Riedls Dax-Radar
Droht an der Börse das böse Erwachen? Quelle: Getty Images

Börsen zwischen Zinshoffnung und Korrekturgefahr

Noch stimmt der Trend im Dax, doch die Luft wird dünn. Favoriten wie die Allianz oder die Münchener Rück sind reif für eine Korrektur. Und die Wende-Hoffnungen Adidas und Continental erwischt es eiskalt. Eine Kolumne.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Mit einem schnellen Kursfeuerwerk honorieren die Börsen die jüngsten geldpolitischen Statements der amerikanischen Notenbank: Wahrscheinlich wird es in diesem Jahr drei Zinssenkungen geben, die erste vielleicht im Juni. Zwar ist die Inflation in den vergangenen Monaten insgesamt nicht ganz so weit zurückgekommen wie gewünscht, dafür aber zeigt sich die Wirtschaft zunehmend stärker. Sowohl für dieses als auch für nächstes Jahr erwartet die Fed immerhin rund zwei Prozent Wachstum. 

Die Reaktion der Aktienmärkte ist ein Zeichen von Zuversicht. Zwar haben sich die Börsen von den einstmaligen Hoffnungen auf bis zu sieben Zinssenkungen längst verabschiedet. Damit aber sinkt auch das Enttäuschungspotenzial. Und selbst die Möglichkeit, die Fed könnte die erste Zinssenkung notfalls noch ein Stück länger hinauszögern, bringt die Märkte nicht mehr in Unruhe. 

Vielmehr konzentrieren sich die Erwartungen nun um zwei Grundpositionen: Zum einen die fundamentale Tatsache, dass die Zinsen auf absehbare Zeit nicht mehr heraufgesetzt werden, also das Ende der größten Erhöhungsphase der jüngeren Notenbankhistorie. Zum anderen auf die wachsende Hoffnung, dass es letztlich doch zu keiner Rezession kommt. 

An den Börsen läuft es fast schon unheimlich gut. Der Dax knackt Rekord um Rekord. Zeit für eine Absicherung – ohne Kurschancen zu kappen.
von Julia Groth, Anton Riedl, Frank Doll

Untermauert wird dieses positive Szenario von den Bondmärkten. Mitte März noch war es nach unerwartet zähen Inflationszahlen zu einem schnellen Anstieg der zehnjährigen US-Anleiherenditen von 4,06 Prozent auf 4,34 Prozent gekommen. Nun aber hat diese Bewegung mit einem Abdriften auf 4,24 Prozent etwas an Dynamik verloren. Insgesamt verläuft damit der Zinsanstieg seit Ende Dezember nur halb so kraftvoll wie der vorangegangene Rückgang von Oktober bis Dezember. Das bedeutet: Die grundlegende Tendenz der vergangenen sechs Monate zeigt weiterhin nach unten – und das ist das entscheidende Entspannungssignal für die Märkte. 

Gewinner höherer Zinsen und wachsender Unsicherheit 

Dem Dax gelang in diesem Umfeld der Anstieg auf ein neues Allzeithoch über 18.000 Punkte. Mit dem amerikanischen S&P 500, dem europäischen Stoxx 600 und dem deutschen CDax haben das nun auch die wichtigsten umfassenden Indizes geschafft. Die Hausse an den Aktienmärkten, die lange Zeit vor allem von schwergewichtigen US-Technologiewerten gezogen wurde, greift zunehmend auf immer mehr Branchen über. 

Ganz besonders gilt das hierzulande für die Versicherungen. Die Aktie der Münchener Rück hat sich binnen zwei Jahren glatt verdoppelt. Mit gut 60 Milliarden Euro Börsenwert ist die Muv, wie der weltgrößte Rückversicherer im Börsenjargon genannt wird, zwar so wertvoll wie noch nie. Angesichts von womöglich fünf Milliarden Euro Nettogewinn in diesem Jahr ist die Aktie aber immer noch nicht zu teuer. Zudem gibt es eine auf 15 Euro deutlich erhöhte Dividende (die von den Münchenern mit großer Wahrscheinlichkeit im nächsten Jahr auch nicht gekürzt wird) und es werden Aktien im Volumen von 1,5 Milliarden Euro zurückgekauft. 

Auch die Nummer drei der weltweiten Rückversicherungsbranche, die Hannover Rück, setzt ihre Dividende herauf. Seit 2022 hat sich die Aktie der Hannoveraner ebenfalls fast verdoppelt. Die operativen Gewinne zeigen eine nachhaltige Aufwärtsdynamik, weil die Prämien angesichts des hohen Bedarfs an Absicherung ein hohes Niveau haben und zugleich Belastungen aus Großschäden etwas zurückgingen. Einen positiven Steuereffekt gab es obendrein, mit dem die Niedersachsen ihre Schadenreserven um eine halbe Milliarde Euro aufpolstern können. 

