Rückzug aus den Steueroasen Der Fall Apple wird die Steuerpolitik verändern

Der Fall Apple markiert einen Wendepunkt in der globalen Steuerpolitik: Im Kampf gegen unfairen Steuerwettbewerb lenkt Washington ein. Die USA können ihren Fiskalimperialismus nicht länger aufrechterhalten.

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Wer bei Apple die Fäden zieht
Apple-Legenden Quelle: AP
Tim CookDer Manager ist seit 1998 im Konzern und übernahm 2011 die Zügel von Gründer Steve Jobs, der nur wenige Wochen später verstarb. Der Sohn eines Werftarbeiters arbeitete zunächst bei IBM und Compaq. Beim iPhone-Konzern brauchte er lange, um aus dem Schatten von Übervater Jobs hervorzutreten. Unter anderem wurde ihm vorgeworfen, keine neuen Produktinnovationen an den Start gebracht zu haben. Darauf reagierte er unter anderem mit der Einführung der Apple Watch. 2014 outete er sich als erster Chef eines amerikanischen Großkonzerns als homosexuell. Quelle: dpa
Jonathan IveDer Brite hat als Chefdesigner einen der einflussreichsten Posten im Konzern. Seit 1992 arbeitet er für Apple. Sein erstes großes Projekt war der iMac, dessen Formsprache Apple-Produkte wie das iPhone oder das iPad bis heute beeinflusst. Im Mai 2015 übernahm er den neu geschaffenen Posten als Designvorstand. Ive ist ein großer Bewunderer des Braun-Designers Dieter Rams. Quelle: REUTERS
Luca MaestriDer Italiener ist seit 2013 im Vorstand von Apple für die Finanzen zuständig. Zuvor sammelte er zahlreiche internationale Erfahrung, unter anderem bei General Motors, Nokia, Siemens Networks und Xerox. Quelle: PR
Jeff WilliamsWilliams ist seit 1998 im Konzern und seit Dezember 2015 Chief Operating Officer. Zuvor arbeitete er 13 Jahre lang für den Computerriesen IBM. Er spielte zunächst eine wichtige Rolle beim Einstieg des Konzerns in den Smartphone-Markt und leitete später die Entwicklung der Apple Watch. Quelle: dpa
Eddy CueEddy Cue ist ein echtes Apple-Urgestein. Der studierte Informatiker arbeitet seit 1989 für den Konzern. Er trieb zunächst den Aufbau des Online-Geschäfts von Apple voran und war später auch für den iTunes-Store und den App Store verantwortlich. Als Senior Vice President für Internet-Software und Dienstleistungen unterstehen ihm heute alle Online-Marktplätze. 2014 wurde er für seine Verdienste um die Entwicklung der Medienbranche mit dem „Spirit of Live“-Preis ausgezeichnet. Quelle: REUTERS
Craig FederighiDer Manager ist studierter Informatiker und Elektroingenieur. 1996 lernte er beim Computerhersteller Next den Apple-Gründer Steve Jobs kennen. Nach drei Jahren beim IT-Unternehmen Ariba kehrte er 2009 zu Apple zurück. Er leitet die Entwicklung der Betriebssysteme iOS und macOS. Das für Apple charakteristisch gewordene minimalistische Design geht auch auf sein Konto. Quelle: AP

Apple ist das wertvollste börsennotierte Unternehmen der Welt. Es baut im Silicon Valley die schickste Firmenzentrale. Es bunkert Bargeldreserven wie kein zweiter Konzern. Und es zahlt in Irland rekordverdächtig niedrige Steuern – der EU-Kommission zufolge atemberaubende 0,005 Prozent. Freilich: Zumindest der letzte Superlativ wackelt, seit EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager den amerikanischen Konzern ins Visier genommen hat (WirtschaftsWoche 36/2016). Werden die höchsten EU-Gerichte Vestagers Verdikt folgen, dass Apple auf der grünen Insel 13 Milliarden Euro Steuern nachzahlen muss? In Kalifornien scheint man nach Vestagers Vorstoß seltsam nervös zu sein: Plötzlich ist Apple-Chef Tim Cook sogar bereit, einen Teil der Auslandsgewinne in den USA zu versteuern.

Ausgerechnet Cook, der das Steuersparen bisher als Extremsportart betrieben hat und die Benchmark für alle US-Konzerne setzte. Offenbar kündigt sich im Zuge der EU-Beihilfeentscheidungen gegen Apple und andere US-Unternehmen ein Einlenken und Umdenken bei den Amerikanern an. Nicht nur an der Westküste, wo Apple, Alphabet (Google), Amazon, Facebook und viele andere Digitalunternehmen zu Hause sind – Unternehmen, die dank teurer Lizenzgebühren und virtueller Dienstleistungen besonders leicht Gewinne von einem Land ins andere transferieren (und ihre Steuerschuld verringern) können. Auch klassische Industrieunternehmen mischen munter mit beim Steuerversteck-Wettbewerb in den USA. Aber nun mehren sich die Zweifel in Washington, ob das globale Steuersparmodell zulasten des Rests der Welt noch länger aufrechterhalten werden kann.

