirksam in Szene gesetzt wie zuletzt von Finanzjongleur Fraser Perring gegen Tesla, kommen hinzu; mit mehr als einer Billion Dollar Marktwert ist Tesla einer der fünf schwersten Aktien der Nasdaq-Börse. 

SAP und Infineon korrigieren, Delivery Hero und Zalando kippen ab

Auch im Dax werden die Technologieaktien von diesem Sog nach unten gezogen. SAP und Infineon müssen deutliche Kurskorrekturen hinnehmen; hoch bewertete Neulinge wie Sartorius oder Symrise dürften in eine Konsolidierung übergehen; die Onlinehändler Zalando, Delivery Hero und Hello Fresh nehmen bei ihrer schon eingeleiteten Abwärtsbewegung Tempo auf. 

Auf der anderen Seite ziehen die typischen Zinsgewinner an: Banken und Versicherungen. Der Deutschen Bank gelingt, nachdem sie mehrere Monate um 11 Euro auf der Stelle getreten ist, ein Anstieg auf über 12 Euro. Diese Kursbewegung ist hochbrisant, weil die Aktie damit den seit 2007 bestehenden, langfristigen Abwärtstrend nach oben durchdringt. Die spannende Situation im Kursbild spiegelt den Erfolg der Sanierungen der vergangenen Jahre, die jüngste, weltweite Renaissance der Finanzaktien und die aktuelle Aussicht auf steigende Zinsen wider. Die Aktie der Deutschen Bank, die in den Jahren 2019 und 2020 einen langfristigen Boden gebildet hat, 2021 das erreichte Niveau verteidigen konnte, dürfte 2022 zu einem Favoriten im Dax werden – mit durchaus spekulativem Charakter. 

von Frank Doll, Julian Heißler, Niklas Hoyer, Heike Schwerdtfeger, Anton Riedl

Auch die Versicherungen werden von der Aussicht auf höhere Zinsen beflügelt. Noch im Herbst rettete sich die Aktie der Allianz aus der Abstiegszone unter 190 Euro, in die sie im Zuge der Hedgefonds-Problematik in den USA gefallen war. Jetzt ist sie über die 200-Tagelinie gestiegen, die aktuell bei 206 Euro verläuft. Auch wenn noch nicht klar ist, wie teuer der Allianz die Probleme mit Pensionsfonds in Amerika werden, spricht das zuletzt starke operative Geschäft und das Umfeld höherer Zinsen für eine weitere Kurserholung. Die günstige Bewertung und die hohe Dividende stützen den Kurs zusätzlich.

Auch die Münchener Rück kann sich aus der Bandbreite der vergangenen Monate zwischen 240 und 260 Euro lösen und zieht in Richtung des Hochs vor Corona, das bei gut 280 Euro lag. Mit womöglich rund 2,8 Milliarden Euro Nettogewinn hat der Versicherer das schwierige Jahr 2021 gut überstanden. Die finanziellen Belastungen durch Covid-19 dürften im dreistelligen Millionenrahmen geblieben sein. Auch hier lassen Bewertung und Dividendenrendite der Aktie mittelfristig merklich höhere Notierungen zu. 

Fazit für den Dax: In dem deutlichen Anstieg der US-Renditen bis auf die mittelfristigen Spitzen um 1,75 Prozent und dem gleichzeitigen Anstieg der Bund-Rendite an die Nulllinie stecken derzeit die größten Risiken für den Dax. Sollte es, etwa im Zuge neuer, schockierender Inflationszahlen, zu einem Sprung der US-Renditen über 1,75 Prozent kommen, dürfte es ziemlich schnell auf 2,00 Prozent gehen. Mittelfristig wäre dann der Weg in Richtung 2,5 bis 3,2 Prozent geebnet; hier lagen die Renditespitzen der Jahre 2013 bis 2018. Dass der Dax dann einen solchen Zinsanstieg ohne größere Schwankungen verkraftet, ist wenig wahrscheinlich. 

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Aktuell ist der Dax am Hoch bei 16.300 Punkten erst einmal abgeprallt. Nach gut 1000 Punkten Kursgewinn in der Weihnachtsrally ist das eine durchaus typische Kursreaktion. Bei 15.600 Punkten zieht die 200-Tagelinie nach oben; ein Rücksetzer bis dahin wäre also kurzfristig noch kein Problem. Viel tiefer sollte der Dax allerdings nicht sinken. Eine große Abwärtswende würde er vollziehen, wenn er auf Tagesschlusskursbasis deutlich unter 15.000 sinkt.

Trotz neuer Zinsängste ist die Aufwärtsbewegung im Dax weiterhin intakt. Mit der jüngsten Stärke seiner Finanzwerte bekommt der deutsche Aktienmarkt für diesen Trend sogar eine neue Stütze.

Mehr zum Thema: Erfolgreiche Geldanlage ist eine Mischung aus hohen Renditen und Sicherheit. Mit den richtigen Dividenden-Aktien können sich Anleger Stabilität ins Depot legen. Fünf Titel gehören zu unseren Favoriten.

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