Als letzte der drei Versicherer im Dax kam die Allianz ins Laufen. Ende vergangenen Jahres gelang der Aktie mit den Anstieg über die Kurszone um 230 Euro ein langfristiges Kaufsignal. In allen drei Sparten, der Schaden- und Unfallversicherung, der Lebens- und Krankenversicherung sowie der Vermögensverwaltung kann die Allianz derzeit die Gewinne erhöhen. Wenn Konzernchef Oliver Bäte für 2024 vorerst nur mit kleinen Gewinnplus rechnet, dürfte dies bewusst vorsichtig angesetzt sein. Und auch die Allianz erhöht die Gratifikationen an Aktionäre. 

Die Assekuranzen profitieren derzeit von drei wichtigen Effekten: Der steigenden Nachfrage nach Versicherungsleistungen und den damit verbundenen hohen Prämien; den intern zunehmend effizienteren Abläufen, die vor allem durch die Digitalisierung in den vergangenen Jahren erreicht wurden; und dem deutlich gestiegenen Zinsniveau, mit dem die Versicherer aus ihren enormen Anlagebeständen wesentlich höhere Gewinne erwirtschaften können. 

Der starke Anstieg der Versicherungsaktien ist damit fundamental untermauert und dank immer noch moderater Bewertungen sind weitere Kursaufschläge möglich. Keine der drei Aktien zeigt derzeit Schwächesignale. 

Andererseits dürften die positiven Argumente für die Versicherer angesichts der Hausse mittlerweile zu einem großen Teil in den Kursen enthalten sein. Auf dem erreichten Niveau noch hinterher zu laufen, ist ein riskantes Spiel. Schon in einer kleinen Verschnaufpause könnte die Allianz-Aktie in den Bereich 250 bis 230 Euro abtauchen, die Münchener Rück auf 400 bis 370 Euro und die Hannover Rück auf 230 bis 210 Euro. Immerhin, in allen drei Fällen würde dies nichts an der positiven Verfassung der langfristigen Aufwärtstrends dieser Basisinvestments etwas ändern. 

Starke Banken, Autos im Kommen, kalte Dusche für Continental und Adidas

Weiter voran im Aufwärtstrend sind auch die Banken. Schritt für Schritt finden die beiden einst angeschlagenen heimischen Institute im Dax, die Deutsche Bank und die Commerzbank, mittlerweile wieder Anschluss an die internationale Tendenz der Branche. Beide Banken haben sich in den vergangenen Jahren operativ deutlich erholt, die Kosten gesenkt und die Kapitalkraft gestärkt. Wie die Versicherer profitieren auch sie vom erhöhten Zinsniveau.

Die Aktie der Deutschen Bank hat mit ihrem jüngsten Anstieg über 12,50 Euro abermals ein wichtiges Kaufsignal gegeben; bei der Commerzbank kam es zu einem ähnlich positiven Signal durch den Anstieg über 12 Euro. Auch wenn beide Bankwerte wie in den vergangenen Jahren sehr bewegliche Assets bleiben dürften, sollte ihr langfristiges Potenzial noch nicht ausgeschöpft sein. 

Langsam wieder im Kommen sind die Fahrzeugwerte. Porsche hat sich von seinem Rückschlag unter den Ausgabekurs von vergangenem Herbst erholt, Mercedes-Benz ist wieder fast an die alten Höchstkurse um 75 Euro herangekommen, Volkswagen-Aktien haben seit zwei Jahren zum ersten Mal einen kleinen Anstieg über die 200-Tagelinie hinaus geschafft. 

Kurz vor den bisherigen Höhen zwischen 113 und 123 Euro gescheitert ist erst einmal die BMW-Aktie. Dabei waren die jüngsten Zahlen und Prognosen nicht schlecht: Mit 12,1 Milliarden Euro Nettogewinn aus 155,5 Milliarden Euro Umsatz hat BMW eine ansehnliche Nettomarge erzielt. Vor allem gelingt BMW der Spagat, einerseits technologieoffen zu sein, andererseits aber einen so hohen Anteil an Elektroautos zu verkaufen, wie kein anderer deutscher Hersteller. Mit dieser Strategie kommt BMW auch dann nicht in die Bredouille, wenn sich der Absatz von E-Autos zwischenzeitlich einmal etwas verlangsamen sollte. Für BMW-Aktien wäre es gut, wenn sie in einer möglichen Korrektur das Niveau um 100 Euro halten. 