Tatsächlich hat Washington über viele Jahre darauf verzichtet, die globalen Gewinne seiner Konzerne zu besteuern, solange die nicht nach Amerika fließen. Die Wirtschaft nutzte die Chance beherzt und hat bis heute schätzungsweise zwei Billionen Dollar vornehmlich in karibischen Steueroasen gebunkert (siehe Grafik). Mit diesem Geld haben die Amerikaner eine gewaltige Kriegskasse zur Verfügung, um Konkurrenten in aller Welt auszustechen, sei es beim Kauf von Firmen und Patenten oder auch durch eine aggressive Preisgestaltung.

Steuervermeidung: Wie viel Geld US-Konzerne außerhalb der USA bunkern

Gegen diese Art eines unternehmerfreundlichen Fiskalimperialismus, der in krassem Widerspruch zur peinlich genauen Steuerverfolgung von US-Bürgern steht, hat auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) schon vergeblich andiskutiert. Sein US-Amtskollege Jack Lew hörte zwar stets verständnisvoll zu, war aber nie zu Zugeständnissen, geschweige denn zu einer Kurskorrektur, bereit. Selbst das von den G20-Ländern vor einem Jahr beschlossene Projekt zur Bekämpfung von aggressiver Steuervermeidung und Gewinnverschiebung (Beps) schien an der Supermacht abzuperlen – kein US-Unternehmen sollte einen Dollar mehr als nötig an ausländische Regierungen zahlen.

Steueramnestie à la Washington

Im vergangenen Jahr hat US-Präsident Barack Obama einen Vorschlag unterbreitet, wie das Geld, das US-Unternehmen im Ausland lagern, repatriiert werden kann. Statt der üblichen 35 Prozent an Steuern sollten die Konzerne einmalig 14 Prozent an die Bundeskasse zahlen. Der Vorschlag verlief im Sande; die oppositionellen Republikaner blockierten in Senat und Repräsentantenhaus, angefeuert von einer Wirtschaft, die Steuern als Raub denunziert.

Der Brüsseler 13-Milliarden-Euro-Steuerbescheid für Apple ändert nun alles. „Die Europäer greifen nach dem Geld, nicht wir“, erregt sich der Senator von New York, Chuck Schumer, und mahnt: „Wir müssen uns ranhalten.“ Wenn US-Unternehmen schon Steuern auf ihre Gewinne in aller Welt zahlen sollen, dann doch bitte schön in die Schatullen des amerikanischen Fiskus.

Und so könnte die Beihilfeentscheidung der Europäer dem wütenden Apple-Chef sogar in die Karten spielen. Schließlich versucht Cook seit mindestens fünf Jahren – so lange, wie er nun schon als CEO agiert – das im Ausland geparkte Vermögen steuermindernd heimzuholen in die USA. Der Konzernschatz hat sich mittlerweile auf 215 Milliarden Dollar summiert. Natürlich lehnt Apple es ab, 35 Prozent Bundessteuern zu zahlen. Eigentlich wären auch noch 8,8 Prozent Steuer an den Heimatstaat Kalifornien fällig, was Apple jedoch vermeidet, indem es seine im Land befindlichen Barreserven über Nevada verwaltet, das keine Unternehmenssteuern erhebt.

Also werden jetzt doch Obamas 14 Prozent fällig? Wohl kaum. Der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump hat ein Zehn-Prozent-Steuerschnäppchen ins Spiel gebracht – und auch seine demokratische Kontrahentin Hillary Clinton spricht sich für eine solche Art von Steueramnestie aus, für die Amerikaner zutreffend den Begriff tax holiday verwenden. Der einzige Streitpunkt zwischen den beiden: Was tun mit dem Geldregen? Soll die nächste Regierung ihn zum Abbau der Staatsschulden nutzen oder für Investitionen, etwa in die marode Infrastruktur?

Apple in Zahlen

Gelingt der Politik das Heimholen der Auslandsgewinne, würde das auch an der Börse gut ankommen. Nicht nur wegen der zu erwartenden zusätzlichen Ausschüttungen an die Aktionäre. Apple, das unter Cook bisher vergeblich nach einem neuen Bestsellerprodukt fahndet, könnte so weitere aufstrebende Unternehmen im eigenen Land zukaufen.

Dass Apple und Co. im Gegenzug Europa und speziell Irland den Rücken kehren, ist derweil unwahrscheinlich. „US-Konzerne werden weiter in Europa präsent bleiben“, sagt Alexander Linn vom Prüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte, „und Apple wird weiter seine Telefone hier verkaufen.“ Schließlich hat die EU-Kommission den günstigen (regulären) Steuersatz von 12,5 Prozent in Irland gar nicht infrage gestellt. Und mit der seit Anfang 2016 geltenden sogenannten Lizenzbox brauchen Unternehmen für Gewinne aus Patenten und Lizenzen in Irland sogar nur 6,25 Prozent Steuern zu zahlen. Anders gesagt: „Irland bleibt ein sehr attraktiver Standort“, meint Linn.

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