Eine kalte Dusche im Zusammenhang mit BMW bekommt gerade Zulieferer Continental zu spüren. Wegen Problemen bei Bremsen schließt BMW die Hannoveraner erst einmal bei neuen Aufträgen aus. Bemerkenswert ist, dass Conti-Aktien schon seit Anfang März auffallend schwach sind und mit dem Rückgang unter 70 Euro sogar ein kurzfristiges Verkaufssignal gegeben haben. Ein weiteres Abbröckeln der Kurse in Richtung 60 Euro ist nicht ausgeschlossen; tiefer allerdings sollte es dann nicht mehr gehen. Fundamental teuer ist Conti mit 13 Milliarden Euro Börsenwert bei mehr als 40 Milliarden Euro Geschäftsvolumen wirklich nicht.    

Einen unerwarteten Rückschlag muss auch Sportartikler Adidas hinnehmen. Nach sieben Jahrzehnten Zusammenarbeit wechselt der Deutsche Fußballbund DFB zum amerikanischen Konkurrenten Nike als Ausrüster. Für die Adidas-Aktie kommt dieser Switch zur Unzeit. Schon mit den jüngsten Jahreszahlen und vor allem mit dem schwächeren Ausblick auf 2024 haben die Herzogenauracher die Börsen verunsichert. 

Dennoch, seit gut einem Jahr laufen Adidas-Aktien wesentlich besser als die Anteilsscheine der Konkurrenten Puma und Nike. Verantwortlich dafür ist das erfolgreiche Comeback, das Adidas unter seinem im vergangenen Jahr angetretenen Chef Björn Gulden zustande gebracht hat. Auch wenn Adidas nun ausgerechnet in seinem Kernmarkt Fußball empfindlich getroffen wurde, dürfte die Börse die faktischen Rückwirkungen auf das operative Geschäft erst einmal abwarten. Für die Aktie gilt: Solange sie sich in den nächsten Wochen mindestens in dem Bereich 190 bis 180 Euro hält, ist die Ende 2022 gestartete Aufwärtsbewegung weiterhin intakt. 

Fazit für den Dax: An die elf Prozent hat der Deutsche Aktienindex seit dem Start der jüngsten Rallyphase am 17. Januar nun gewonnen und noch immer ist keine Schwäche in Sicht. Dow Jones, S&P 500 und Euro Stoxx ziehen ungebrochen nach oben, bei den zuletzt etwas ins Wanken geratenen Chipaktien kommt es ebenfalls wieder zu Aufschlägen. Die Inflation bleibt in manchen Bereichen zwar zäh, dennoch besteht die Aussicht auf rückläufige Notenbankzinsen. Von Rezession ist, zumindest in den Vereinigten Staaten, derzeit nichts zu spüren. 

Nach 46 Tagen nachhaltiger Aufwärtsbewegung hat der Dax den typischen Zeitrahmen kurzfristiger Haussephasen reichlich ausgenutzt. In der vorangegangenen Haussephase von Oktober bis Dezember hatte er 14 Prozent gewonnen. Sollte er das in der aktuellen Haussephase noch einmal schaffen, ergäbe dies noch einen Anstieg auf rund 18.700 Punkte. 

Rezept zum Reichwerden? Das steckt hinter dem System von Deven Schuller

Ein selbsternannter Finanzexperte will seinen Kunden laut eigener Aussage dabei helfen, finanzielle Freiheit zu erreichen, und pflastert das Internet mit Werbung. Was steckt dahinter? Ein Selbstversuch.

Finanzielle Unabhängigkeit So bauen Sie Ihr Vermögen auf

Finanzielle Unabhängigkeit setzt ein ausreichend großes Vermögen voraus. Wie wird es aufgebaut? Wir stellen die besten Strategien vor.

Leistung Warum Manager es ihren Mitarbeitern nicht zu gemütlich machen sollten

Wenn sich Mitarbeiter sicher fühlen, bringen sie bessere Leistung. Das zumindest ist die Hoffnung. Tatsächlich ist oft das Gegenteil der Fall.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Auf der anderen Seite dürfte das Korrekturpotenzial selbst wohlwollend gerechnet durchaus bis auf 17.000 Punkte reichen, die 200-Tagelinie verläuft erst bei 16.214 Punkten. Einer theoretischen Restchance von drei Prozent steht damit ein sicherlich doppelt so hohes Risiko gegenüber. Für neue Investments ist das keine gute Basis, eher schon für einen Umstieg auf eine zunehmend vorsichtige Strategie bis hin zu einer Absicherung.

Lesen Sie auch: Was die besten Geldmanager jetzt empfehlen

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%